Zum Tod von Claudia Cardinale

Die Schönheit mit der Männerseele

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Claudia Cardinale bei den Dreharbeiten von "Spiel mir das Lied vom Tod"
Claudia Cardinale in "Spiel mir das Lied vom Tod". Die Schauspielerin wurde 1938 in Tunis geboren und starb am 23. September 2025 in Frankreich © imago images / Courtesy Everett Collection
Von Christian Berndt |
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Claudia Cardinale kam nur widerwillig zum Film. Dann spielte sie in Filmklassikern mit wie "Der Leopard", "Achteinhalb", "Spiel mir das Lied vom Tod" und "Fitzcarraldo". Nun ist die Schauspielerin mit 87 Jahren gestorben.
Noch mit über 80 Jahren stand sie vor der Kamera. Claudia Cardinale liebte die Filmarbeit, obwohl sie nach ihrem spektakulären Aufstieg zu einem der größten Weltstars der Sechzigerjahre auch immer mit dem Filmgeschäft gehadert hat. Es war eine lange Karriere, die allerdings unter dramatischen Umständen begann.
Cardinale wurde 1938 als Tochter einer sizilianischstämmigen Familie in Tunesien geboren. Bereits als 17-Jährige war sie im Kino zu sehen, nachdem man für einen Dokumentarfilm Schülerinnen als Statisten gesucht hatte. Cardinales Gesicht war in dem Film kurz in Großaufnahme zu sehen. Dieser Augenblick reichte, um eine kleine Rolle in einem Film mit Omar Sharif zu bekommen. Danach wurde sie zur Miss Tunis erklärt, obwohl sie bei dem Wettbewerb überhaupt nicht teilgenommen hatte. Der Hauptpreis war eine Reise zu den Filmfestspielen in Venedig.

Über Jahre vergewaltigt

Es war völlig verrückt, erzählte Cardinale später. Sie hatte keinerlei Schauspielausbildung, trotzdem haben ihr Produzenten Verträge angeboten. Sie lehnte ab, weil sie in ihrer Heimat Lehrerin werden wollte. Erst auf Anraten der Eltern gab sie nach und reiste nach Rom. Sie bekam Schauspielunterricht, und der berühmte Filmproduzent Franco Cristaldi bot ihr einen Exklusivvertrag an. Aber als sie Heimweh bekam, flog sie nach zwei Monaten spontan zurück nach Tunis. Warum sie dem Drängen Cristaldis schließlich doch nachgab, enthüllte sie erst 1995 in einem Buch:
„Ein Mann hat mich vergewaltigt, als ich 16 war, und ich war diejenige, die sich schämte. Also habe ich diesem Mann immer wieder gehorcht, wenn er mir befahl, in seinen Wagen zu steigen.“
Ein älterer Franzose missbrauchte sie in Tunis über Jahre, auch noch nach ihrer Rückkehr aus Rom. Als Cardinale schwanger wurde, wagte sie nicht, ihrer Familie davon zu erzählen, und entschied sich, nach Rom zu fliegen und den Filmvertrag zu unterschreiben. Sie drehte gleich drei Filme am Stück, ihre Schwangerschaft fiel niemandem auf. Als sie im siebten Monat war, wollte sie den Vertrag lösen, aber Produzent Cristaldi erkannte ihre Situation und bot – weil er seinen kommenden Star nicht verlieren wollte - eine Lösung an: Er schickte sie zur Entbindung nach London, aber sie musste das Neugeborene offiziell als ihren Bruder ausgeben.

Synchronisiert wegen "zu männlicher" Stimme

Danach begann ein rasanter Aufstieg. Italien hatte in der Nachkriegszeit eine der größten Filmindustrien der Welt und lieferte Weltstars wie Sophia Loren und Gina Lollobrigida - Cardinale sollte deren Nachfolge antreten. Sie hatte eine kraftvolle und zugleich scheue Präsenz, die von Kritikern als eine völlig neuartige Form von authentischem Ausdruck gefeiert wurde. Trotzdem hing ihr lange das Image der "Sexbombe" an. Dabei wurde sie gerade von Regisseuren des italienischen Arthaus-Kinos hochgeschätzt. Visconti drehte mehrfach mit ihr, so auch 1962 für sein Opus magnum „Der Leopard“.
In „Der Leopard“ erlebt man Cardinale als Frau aus dem Volk, die eine hochherrschaftliche Tafelrunde aufmischt, als sie nach einem anzüglichen Witz lauthals lacht. Cardinale war ein Kraftzentrum des Films, laut und ordinär, dann wieder sensibel und nachdenklich. Zur gleichen Zeit spielte sie in einem weiteren Meilenstein des Kinos: Fellinis „Achteinhalb“. Bisher war Cardinale immer synchronisiert worden, weil ihre raue Stimme als zu männlich galt. Genau diese Besonderheit gefiel Fellini, und erstmals war ihre echte Stimme in einem Film zu hören.

Filme mit Sergio Leone und Werner Herzog

„Der Leopard“ und „Achteinhalb“ machten Cardinale zum internationalen Star. Sie spielte nun in Hollywoodfilmen wie „Der rosarote Panther“ und wirkte 1968 erneut in einem legendären Meisterwerk mit: „Spiel mir das Lied vom Tod“. In dem Italo-Western gab es erstmals in einem Film von Sergio Leone eine weibliche Hauptfigur. Cardinale spielte eine ehemalige Prostituierte, die sich in einer brutalen Männerwelt durchsetzt.
Mit dem Niedergang des italienischen Kinos Ende der Sechzigerjahre flaute auch Cardinales Karriere ab. 1982 erlebte sie mit Werner Herzogs „Fitzcarraldo“ einen neuen Höhepunkt ihrer Karriere. Herzog, erzählte Cardinale, habe ihr mit dem chaotischen Dreh im Dschungel das schönste Filmabenteuer ihres Lebens verschafft.
Sie liebte Extremsituationen, die meisten Stunts machte sie selbst. John Wayne hat beim gemeinsamen Dreh einmal anerkennend zu ihr gesagt: „Du bist keine Frau, Du bist ein Kerl!“ Sie war stolz auf dieses Kompliment. Claudia Cardinale hat mit ihrer vielschichtigen, markigen Präsenz einen neuen, unabhängigen Frauentyp im Kino etabliert, einige der wichtigsten Meisterwerke der Filmgeschichte wären ohne sie nicht vorstellbar.
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