Gewerkschaftsgeschichte - Die Punker von damals
Weihnachten 1865 wurde der Allgemeine Deutsche Cigarrenarbeiterverein gegründet - heute als Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten bekannt. Die politisch interessierten und auffällig gekleideten Männer galten damals als Paradiesvögel und ihr Kampf war ein heikles Unterfangen.
Was arbeiteten Zigarrenarbeiter um 1865? - Hören Sie dazu auch das Interview mit der Historikerin Beate Schreiber:
Seit er neun Jahre alt war, hat Friedrich Wilhelm Fritzsche in Leipziger Zigarrenmanufakturen gearbeitet. Mit 40 Jahren versammelte er seine Arbeitskollegen aus deutschen Landen in Leipzig, um den Allgemeinen Deutschen Cigarrenarbeiterverein zu gründen – Weihnachten 1865. Heute ist die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten mit Hauptsitz in Hamburg die Nachfolgeorganisation und Michaela Rosenberger die Vorsitzende der NGG.
"Das waren politisch sehr interessierte Männer, die immer auch so ein bisschen Paradiesvogel gewesen sind. Ganz auffällig gekleidet, bunte Westen an. Und Farben waren damals, so knallige Farben wie grün oder rot schon etwas Ungewöhnliches. Man hat es ihnen schon von außen angesehen sozusagen, dass sie Zigarrenarbeiter sind. Ein Historiker hat vor einiger Zeit über diese Zigarrenarbeiter von einst gesagt: 'Na, so ein bisschen waren das die Punker von damals.' Und ich glaube, dieser Vergleich stimmt auch."
Einen Arbeiterverein zu gründen, die Rechte der Belegschaften vertreten, Gegenmacht aufzubauen in einem ungestüm erwachenden Kapitalismus, der kein Streikrecht, dafür 20-Stunden-Schichten kannte, der für die Arbeiter einen Bettelllohn abwarf, war ein heikles Unterfangen:
"Streik bedeutete damals, dass die Leute keinen Lohn bekommen haben. Die haben den Streik nur durchführen können, weil Freunde, Bekannte für sie gesammelt haben. Streik hat vor allem aber bedeutet, dass man die Stadt, in der man gelebt hat, verlassen musste, weil man in dieser Stadt keine Arbeit mehr bekommen hat – und das hieß tatsächlich, mit der Familie quasi auf Wanderschaft gehen musste, um zu schauen, ob man in irgendeiner anderen Stadt wieder Arbeit bekommt."
Die größte unter den Einzelgewerkschaften
Die Gewerkschaft hatte regen Zulauf. 1878, als Bismarck mit den Sozialistengesetzen gegen die Arbeiterbewegung vorging, stellten die Zigarrenmacher die größte unter den Einzelgewerkschaften. Der Kampf um bessere Arbeitsbedingungen war ein zentrales Thema – es ging aber auch um die Bildung der Arbeiter.
"Die haben aus ihrer Mitte denjenigen gewählt, der lesen und schreiben konnte, haben den von der Arbeit entlastet, haben den gebeten, ihnen vorzulesen, was er dann auch gemacht hat. Aus Büchern, Romanen, vor allem aus politischen Schriften. Und die Zigarrenarbeiter, die dann zugehört haben, während sie gearbeitet haben, haben dann diesen Vorleser aus dem eigenen Lohn bezahlt und haben damit diesen Vorleser finanziert."
Noch heute taucht dieser Vorleser als Grafik neben dem Gewerkschaftslogo auf. 150 Jahre nach Gründung des Vorläufervereins kämpft die Gewerkschaft Nahrung, Genuss, Gaststätten auf ganz anderen Feldern. Lohndumping ist ein großes Problem in ihrem Bereich – die Durchsetzung des Mindestlohns als rechtliche Norm daher ein großer Erfolg besonders für die NGG. Für deren Vorsitzende Michaela Rosenberger sind damit die strukturellen Probleme noch lange nicht gelöst:
"Ein ganz dickes Brett, das wir bohren müssen, das ist die Frage der bevorstehenden Altersarmut, die Kürzung der Renten, die stetige Kürzung der Renten wird schlussendlich dazu führen, dass viele Menschen in diesem Land in die Altersarmut reinrauschen werden."
Denn der Mindestlohn von 8,50 Euro reicht nach Berechnungen der Bundesregierung noch lange nicht aus, um ein Leben über der Grundsicherung möglich zu machen. 150 Jahre nach der Gründung des Zigarrenarbeitervereins muss die Nachfolgeorganisation zwar nicht mehr um Anerkennung kämpfen – aber der Einsatz für bessere Einkommens- und Lebensstandards ist nach wie vor mühsam.