Clean Label, ein Etikettenschwindel?
Das niedersächsische Agrarministerium hat seinen Verbraucherschutzbericht vorgelegt. Darin werden nicht nur die Tätigkeiten der Behörden dargestellt, sondern auch aktuelle Probleme diskutiert – wie die Schwierigkeit "Chemiefreiheit" zu deklarieren.
Der neue Verbraucherschutzbericht aus Niedersachsen ist nicht nur ein Arbeitsnachweis der Behörden sondern gibt auch mal den Blick hinter die Kulissen frei. Ein besonders schmuddliges Thema darin ist das saubere Etikett, das Clean Label. Etiketten, die "Chemiefreiheit" signalisieren, sollen vor allem Kunden erfreuen, die ernsthaft glauben, man könne in einer Industriegesellschaft 80 Millionen Bürger mit natürlichen Fertiggerichten aus historischen Puppenküchen zum Spottpreis ernähren.
Dabei kann man den Herstellern nicht wirklich gram sein. Sie versuchen nur die Forderungen eines Zeitgeistes zu realisieren, der sich dank Fernsehen und Internet im Märchenmodus befindet. Mit List und Tücke probieren die Marketingexperten und die Lebensmitteltechnologen die Quadratur des Kreises. Gemeinsam spielen sie die schräge Musik, die der Kunde am liebsten hören möchte.
Der Bericht nennt als Beispiel selbstredend den berüchtigten Aufdruck "ohne Geschmacksverstärker", um damit einen erhöhten Gehalt an Glutamat zu tarnen. Aufgrund eines Schlupflochs im Lebensmittelrecht hat es die Überwachung aufgegeben, etwas dagegen zu unternehmen. Oder die Sache mit dem Klebstoff im Schinken und im Joghurt – hier geht es um das Enzym Transglutaminase. Bisher fehlt eine analytische Methode, um den Zusatz nachzuweisen. Und schon verzichten Wurstfabriken und Molkereien auf eine Deklaration. Das Etikett bleibt wieder sauber.
Kurios wird es bei einem unscheinbaren Gemüsezusatz zur Wurst. Was nach außen so wirkt, als solle dem Kunden was "Gesundes" spendiert werden, dient einem anderen Zweck. Nämlich dem Ersatz von Salpeter und Pökelsalz, also von Nitrat und Nitrit. Die sorgen nämlich für eine stabile rote Wurstfarbe. Den Weg wiesen vor Jahrzehnten missratene Weiß- und Gelbwürste – sie hatten sich rosarot verfärbt. Wie sich zeigte, steckten dahinter die Salatbauern und Winzer. Die haben damals soviel Stickstoffdünger rausgehauen, dass der bis ins Grundwasser durchschlug. Mit dem Trinkwasser gelangte das Nitrat in die Wurst, - und die verfärbte sich. Diese Beobachtung führte zu Kohlrouladen, die in stark nitrathaltige Kohlblätter eingewickelt wurden, um die Farbe des Brätes anzuhübschen.
Derzeit erlebt diese Schnapsidee ein Revival. Der Verbraucherschutzbericht beklagt, dass stark nitrathaltige Gemüse "wie Spinat oder Salat" zu "Pulvern mit erheblichen Gehalten an Nitrat verarbeitet" werden. Dann steht auf dem Etikett harmloses "Gemüsepulver" statt E 251. Und daneben findet sich auch noch "Kombuchaextrakt". Was hat ein Getränk, das mit dem berühmten Teepilz hergestellt wurde, in der Wurst verloren?
Des Rätsels Lösung: Es werden Mikroben zugesetzt, die das Nitrat aus dem Pulver in Nitrit – in E 250 - umwandeln. Damit wird dann gepökelt. Welcher Verbraucher ahnt schon, dass hier per Schadstoff-Extrakt unter Zugabe von Bazillen ein umstrittener Zusatzstoff erzeugt wird? Diese Praxis hat die Überwachung bei Biowurst beobachtet, namentlich dann, wenn der Öko-Verband den Zusatz von Nitritpökelsalz werbewirksam verbietet. Weil das ja so schädlich sein soll.
Und was tut die Überwachung gegen solche oberfaulen Tricks? Sie wagt zumindest den Weg durch die Instanzen. Allerdings können, so die Behörden, "bis zur endgültigen Klärung über alle Gerichtsinstanzen mehrere Jahre vergehen" – solange gibt's wohl noch gepökelte Wurst mit Clean Label.
Da lob ich mir die Beanstandungen bei konventionellen Feinkostsalaten. Da wird immer noch in vertrauter Manier gepfuscht; fürs "saubere Etikett" vergessen die Hersteller gern echte Zusatzstoffe. Wer will schon seine Kunden beunruhigen? Doch manchmal geht auch das schief: Einer hat beim Fabulieren versehentlich Konservierungsstoffe deklariert, die gar nicht drin waren. Wir sehen, egal ob Bio, Clean Label oder "wie gehabt": Nur eins ist wirklich rein: Der reine Schwindel. Mahlzeit!
Literatur:
Hammer G: Verfärbung bei Gelbwurst. Fleischwirtschaft 1981; 61: 659-660
Lange HJ: Nitratgehalte in Kohlrouladen. Fleischwirtschaft 1985; 65: 1051-1059
Niedersächsisches Ministerium für Ernährung, Landwirtschaft, Verbraucherschutz und Landesentwicklung et al (Hrsg): Verbraucherschutzbericht 2011. Hannover 2011
Niedersächsisches Landesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (Hrsg): Tätigkeitsbericht 2011. Hannover 2012
Dabei kann man den Herstellern nicht wirklich gram sein. Sie versuchen nur die Forderungen eines Zeitgeistes zu realisieren, der sich dank Fernsehen und Internet im Märchenmodus befindet. Mit List und Tücke probieren die Marketingexperten und die Lebensmitteltechnologen die Quadratur des Kreises. Gemeinsam spielen sie die schräge Musik, die der Kunde am liebsten hören möchte.
Der Bericht nennt als Beispiel selbstredend den berüchtigten Aufdruck "ohne Geschmacksverstärker", um damit einen erhöhten Gehalt an Glutamat zu tarnen. Aufgrund eines Schlupflochs im Lebensmittelrecht hat es die Überwachung aufgegeben, etwas dagegen zu unternehmen. Oder die Sache mit dem Klebstoff im Schinken und im Joghurt – hier geht es um das Enzym Transglutaminase. Bisher fehlt eine analytische Methode, um den Zusatz nachzuweisen. Und schon verzichten Wurstfabriken und Molkereien auf eine Deklaration. Das Etikett bleibt wieder sauber.
Kurios wird es bei einem unscheinbaren Gemüsezusatz zur Wurst. Was nach außen so wirkt, als solle dem Kunden was "Gesundes" spendiert werden, dient einem anderen Zweck. Nämlich dem Ersatz von Salpeter und Pökelsalz, also von Nitrat und Nitrit. Die sorgen nämlich für eine stabile rote Wurstfarbe. Den Weg wiesen vor Jahrzehnten missratene Weiß- und Gelbwürste – sie hatten sich rosarot verfärbt. Wie sich zeigte, steckten dahinter die Salatbauern und Winzer. Die haben damals soviel Stickstoffdünger rausgehauen, dass der bis ins Grundwasser durchschlug. Mit dem Trinkwasser gelangte das Nitrat in die Wurst, - und die verfärbte sich. Diese Beobachtung führte zu Kohlrouladen, die in stark nitrathaltige Kohlblätter eingewickelt wurden, um die Farbe des Brätes anzuhübschen.
Derzeit erlebt diese Schnapsidee ein Revival. Der Verbraucherschutzbericht beklagt, dass stark nitrathaltige Gemüse "wie Spinat oder Salat" zu "Pulvern mit erheblichen Gehalten an Nitrat verarbeitet" werden. Dann steht auf dem Etikett harmloses "Gemüsepulver" statt E 251. Und daneben findet sich auch noch "Kombuchaextrakt". Was hat ein Getränk, das mit dem berühmten Teepilz hergestellt wurde, in der Wurst verloren?
Des Rätsels Lösung: Es werden Mikroben zugesetzt, die das Nitrat aus dem Pulver in Nitrit – in E 250 - umwandeln. Damit wird dann gepökelt. Welcher Verbraucher ahnt schon, dass hier per Schadstoff-Extrakt unter Zugabe von Bazillen ein umstrittener Zusatzstoff erzeugt wird? Diese Praxis hat die Überwachung bei Biowurst beobachtet, namentlich dann, wenn der Öko-Verband den Zusatz von Nitritpökelsalz werbewirksam verbietet. Weil das ja so schädlich sein soll.
Und was tut die Überwachung gegen solche oberfaulen Tricks? Sie wagt zumindest den Weg durch die Instanzen. Allerdings können, so die Behörden, "bis zur endgültigen Klärung über alle Gerichtsinstanzen mehrere Jahre vergehen" – solange gibt's wohl noch gepökelte Wurst mit Clean Label.
Da lob ich mir die Beanstandungen bei konventionellen Feinkostsalaten. Da wird immer noch in vertrauter Manier gepfuscht; fürs "saubere Etikett" vergessen die Hersteller gern echte Zusatzstoffe. Wer will schon seine Kunden beunruhigen? Doch manchmal geht auch das schief: Einer hat beim Fabulieren versehentlich Konservierungsstoffe deklariert, die gar nicht drin waren. Wir sehen, egal ob Bio, Clean Label oder "wie gehabt": Nur eins ist wirklich rein: Der reine Schwindel. Mahlzeit!
Literatur:
Hammer G: Verfärbung bei Gelbwurst. Fleischwirtschaft 1981; 61: 659-660
Lange HJ: Nitratgehalte in Kohlrouladen. Fleischwirtschaft 1985; 65: 1051-1059
Niedersächsisches Ministerium für Ernährung, Landwirtschaft, Verbraucherschutz und Landesentwicklung et al (Hrsg): Verbraucherschutzbericht 2011. Hannover 2011
Niedersächsisches Landesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (Hrsg): Tätigkeitsbericht 2011. Hannover 2012