Cleopatra als Barockoper

Von Uwe Friedrich |
Cleopatras und Marc Antons tragische Geschichte aufgeladen mit chauvinistischen Sprüchen und sexuellen Anzüglichkeiten - das ist Johann Matthesons Oper. Die erste szenische Aufführung an der Hamburger Staatsoper seit 1704 ist hoch interessant und mit sehr guten Sängern gelungen.
Mitten in der tragischen Barockoper wird auf Plattdeutsch darüber gesungen, dass Frauen ihr wahres Gesicht erst nach der Hochzeit zeigen oder dass bei Frauenleiden meistens ein Klistier hilft. Was nach Ohnsorgtheater klingt, war eine Besonderheit der Hamburger Bürgeroper am Gänsemarkt. Schon im 18. Jahrhundert hatten die Hanseaten offenbar eine Vorliebe für derbe Komik, und so unterbricht der Komponist Johann Mattheson die traurige Geschichte der unglückseligen Cleopatra mehrfach mit chauvinistischen Bemerkungen, sexuellen Anzüglichkeiten und für heutige Ohren eher geschmacklosen Kommentaren.

Dabei versichert der Komponist in seinen Memoiren, dass das Publikum beim Suizid des Mark Anton zu Tränen gerührt und untröstlich war, es wurde also nicht nur gelacht am Gänsemarkt. In der Schilderung des Komponisten steckt auch ein Menge Eigenlob, denn Mattheson, der später Mitarbeiter des englischen Gesandten wurde, sang die Rolle selbst. Als er nach dem Bühnentod vom Cembalo aus weiter dirigieren wollte, hat der junge Georg Friedrich Händel den Platz allerdings nicht geräumt. Schließlich duellierten sich die beiden auf dem Gänsemarkt.

Zu derart gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen den beteiligten Künstlern kam es bei der ersten szenischen Aufführung seit 1704 an der Hamburgischen Staatsoper jedoch nicht, vielmehr war sie von einem großen Ensemblegeist des Hamburger Opernstudios getragen. Für die kleine Blackbox der Opera stabile ließ sich die Kostümbildnerin Julia Schnittger von den zahllosen Monumentalfilmen zum Thema inspirieren. Diese Cleopatra ist offenbar geradewegs von der Leinwand eines Hollywoodschinkens heruntergestiegen, auch das Kostüm Marc Anton könnte aus einem Sandalenfilm stammen, der Sieger der Intrige, Kaiser Augustus steckt hingegen in einer modernen Militäruniform.

Prolog und Epilog weisen außerdem darauf hin, dass es sich bei dieser Geschichte um die Phantasie eines Klinikinsassen mit zu hohem Spielfilmkonsum handelt. Ein kluger Kniff, denn selbstverständlich nahm es auch Mattheson mit den historischen Fakten nicht allzu genau. Die alte, korrupte Elite verstrickt sich in ihren eigenen Intrigen, die jungen Liebespaare lösen die abgehalfterten Machtpolitiker ab. Dieses glückliche Ende mag der Regisseur Holger Liebig zwar nicht glauben und hängt einen pessimistischen Schluss an, der nicht ganz überzeugt.

Aber er entwirrt in seiner eher unspektakulären, jedoch angenehm konzentrierten Inszenierung die Intrigen, erzählt kühl die Liebesverirrungen und tragisch in die Irre gehenden Staatsaktionen der überambitionierten Cleopatra. Dazu wurde die Oper von gut vier auf noch immer drei Stunden Spieldauer klug heruntergekürzt. Johann Mattheson wollte nicht bloß dem lieben Gott durch strengen Kontrapunkt die Ehre erweisen, sondern auch sein Publikum mit Tanzrhythmen unterhalten.

Dabei zeigte er sich als exzellenter Kenner der musikalischen Stile seiner Zeit, manche Arie klingt nach Vivaldi, dann wieder scheinen französische Vorbilder wie Rameau und Lully durch. Dieser Stilvielfalt zeigen sich der Dirigent Nicholas Carter mit dem klein besetzen Orchester (solistische Streicher, zwei Flöten, zwei Oboen, Fagott, Theorbe, Barockgitarre und zwei Cembali) und die Nachwuchssänger der Hamburgischen Staatsoper jederzeit gewachsen. Schließlich hat der Komponist mit seinen Büchern quasi die Gebrauchsanweisung für seine Kompositionen geliefert.

Im "vollkommenen Musikmeister", der "Generalbaßschule", im "Kern melodischer Wissenschaft" oder der Zeitschrift "Der musicalische Patriot" konnte auch Nicholas Carter wie im Lexikon nachlesen, welche Tonart für welche Stimmungslage der barocken Affektlehre steht. Der Tenor Paulo Paollilo trifft den heroischen Tonfall mit ebenso sicher wie die melancholische Klage kurz vor dem Freitod. Wie das gesamte Ensemble ist er kein Spezialist für Alte Musik, aber Matthesons Musik ist robust genug, um auch mit den Stilmitteln des 19. Jahrhunderts zu funktionieren.

Mit kühlem Witz und angenehm unaufdringlich singt Thomas Florio den schmierigen Höfling Archibius, elegant und stilsicher, mit angenehm aufscheinender Höhe gestaltet Katharina Bergrath Cleopatras Tochter Candace. Die Titelpartie wiederum ist bei Mélissa Petit in den besten Händen, alle Stimmungsumschwünge, das Verführerische wie das Tragische ihrer Partie beherrscht die junge Sängerin mit bemerkenswerter Sicherheit. Ihre Sterbeszene wird zum Höhepunkt dieser Wiederbegegnung mit einem hoch interessanten Werk der spezifisch Hamburgischen Operngeschichte.
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