"Civil March for Aleppo"

Gestrandet an der türkischen Grenze

Von Carolin Pirich  · 14.07.2017
Zu Fuß von Berlin nach Syrien - als Zeichen der Solidarität. Nach mehr als 2000 Kilometern sitzen die Aktivisten vom "Civil March for Aleppo" kurz vor der Grenze zur Türkei fest. Was tun, wenn sie nicht ins Land gelassen werden? Die Grenze wird zur harten Belastungsprobe für die Gruppe aus Europa und Südamerika.
"Konkret was passieren würde, weiß ich nicht, aber im schlimmsten Fall glaube ich, dass man abgeschoben wird. Was auch ein unschönes Ende wäre."
Alex und der Friedensmarsch für Aleppo sitzen fest. In einem Gebäude der Uni von Alexandropoulis. Der Grund: Die Grenze. Trotzdem überlegen sie, wie die Route in der Türkei verlaufen könnte. Erst soll es nach Istanbul gehen - aber dann wird es kompliziert: weiter an der Küste entlag? Oder durch die Wüste? Über die Berge? Und wenn sie dann kurz vor Syrien sind, wohin dann?

Einige schmeißen hin, andere wollen unbedingt weiter

In den vergangenen Tagen haben einige den Marsch verlassen, sind zurück nach Hause, darunter auch manche, die von Tag eins an dabei waren, seit Berlin. In Alexandropoulis sind es noch 15 Teilnehmer. Darunter Denis, 38, LKW-Fahrer aus Brandenburg. Stefanie, Mitte 50, Schreinerin, auch aus Brandenburg. Lucas, Psychologe aus Buenos Aires. Jordi, Archäologe aus Barcelona. Malika, Jura-Professorin aus Paris. Lisa, Mitte 30, Grundschullehrerin aus Köln. Und Alex, 29, der seinen Job aufgegeben hat, von Anfang an mitläuft, und der am Marsch festhalten will.
"Ich liebe den Marsch. In den letzten fünf Monaten habe ich so viel erlebt, das könnte man in zehn Lebensjahre reinpacken. Eine Achterbahnfahrt. Momentan ist alles möglich. Ich denke, dass es einige Leute gibt, die den Zusammenhalt suchen. Wenn wir nicht in die Türkei können, müssen wir uns überlegen, was wir Alternatives tun könnten. In den Libanon fahren, zum Beispiel."

Endlose Diskussionen bei Kerzenlicht

Iris, die sonst in einer Brandenburger Kommune lebt, hat Teelichter angezündet und eine Rose in ein Wasserglas gestellt - für die Gesprächskultur. Seit gut drei Stunden sitzen sie beisammen und jeder hat eine andere Idee von dem, was sie hier wollen und wie es weitergehen soll. Wenn sie denn weitergehen.
Alex will bis an die syrische Grenze laufen. Und dann in einem Flüchtlingsheim den Marsch beenden. Andere wollen durch die Türkei, auch ohne offizielle Genehmigung. Wieder andere wollen innerhalb der EU bleiben und laufen: Menschen begegnen, mit ihnen über Frieden reden, oder über die Folgen des Krieges in Syrien. Das sind die Momente, an die sie sich gern erinnern. Das, wofür sie losgelaufen sind.
"In Wien, da waren wir auf dem Stephansplatz, da habe ich mit einem Syrer geredet. Er hat mich so fest in den Arm genommen, das war so krass, und hat gesagt, er weiß es zu schätzen, was wir hier tun. Das hat mich voll umgehauen. Mehr als das bauche ich nicht, wenn ich so ein Gefühl jemandem geben kann, ist schon extrem viel gewonnen."

Einer geht - und bleibt dann doch

Einer bleibt ein bisschen abseits von den anderen, der lange Bart zeigt, dass er schon einige Monate mitläuft. Er sagt, er fühlt sich nicht mehr als Teil der Gruppe, aber er bleibt trotzdem. Er ist wie der Brexit: Aus dem Wunsch nach Frieden war einmal eine gemeinsame Vision entstanden, eine Idee, eine Euphorie - die EU, der Marsch. Aber wenn die Nachteile dieser Idee, dieses Zusammenlebens, der Solidarität spürbar werden, geht er ein Stück abseits von den anderen. Von den Vorteilen, Schlafplatz, Mahlzeiten, Abenteuer, will er trotzdem nicht lassen.
Und dann, zwei Tage später, brechen sie trotzdem wieder auf. Sie wissen noch immer nicht, ob sie die Grenze passieren dürfen, aber zwei Tagesmärsche haben sie noch bis dorthin. Hauptsache, es kommt wieder Bewegung in den Marsch.
Am Abend, gut 25 Kilometer vor der Grenze, unter Sternenhimmel, überlässt ihnen das Dorf Doriko eine verlassene Schule für die Nacht. Dort sitzen sie, müde vom Laufen und satt von den frischen Würsten, die der Orthodoxe Pfarrer Nikolaus aus dem Dorf, geschenkt hat. Und für ein paar Stunden scheint wieder alles möglich. Selbst der Friede in der Gruppe.
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