Claudia Roth zur Wahl in Istanbul

"Wendepunkt für die ganze Türkei"

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Der Wahlsieger Ekrem Imamoglu spricht zu jubelnden Anhängern in Istanbul.
Der Wahlsieger Ekrem Imamoglu spricht zu jubelnden Anhängern in Istanbul © Anadolu Agency/dpa/picture alliance
Moderation: Liane von Billerbeck  · 24.06.2019
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Auch bei der Wiederholung der Bürgermeisterwahl in Istanbul hat der Oppositionskandidat Ekrem Imamoglu gewonnen. Das sei ein Signal an Präsident Erdogan, dass es um Demokratie und gegen Spaltung gehe, sagt die Grünen-Politikerin Claudia Roth.
"Ein Machtwechsel in der Türkei durch Wahlen ist immer noch möglich", fasst die Grünen-Politikerin Claudia Roth ihre Eindrücke vom Wahlabend in Istanbul zusammen. Der Wahlsieg des Oppositionskandidaten Ekrem Imamoglu bei der Bürgermeister-Wahl habe gezeigt, dass die Demokraten sich nicht unterkriegen ließen, so die Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages.
Zu seinem Wahlsieg hätten auch die Kurden in der Stadt beigetragen, die mit rund 25 Prozent ein großes Wählerpotential in Istanbul gewesen seien. Viele Menschen sprächen von einem "Hoffnungszeichen" und einem "Wendepunkt für die ganze Türkei". Das zeige auch der deutschen Politik: "Erdogan ist nicht die Türkei und die Türkei ist nicht Erdogan."
Anhänger von Oppositionspolitiker Ekrem Imamoglu feiern dessen Wahlsieg in den Straßen von Istanbul.
Anhänger von Oppositionspolitiker Ekrem Imamoglu feiern in den Straßen von Istanbul. © AP Photo/Lefteris Piarakis/dpa/picture alliance
Nach der großen Freude über den Wahlsieg stelle sich die Frage, wie Erdogan jetzt reagieren werde, so Roth: "Wie schlägt er jetzt zurück?". Schließlich habe er selbst immer gesagt: "Wer Istanbul hat, hat die Türkei."
Es sei ein Signal an das ganze Land, dass Erdogan sich nicht mehr sicher sein könne, das er zeit seines Lebens die Politik in der Türkei bestimmen könne, sondern dass es Menschen gebe, die eine andere Türkei wollten. Am Sonntag hätten auch viele Konservative Imamoglu gewählt.
Der Politiker sei angetreten, um die Bürger der Stadt gegen die "brutale Entdemokratisierung" und "Spaltungsversuche von Erdogan" zusammenzubringen. Die Menschen hofften auch auf einen Wendepunkt, weil die wirtschaftliche Lage sehr schlecht sei.

Hoffnung auf Druck aus dem Ausland

Roth wird heute als Prozessbeobachterin an dem umstrittenen Verfahren gegen den türkischen Bürgerrechtler und Kulturmäzen Osman Kavala und 15 weitere Vertreter der türkischen Zivilgesellschaft teilnehmen, das heute in Istanbul beginnt. Bei diesem Prozess gehe es darum, die wichtigsten Akteure der Zivilgesellschaft und die "Gezi-Bewegung" zu kriminalisieren, sagte die Grünen-Politikerin. Ihnen werde vorgeworfen, sie hätten mit ihren Protesten 2013 einen angeblichen Putsch geplant.
"Wenn es in der türkischen Justiz noch einen Funken an Unabhängigkeit gibt und einen Funken an rechtsstaatlichen Maßstäben, dann muss es zu einem Freispruch kommen", meint Roth. "Diese ganze Anklage ist eine Bankrotterklärung."
Es gebe keine Beweise, und die Vorwürfe seien absurd. Sie hoffe sehr auf Druck aus dem Ausland. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel sollte Stellung beziehen. Sie habe Kavala einst in Berlin empfangen.
(gem)
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