Claire Lombardo: "Der größte Spaß, den wir je hatten"

Eine erstaunlich haltbare Familie

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Buchcover zu "Der größte Spaß, den wir je hatten" von Claire Lombardo
Raffinierte Zeitsprünge, spannungsreiche Cliffhanger und ein plastisch gezeichnetes Charakterensemble: Claire Lombardo gelingt in ihrem Roman sehr viel. © dtv
Von Ursula März · 02.11.2019
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Die Amerikanerin Claire Lombardo erzählt in ihrem Debütroman „Der größte Spaß, den wir je hatten“ von einer geglückten Großfamilie. Der Bestseller feiert die Lebensehe mit traditioneller Rollenverteilung - und hinterfragt sie zugleich.
Ein Roman, der eine heile Familie darstellt, steht per se unter Trivialitätsverdacht. Spätestens seit Leo Tolstoi im ersten Satz von "Anna Karenina" bemerkte, alle glücklichen Familien glichen einander, alle unglücklichen seien auf je eigene Weise unglücklich, zählen letztere zum festen Bestand der Literatur. An den Brüchen im bürgerlichen Familienmodell werden die Neurosen der Moderne sichtbar. So weit, so gut und geläufig.
Nun erscheint in deutscher Übersetzung eine amerikanische Familiensaga, die sich in diese Logik nur bedingt fügt. Von der angelsächsischen Kritik gefeiert, vom Publikum zum Bestseller erkoren, erzählt die 30-jährige Claire Lombardo in ihrem Debütroman "Der größte Spaß, den wir je hatten" von einer Familie, die zwar nicht heil ist, aber erstaunlich haltbar. Nach vielerlei Dramen, Krisen und Zerwürfnissen sitzen am Ende von mehr als 700 Romanseiten drei Generationen zufrieden beieinander und feiern das amerikanischste aller Familienfeste: Thanksgiving.
Alle haben sich mit allen versöhnt, die Eltern David und Marilyn mit ihren vier erwachsenen Töchtern, diese sich untereinander. Auch Jonah, das verheimlichte Kind, das die zweitälteste Tochter direkt nach der Geburt zur Adoption freigab und von dessen Existenz die anderen Familienmitglieder fünfzehn Jahre lang nichts wussten, hat seinen Platz gefunden. An Jonahs Geschichte erweist sich die Bindungskraft der biologischen Familie.

Nicht ermüdende erotische Leidenschaft

Im Kern aber ist dieser Roman eine Feier der Lebensehe mit recht traditioneller Rollenverteilung. David und Marilyn lernen sich in den 70er-Jahren als Studenten kennen. Kurz hintereinander kommen die ersten zwei Töchter zur Welt. David macht Karriere als Arzt. Marilyn verzichtet auf einen Beruf. Sie findet ihr nicht immer einfaches, aber konsequent verfolgtes Glück in der Verwaltung und emotionalen Bewirtschaftung der sechsköpfigen Familie. Dabei ist das eigentliche Wunder der Ehe von David und Marilyn eine bis ins Alter nicht ermüdende erotische Leidenschaft. Am Vorbild einer solchen Traumehe muss die emanzipierte, zwischen diversen Lebenskonzepten schliddernde Nachfolgegeneration zwangsläufig scheitern.
Man kann annehmen, dass Claire Lombardo auch autobiografische Erfahrungen verarbeitet. Sie ist in Oak Park, einem bürgerlichen Vorort von Chicago, aufgewachsen. Eben dort spielt ihr Roman. Und man kann davon ausgehen, dass sie Jonathan Franzens Weltbestseller "Korrekturen" gründlich studiert hat. Sie breitet ihren über vier Jahrzehnte reichenden Erzählstoff auf eine Weise aus, die den Leser von der ersten Seite an fesselt: mit raffinierten Zeitsprüngen und spannungsreichen Cliffhangern, mit Perspektivwechseln der Figuren und einem ungemein plastisch gezeichneten Charakterensemble. Der Trivialitätsfalle entgeht sie, indem sie die fragwürdige Nostalgie der geglückten Familie im Roman selbst diskutiert.
"Der größte Spaß, den wir je hatten" ist somit das Musterbeispiel eines Romans, wie ihn vielleicht nur die Schule des amerikanischen Storytelling hervorbringen kann: Literarisch weder unter- noch überfordernd und eine Einladung, im Lektüresessel zu versinken.

Claire Lombardo: "Der größte Spaß, den wir je hatten"
Aus dem Amerikanischen von Sylvia Spatz
dtv, München 2019
736 Seiten, 25 Euro

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