CIA-Folter-Bericht

"Blick in die Hölle"

CIA-Zentrale in an Langley/Virginia
Putzen in der CIA-Zentrale in Langley/Virginia: Der Geheimdienst wird lange brauchen, um sich vom Folterskandal reinzuwaschen. © dpa / picture-alliance / Dennis Brack / Blackstar / Pool
Sylke Tempel im Gespräch mit Korbinian Frenzel · 10.12.2014
Der US-Senatsbericht über die Foltermethoden der CIA ist ein erschütterndes Dokument. Das Image der Amerikaner in der arabischen Welt wird er aber wohl nicht mehr beschädigen - denn das könne nicht mehr schlechter werden, erklärt die Politologin Sylke Tempel.
Für die Chefredakteurin der Zeitschrift Internationale Politik, Sylke Tempel, ist der jetzt vorgelegte US-Senatsbericht über die CIA-Folter ein "Blick in die Hölle".
Im Deutschlandradio Kultur sagte sie, durch den Bericht werde deutlich, dass die amerikanischen Geheimdienste völlig auf Abwege geraten seien. Zugleich beruhige der Bericht aber auch, denn er zeige, dass das politische System der USA zur Selbstkorrektur fähig sei. Das Amerika-Bild werde sich in der arabischen Welt durch den Bericht nicht wesentlich verschlechtern, prognostizierte die Expertin für Außenpolitik. Dort werde den Amerikanern schon jetzt wegen Guantanamo und Abu Ghraib "alles Üble" unterstellt. Für andere westliche Länder sei der Bericht hingegen enorm wichtig, weil er zeige, dass die USA Fehler korrigieren wollten, betonte sie.

Das Interview im Wortlaut:
Korbinian Frenzel: Grausamer als bisher bekannt – das ist das Urteil eines Untersuchungsberichts über die Folterpraxis der CIA, des amerikanischen Geheimdienstes nach dem 11. September 2001. Grausamkeiten, und das ist der zweite Teil des Urteils, die Amerika nicht sicherer gemacht haben. Im Gegenteil, das ist deutlich geworden bei der Vorstellung durch die Vorsitzende des Geheimdienstausschusses des Senats, Dianne Feinstein.
((Einspielung))
Dianne Feinstein, die Vorsitzende des Geheimdienstausschusses des Senats in Washington. Seit gestern ist dieser Bericht öffentlich, und allein das ist ein Politikum. Letztendlich war es der Präsident, war es Barack Obama, der diese Transparenz wollte.
Dürfen wir das schon als gutes Zeichen werten, dass Amerika den Weg zurückgefunden hat aus dieser Zahn-um-Zahn-Ideologie? Zu Gast im "Studio neun" ist Sylke Tempel. Sie ist Chefredakteurin der Zeitschrift "Internationale Politik". Guten Morgen!
Sylke Tempel: Schönen guten Morgen!
Frenzel: So grausam dieser Bericht ist – kann uns die Tatsache, dass es diese Form der Aufklärung, der öffentlichen Aufklärung gibt, beruhigen?
Tempel: Das beruhigt und beunruhigt, weil es beunruhigt natürlich noch mal, weil es im Grunde genommen ein Blick in die Hölle ist. Wenn man noch mal einen Blick darin kriegt, wie die Dienste völlig auf Abwege geraten sind. Und es beruhigt, dass da ein System ist, das zur Selbstkorrektur fähig ist und hergeht und sagt, das arbeiten wir auf, das stellen wir dar und vor allem machen wir das öffentlich. Das wird nicht nur intern gemacht, sondern das wird öffentlich gemacht, damit die Gesellschaft weiß, was da passiert ist.
Frenzel: Sie sagen, Blick in die Hölle, und daraus folgt die Frage nach den Folgen dieses Berichts. Ist das möglicherweise schlimmer, dieser Blick in die Hölle, gerade auch in anderen Teilen der Welt, in der arabischen Welt, wo sich dadurch vielleicht ein Amerikabild festigen könnte, das dort viele haben?
Tempel: Ich glaube, dieses Amerikabild wird sich dadurch nicht wesentlich verschlechtern, denn im Grunde genommen gibt es ja dort große Teile, die sowieso Amerika alles Üble unterstellen. Und daran wird, glaube ich, dieser Bericht nichts ändern. Das ist mit Abu Ghraib und mit überhaupt der Tatsache, dass es Guantanamo gibt, ist das ja schon eingebrochen.
Für andere Gesellschaften wieder - ich glaube, gerade für die europäischen oder für die westlichen demokratischen - ist es enorm wichtig, weil es eben ein Hinweis ist darauf, dass man zur Selbstkorrektur bereit ist, dass man enorme Fehler korrigieren möchte und sich damit auseinandersetzen möchte, was da dazu geführt hat, dass man sich auf diese Abwege begeben hat.
Frenzel: Für wen ist denn dieser Bericht gemacht aus Ihrer Sicht? Für die amerikanische Gesellschaft oder eher für uns in der Welt?
Tempel: In erster Linie für die amerikanische Gesellschaft. Aber wie das mit diesen USA nun mal so der Fall ist, selbst Dinge, die für die amerikanische Gesellschaft wichtig sind. Weil Sie hatten den Schock von Nine-Eleven, sie haben danach mit Methoden reagiert, die nicht mehr mit dem demokratischen System vereinbar sind. Also geheime Folterlager, Auslieferungen, et cetera. Sie müssen das korrigieren. Aber alles, was die USA tun, wird eine Resonanz finden in der Welt.
Ich kann mir gut vorstellen, dass die Regimes, die selber foltern, aber natürlich nie in irgendeiner Weise einen Bericht darüber abgeben, wie China, wie Iran, das natürlich jetzt ganz mit wunderbarer Häme zur Kenntnis nehmen und bei jeder Erwähnung von Menschenrechtsverletzungen gerne mal auf den Bericht verweisen würden, worauf man dann immer nur zurückverweisen kann: Nun ja, es ist ein System, das zu solchen Berichten imstande ist, das wird man von autoritären Systemen wohl nicht sagen können.
Frenzel: Haben Sie denn den Eindruck, dass die amerikanische Gesellschaft in ihrer Breite diesen Sündenfall, staatliche Folter, als solchen auch wirklich erkennt?
Tempel: Das kann man jetzt noch gar nicht sagen. Das wird die – es ist gar nicht natürlich, dass es in der Breite schon erkannt wird. Ich gehe mal davon aus, dass ein Großteil das tatsächlich erkennt, denn das, was dort dargestellt wird, wenn man das erst mal liest, das kann einen nicht kalt lassen.
Aber das wird Zeit dauern, es wird Abwehrreaktionen geben. Wir haben das doch machen müssen, weil ... Ich meine, Dianne Feinstein hat das jetzt gerade noch mal in ihrer ruhigen Art klar gemacht, nein es gab kein "weil", es ist damit kein Attentat abgewendet worden, es sind damit keine Leben gerettet worden. Also dieses Argument wird wegfallen.
Aber es würde mich nicht überraschen, wenn es nicht noch Leute gäbe, die sagen, das war als Sicherheitsmaßnahme notwendig. George Bush hat es ja selber auch verteidigt.
Frenzel: Genau. Es gibt ja viele Stimmen, die in diese Richtung gehen und die eigentlich der Trennlinie Demokraten/Republikaner verlaufen. Und wenn wir uns die politischen Verhältnisse in den USA anschauen, die letzten Zwischenwahlergebnisse, da muss man ja fast davon ausgehen, dass die, die damit gar nicht so ein großes Problem haben, dass die letztendlich doch diejenigen sind, die in Amerika vielleicht in zwei Jahren schon den Ton angeben.
Tempel: Ja, aber so was hat auch gesellschaftliche Auswirkungen. Ich gehe nicht davon aus, dass, wie das Pendant in Amerika immer heißt, Joe Sixpack aus Missouri, sich jetzt ganz genau damit auseinandersetzt. Aber trotzdem wird es eine Resonanz geben.
So was bleibt nicht – es wird immer erst mal Abwehrhaltungen geben. Das kennen wir aus unseren Gesellschaften auch, dass es erst mal Abwehrhaltungen gibt gegen die Selbsterkenntnis, dass man schlimme Dinge getan hat. Und danach kann es schon sein, dass sich das irgendwie dann weiter durchsetzt.
Nur, es wird sehr, sehr schwer werden, einen solchen Bericht, der im Grunde genommen auch ans Urmenschliche geht – was darf man anderen Menschen antun, das ist ja die Grundfrage – dass der in einer Weise so politisch benutzt wird wie viele, viele andere Dinge in dieser unerhörten Gespaltenheit, die wir jetzt in Amerika sehen, auch benutzt werden.
Das ist schon, das berührt schon ganz existenzielle Sachen. Das wird man wahrscheinlich eine Weile sehen, aber ich hoffe doch, dass sich auf Dauer die Erkenntnis durchsetzt, dass es sich hier um zutiefst menschliche Dinge handelt.
Frenzel: Nun kommt Barack Obama aus unserer Perspektive in dieser Situation gerade ganz gut weg mit seinen klaren Worten, mit seiner Aussage, so etwas darf nie wieder passieren.
Aber wir müssen ja auch feststellen, unter ihm haben wir die sanfte Fortsetzung dieser Sicherheitshybris erlebt, Stichwort NSA. Die Dimension ist auf jeden Fall eine andere, das Prinzip aber ist ja eigentlich das gleiche: Sicherheit hat eine höhere Priorität als der Schutz der Grundrechte. Müssen wir in Europa vielleicht nicht akzeptieren, dass hier für eine gewisse Zeit zumindest doch keine Wertegemeinschaft mit den USA besteht?
Tempel: Das würde ich doch in Abrede stellen. Ich glaube, schon, dass wir, weil wir ähnliche demokratische Ordnungen haben, nämlich eine Demokratie, in der Korrektur möglich ist, sind wir immer noch eine Wertegemeinschaft.
Ja, die Balance zwischen Freiheit und Sicherheit mag anders sein, aber Europa oder auch Deutschland darf sich da mal selbst an die Nase fassen.
Das, was die NSA gemacht hat, ist unerträglich. Hier werden riesige Datensammlungen angelegt, das ist vollkommen klar. Aber Deutschland hat von diesen Datensammlungen profitiert, weil dadurch eben tatsächlich auch Attentate mit abgewehrt werden konnten. Unsere eigenen Dienste, das sagen die selber, hätten das gar nicht schaffen können.
Bei uns ist genauso eine Debatte notwendig, was Dienste dürfen und wie wir sie kontrollieren können in Zeiten, in denen technisch einfach so viel möglich ist.
Wir werden in Amerika immer eine leicht andere politische Kultur haben, so wie wir sie ja auch in Großbritannien haben, das ja auch enorme Datenmengen angesammelt hat, worüber wir uns eigentlich kaum echauffieren.
Und dass Obama auch auf anderen Ebenen diese sanfte Sicherheitsmaßnahmen, wie Sie das eben nannten, er hat ja auch Guantanamo nicht geschlossen, was auch daran liegt, dass andere Länder eben auch die Häftlinge nicht mit aufgenommen haben.
Also da wird man schon sich nicht einfach absetzen können, sondern diese Debatte geht uns anders an, immer mit der Maßgabe, dass Amerika natürlich anders reagiert, dass man aber auch sieht, dass nach dem Schock von Nine-Eleven sich doch eine breitere Debatte auftut, die sagt, nicht, weil wir damals den Schock unseres Lebens bekommen haben, weil zum ersten Mal eine Attacke wieder in Amerika stattgefunden hat, können wir uns noch lange nicht alles erlauben und kann das noch lange nicht so sein, dass wir nur noch aus Furcht handeln. Diese Debatte ist schon länger da, und die werden wir auch noch eine Weile sehen. Also, da löst sich einiges auch auf.
Frenzel: Die Politikwissenschaftlerin und Chefredakteurin der Zeitschrift "Internationale Politik", Sylke Tempel. Vielen Dank für das Gespräch!
Tempel: Gerne!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Mehr zum Thema