Claudia Andujar in Weimar

Fotografieren, um Herzen zu öffnen

Fotografie von Claudia Andujar eines Mädchens aus dem Volk der Yanomami in Brasilien. Um den Hals des Mädchens hängt eine Kette mit der Nummer 79.
Ein Yanomami-Mädchen - die Fotografin Claudia Andujar setzt sich für das indigene Volk in Südamerika ein. © Claudia Andujar
Von Susanne Burkhardt · 26.08.2018
Seit fast 50 Jahren setzt sich Claudia Andujar für das indigene Volk der Yanomami in Südamerika ein. Für ihr Engagement wird die 87-jährige Künstlerin und Aktivistin nun mit der Goethe-Medaille geehrt.
Der berührendste Moment kommt ganz am Ende dieses Nachmittages: Als Davi Kopenawa Yanomami auf dem Kunstfest Weimar erklärt, Claudia Andujar sei so etwas wie eine Mutter für ihn und dass es ohne sie und den gemeinsamen Kampf kein Schutzgebiet gäbe für sein Volk - da ist die 87-Jährige kurz sprachlos, küsst ihm die Hand und findet dann ihre Worte wieder:
"Das ist das erste Mal in meinem Leben, dass mir jemand, der mir so viel bedeutet wie Davi, sagt, dass es wert war, mein Leben gelebt zu haben. Thank you very much, Davi!"
Ein Leben, das in Europa beginnt und Claudia Andujar später in die USA bringt, wo sie fotografieren lernt, danach nach Brasilien. Begeistert von den brasilianischen Menschen, macht sie sich auf und will die indigenen Einwohner kennenlernen, fährt ins Amazonasgebiet und trifft auf die Yanomami.
"Als ich bei den Yanomami ankam, spürte ich, dass ich sie erst einmal kennenlernen wollte, bevor ich die Kamera auf sie hielt. Also blieb ich länger, beobachtete sie, lag mit ihnen in der Hängematte, hörte ihnen zu, versuchte ihnen nahezukommen. So wurden wir Freunde."

Die Yanomami kannten keine Fotokameras

Was das Ding ist, das sie dabei um den Hals trägt, wissen die Yanomami nicht.
"Das stimmt. Die Menschen hatten nie eine Fotografie gesehen, fanden es seltsam, dass ich mit dieser Kamera herumlief, wussten nicht, was das ist. Ich begleitete einige von den Yanomami länger und schaute immer durch das Objektiv auf sie, das wirkte natürlich seltsam. Sie waren nicht ängstlich, aber fühlten sich beobachtet."
Und: die Yanomami erkennen sich nicht auf den Abzügen, die sie beim nächsten Besuch mitbringt.
"Als ich mit dem Fotografieren begann, hatte ich keine Bilder, die ich zeigen konnte. Ein Körper abgebildet auf Papier? Das kannten sie nicht. Es war zu befremdlich für sie und ein bisschen peinlich für mich. Aber wir haben uns dran gewöhnt."
Ein schwieriges Unterfangen, denn Yanomami mögen keine Bilder von sich. Sie glauben, dass die Kamera ihnen die Seele raubt und auf dem Papier fixiert. Es gefällt ihnen nicht, dass die Bilder bestehen bleiben, wenn sie sterben. Warum also haben sie sich dennoch fotografieren lassen?
"Nach einem Gespräch mit ihr verstand ich, dass ihre Bilder wichtig waren, um unser Volk den weißen Menschen näherzubringen", erklärt Davi Kopenawa, Schamane und wichtigster Repräsentant der Yanomami, die Arbeit von Claudia Andujar.
Der Anthropologe Stephen Corry, die Fotografin Claudia Andujar und der Schamane Davi Kopenawa bei ihrem Auftritt beim Kunstfest Weimar 2018 (v.li.).
Der Anthropologe Stephen Corry, die Fotografin Claudia Andujar und der Schamane Davi Kopenawa bei ihrem Auftritt beim Kunstfest Weimar 2018 (v.li.).© Susanne Burkhardt
Ihre Bilder sollen Verständnis wecken für die Schutzbedürftigkeit der Yanomami und Sympathien erzeugen. Es entstehen anrührende Porträts vom Alltagsleben der Yanomami - Schwarz-Weiß-Bild-Serien, die es bis in die großen Kunstausstellungen geschafft haben. Daneben aber auch Porträts, wie die "Markierungs-Serie" - auf denen die Yanomami mit Nummern zu sehen sind. Teil einer Impfkampagne, um das durch Epidemien bedrohte Volk zu schützen.

Eigene Familiengeschichte als Motivation

"Wir reisten von Dorf zu Dorf. Um die einzelnen Gesundheitsprobleme zu dokumentieren, mussten wir Akten anlegen. Da die Yanomami zu dieser Zeit keine Namen trugen wie wir, mussten wir sie mit einer Nummer fotografieren, um sie dann wiedererkennen zu können. Also habe ich sie mit der Nummer auf der Brust fotografiert."
Porträts, die Leben retten sollen. Und Claudia Andujar an eine Zeit erinnern, als Menschen aus rassistischen Motiven so erfasst wurden. Dass sie im Jahr 1971 entscheidet, ihr Leben dem Volk der Yanomami zu widmen, als Künstlerin und Aktivistin, hat auch mit ihrer Familiengeschichte zu tun und ihrer Flucht vor den Nazis:
"Je mehr ich mich engagiert habe, desto klarer wurde mir, dass ich etwas tat, was ich als 13-Jährige nicht konnte: Während der Okkupation Ungarns durch die Deutschen wurde mein Vater und seine jüdische Familie ins KZ deportiert und ermordet."
An dieser Stelle unterbricht sie das Gespräch. Erklärt, wie schwer es ist hier zu sein, von den Deutschen eingeladen, und über die Deportationen zu sprechen, die diese zu verantworten haben.
"Ich habe das gleiche Konzept, diesen Wunsch nach Überleben, wie die Yanomami, die nicht aussterben wollen und natürlich hat das viel mit dem Fakt zu tun, dass meine Familie teilweise ausgelöscht wurde. Als ich mich mit den Yanomami anfreundete, war das wie ein Bedürfnis, ihnen die Möglichkeit zu geben, zu leben."

Der Kampf für die Rechte der Yanomami geht weiter

Claudia Andujar lebt heute in Sao Paulo. Ab und an besucht sie die Yanomami. Sie fotografiert nicht mehr. Mit dem Geld von verkauften Bildern unterstützt sie die Yanomami-Organisation "Hutukara". Sie hat mit ihren mehr als 60.000 Fotografien den Blick und einige Herzen geöffnet für das Leben der Yanomami.
Vermutlich immer noch zu wenig. Denn auch wenn es das Schutzgebiet gibt, wenn die Gesundheitsversorgung besser geworden ist, so bleibt der Lebensraum der Yanomami bis heute bedroht: Die brasilianische Regierung versucht das Land zu kontrollieren. Tausende Goldsucher dringen immer wieder ein, um Bodenschätze zu heben, und verseuchen dabei Wasser und Land. Es gibt also viele Gründe für Claudia Andujar an der Seite von Davi Kopenawa weiter zu kämpfen.
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