Clement: Kirchhofs Steuerkonzept hat keine Chance

Moderation: Hanns Ostermann |
Der Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit, Wolfgang Clement (SPD), hat das "Kompetenzteam" der Unionsparteien scharf kritisiert und die Bereitschaft der Bundesminister für einen Vergleich mit dem Kompetenzteam angekündigt.
Ostermann: Bekannte Namen und Gesichter. Das Wahlkampfteam, das Unions-Kanzlerkandidatin Angela Merkel gestern vorgestellt hat, ist kein Schattenkabinett im eigentlichen Sinne. Mit der Mannschaft sollen vielmehr Schwerpunkte und Themen ein Gesicht bekommen, so die CDU-Chefin. Gleichwohl handelt es sich natürlich um potenzielle Kabinettskandidaten.

Das Gesicht von Peter Müller, dem saarländischen Ministerpräsidenten, steht demnach für die Bereiche Wirtschaft und Arbeit. Paul Kirchhof, der parteilose, frühere Verfassungsrichter und Steuer-Experte soll sich um die Haushalts- und Finanzpolitik kümmern; Felder von zentraler Bedeutung für die künftige Regierung, egal in welcher Farbkonstellation.

Einer der noch regiert und der es gerne weiter tun möchte ist am Telefon von Deutschlandradio Kultur, es ist der Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement. Guten Morgen, Herr Clement!

Clement: Ich grüße Sie! Guten Morgen!

Ostermann: Seiteneinsteiger wie Herrn Kirchhof hatte seiner Zeit auch Ihre Partei, die SPD, im Angebot. Ich erinnere nur an Werner Müller, Ihrem Vorgänger im Amt. Zahlt es sich aus, wenn Sachverstand von außen mitregiert?

Clement: Das hängt von dem Sachverstand von außen ab und den Fähigkeiten, die sie politisch mitbringen und den Möglichkeiten, die sie einbringen können. Da sehe ich die Situation von Herrn Kirchhof als sehr eng an und sehr problematisch. Frau Merkel ist jedenfalls nicht mehr in der Lage in Übereinstimmung zu bringen das Steuermodell, das Gesundheitsmodell, das Modell zur Gesundheitsreform und die Aufgabe der Konsolidierung der Staatsfinanzen. Das hat sie gerade erst wieder bewiesen im neuesten Stern-Interview, in dem sie Kürzungen von 6 bis 8 Milliarden Euro im Haushalt der Bundesagentur für Arbeit ankündigt.

Wenn sie das machen würde, müsste sie bis in gesetzliche Maßnahmen, bis hin zum Kurzarbeitergeld oder ähnlichem eingreifen. Die Union kommt an den Punkt, an dem ihre Modelle nicht mehr übereinstimmen. Und ich bin ganz sicher, nachdem Herr Merz ausgegrenzt worden ist, wird es auch Herr Kirchhof nicht gelingen da eine Übereinstimmung hineinzubringen. Das ist nur ein Beispiel von vielen.

Nein, ich empfinde das, was Frau Merkel gestern als Kompetenzteam, wie das neuerdings heißt, was ja ein Team ist ohne jede Verbindlichkeit, dass dies eher eine Verlegenheitslösung ist, in einer Situation, in der sich die Mächtigen der Union: Herr Stoiber, Herr Koch, Herr Wulff verweigern und in ihren Stellungen hocken bleiben.

Ostermann: Kirchhof hat die von der Union geplante Mehrwertsteuer-Erhöhung abgelehnt, ein weit radikaleres Steuerkonzept vorgelegt. Wer wird sich da eigentlich an wen anpassen? Die Union an den Finanzexperten?

Clement: Ganz sicher nicht an Herrn Kirchhof. Herr Kirchhof hat mit dem was er entwickelt hat, auch mit seinem Steuerreformen-Konzept keine Chance, das wissen alle, nicht nur Kundige, das wissen ja alle Bürgerinnen und Bürger. Schon Herr Merz ist mit seinem Konzept nicht durchgekommen, es ist mit dem Gesundheitsmodell, und das ist ja das Problem des Gesundheitsmodells der Union, dass sie nach eigenen Aussagen Minimum 20 Milliarden aus Steuermitteln beibringen müssen, in Wahrheit sind es noch mehr, dass sie damit kollidiert und das nicht in Übereinstimmung bringen kann.

Es ist inzwischen, glaube ich, überall klar, dass wir mit einer Unternehmens-Steuerreform beginnen, und dass diese Bierdeckelreform, die schon Herr Merz geschneidert hat, geschmiedet hat, oder geschnitten hatte aus dem, was Herr Kirchhof vorgelegt hatte, schon Herr Merz hielt es nicht für möglich, dass zu realisieren, was Herr Kirchhof vorgelegt hat. Noch viel weniger wird das jetzt gelingen.

In der Mehrwertsteuer-Debatte hat er Recht, jedenfalls bezogen auf die aktuelle Lage in Deutschland. Da wird man sehen, ich vermute, dass die Union mit diesem Vorschlag Schiffbruch erleiden wird. Ich halte eigentlich für notwendig, dass noch vor der Wahl der zurückgezogen wird wie auch anderes, wie vorhin die genannten Vorstellungen zur Kürzung der Mittel der Bundesagentur. Die würden beispielsweise in Ostdeutschland bedeuten, dass dort faktisch keine aktive Arbeitsmarktpolitik mehr möglich wäre.

Ostermann: Frau Merkel will Finanzen, Wirtschaft und Arbeit nicht unter das Dach eines Ministeriums bringen. Hat sie gut daran getan sich von der Idee eines Super-Ministeriums zu verabschieden?

Clement: Da hat sie Recht. Es wird nirgendwo möglich sein, dass unter einem Dach zu tun. Sie hat auch Recht, wenn sie Wirtschaft und Arbeit zusammen halten will. Ich glaube nur nicht, dass sie das hinbekommt, hinbekommen würde, in dem was sie sich vorstellt. Deshalb ist auch die Benennung von Herrn Kollegen Müller ja eine, die ist auf wenige Tage beschränkt.

Und es ist ja in Wahrheit nicht vorgesehen auf Seiten der Union, es gibt ja von anderen da auch schon Kritik daran, das Ministerium zusammenzuhalten. Ich selbst bin fest davon überzeugt, dass das Wirtschaftsministerium mit dem Arbeitsministerium zusammen bleiben muss. Das ist ein wichtiger Reformschritt. Es ist selbstverständlich, dass Arbeitspolitik und Wirtschaftspolitik heutzutage zusammen gehören. Und in diesem Punkt stimme ich ihr in der theoretischen Aussage zu, praktisch wird es ihr nicht gelingen.

Ostermann: Warum stellt eigentlich der Bundeskanzler kein Kompetenzteam auf?

Clement: Er hat eins! Das ist das Bundeskabinett. Alle Minister kämpfen darum, dass der Bundeskanzler Gerhard Schröder auch der Bundeskanzler in Zukunft in Deutschland ist, und dafür treten wir ein. Und wir lassen uns gerne vergleichen mit dem, was jetzt als Kompetenz-Team auftritt. Ich bin auch zu jeder Zeit bereit, mit jedem Mitglied des Kompetenz-Teams zu diskutieren und zu sehen, wo denn die Kompetenzen wirklich sind. Damit die Bürgerinnen und Bürger wirklich einen Vergleich haben und Vergleichsmaßstäbe anlegen können. Damit wir dann wirklich zur Sache vorstoßen und zu den tatsächlichen Kompetenzen.

Ostermann: Sie waren gerade auf Wahlkampftour in Frankfurt an der Oder. Ihre Partei will das Arbeitslosengeld II im Osten auf Westniveau heben, wenn sie weiter regieren darf. Warum jetzt unmittelbar vor der Wahl?

Clement: Erstens war ich nicht auf der Wahlkampftour, sondern ich werbe zurzeit in ganz Deutschland für Ausbildungsplätze und für Maßnahmen und für den Kampf gegen die Jugendarbeitslosigkeit. Das tue ich schon seit einiger Zeit, und tue ich seit zehn Jahren. Und das habe ich hier auch getan. Und dass wir diese Veränderung jetzt vorgeschlagen haben, geht zurück auf den Vorschlag des Ombudsrates, der aus meiner Sicht überzeugend dargelegt hat, und auch aus der Sicht des Bundeskanzlers und grundsätzlich aus der des Kabinetts, das Kabinett wird sich Ende August noch einmal damit befassen, dass der Ombudsrat überzeugend dargelegt hat, dass man nicht aufrechterhalten kann eine Differenzierung zwischen Ost und West, wenn man nicht eine Differenzierung in ganz Deutschland zwischen den sehr unterschiedlichen Lebensbedingungen in den einzelnen Regionen unseres Landes vornimmt.

Und da wir dies für unpraktikabel, bürokratisch und deshalb falsch hielten, das jetzt auch noch zu differenzieren zwischen 331 und 345 Euro und vielleicht noch ein bisschen mehr oder weniger in den verschiedenen deutschen Teilregionen, ist es richtig auf einen Betrag zu gehen. Dazu haben wir uns, wie gesagt, grundsätzlich entschieden und werden das Ende August im Kabinett behandeln.

Ostermann: Aber der Wähler fragt sich ja schon: weshalb unmittelbar vor der Wahl?

Clement: Der Wähler ist nicht unmittelbar vor der Wahl damit konfrontiert worden, sondern dem Wähler ist dies schon gesagt worden, da war dann der Gedanke bei Ihnen und bei mir an eine Neuwahl noch nicht da, weil die Wahl in Nordrheinwestfalen noch nicht gelaufen war. Deshalb können Sie sich auch davon frei strampeln.

Es geht hier nicht um ein Wahlkampfthema, sondern es geht darum, dass wir in der Sache handeln und uns auch durch den Wahltermin nicht von sachlichem Handeln auch auf anderen Feldern, auf diesem Feld ja auch nicht, abhalten lassen wollen. Und das ist im Interesse der Bundesrepublik. Wir haben keine Zeit zu verlieren. Und wenn es diese berechtigte Forderung gibt, und zu dem Ergebnis sind wir gekommen, dann muss auch so gehandelt werden.