Chronobiologe zur Sommerzeit

Unsere innere Uhr ist auf Winterzeit eingestellt

Nostalgiewecker steht im Herbstlaub
"Wir würden Millionen Menschen etwas Gutes tun", sagt der Chronobiologe Thomas Kantermenn. © picture alliance / rolf kremming
Thomas Kantermann im Gespräch mit Julius Stucke · 14.09.2018
Ganzjährige Sommerzeit? Bloß nicht, findet der Chronobiologe Thomas Kantermann. Denn diese nehme uns morgens das Licht, das wir dringend brauchten. Die Sommerzeit sei zudem eine künstliche Zeit, an die man sich gewöhnen müsse.
Für Sommerzeithasser könnte sich das Ergebnis der EU-Abstimmung zur Zeitumstellung als Pyrrhus-Sieg erweisen. Zwar hat mit 84 Prozent eine deutliche Mehrheit der hauptsächlich deutschen Teilnehmer der Befragung für die Abschaffung der Zeitumstellung plädiert. Es könnte allerdings sein, dass sie dafür in Zukunft ganzjährig mit der Sommerzeit leben müssen. Zumindest sprach sich Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) in einem Interview mit dem MDR am Freitag dafür aus, dass es in Deutschland künftig nur noch Sommerzeit gibt.
Der Chronobiologe Thomas Kantermann fände das falsch. Für ihn ist die Sommerzeit eine künstliche Zeit, an die man sich auch nicht gewöhnen würde. "Wir brauchen das Licht am Morgen, um uns mit dem Tag zu synchronisieren", sagte er im Deutschlandfunk Kultur. "Und da haut eben die Sommerzeit rein, weil, sie nimmt uns das Licht am Morgen, gibt uns relativ gesehen mehr Möglichkeiten für das Licht am Abend. Und das ist absolut kontraproduktiv mit gesunder Biologie."

"Wir würden Millionen Menschen etwas Gutes tun"

Durch unsere Lebensweise sei in den letzten Jahrzehnten eine "wahnsinnige Vielfalt an Biologie" geschaffen worden, was Spät- und Frühtypen angeht, beklagt der Chronobiologe, der an der FOM-Hochschule für Ökonomie und Management Gesundheitspsychologie lehrt. Für diese Spannbreite müsse man jetzt die passenden Räumlichkeiten schaffen.
Ein Mädchen sitzt traurig auf Steinstufen, den Kopf auf den Tornister gelehnt.
Müde Schüler - alles nur wegen der Sommerzeit?© imago/Westend61
Das bedeutet Kantermann zufolge vor allem flexible Arbeitszeiten und späterer Schulanfang: "Es gibt wunderbare Schulen, die nicht nur die Zeiten aufdröseln, sondern die sogar sagen, dass die Schüler selber ihren Stundenplan legen. Wann machen sie Mathe, wann machen sie Sport, wann machen sie ihre Prüfungen? Kantermann ist sich sicher: "Es wird dahin gehen!"

Hören Sie zum Stand der Zeitumstellungs-Diskussion in der EU auch den Beitrag von Stephan Ueberbach "Von Eulen und Lerchen. EU-Kommission will Ende der Zeitumstellung beschleunigen" aus der Sendung "Studio 9" vom 14.9.2018: Audio Player

Wenn man etwas für die Gesamtbevölkerung, deren Schlafproblematik und Störung der inneren Uhr tun wolle, wäre das "I-Tüpfelchen" die "Sommerzeitdiskussion", so der Chronobiologe: "Weg damit, und dann würden wir auf einen Schlag, ohne auch nur einen einzigen Cent in die Hand zu nehmen, Millionen Menschen etwas Gutes tun!"
(uko)
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