Chronistenpflicht

Von Wolfgang Labuhn |
Der SPD-Vorsitzende Kurt Beck liebt seine pfälzische Heimat, die Leute dort, das Essen, natürlich, den Wein und die Landschaft. Aus ihr bezieht er große Teile seiner Bildlichkeit – Bäume, Büsche, Wälder und Felder. In letztere zieht er gerne Furchen, besonders programmatische, gerade und offene Furchen in fruchtbarer Krume, für jedermann einsehbar.
Doch den Acker säumen Büsche und Bäume – die ideale Tarnung für Heckenschützen und ganze Rudel von Journalisten, die nur darauf lauern, den Vorsitzenden Beck so lange durch die Medien zu hetzen, bis er erschöpft zusammenbricht, wehrlos dem finalen Biß ausgeliefert. So oder ähnlich scheinen führende SPD-Politiker in diesen Tagen das Verhältnis ihrer Partei zu den Medien, aber auch das Verhalten parteiinterner Kritiker zu bewerten.

Kommt hinter den Büschen hervor, zeigt euer Gesicht, rief Beck den Gegnern in den eigenen Reihen dieser Tage zu, bevor er den SPD-Bundestagabgeordneten versicherte, „von außen“ lasse er sich nicht umpusten, im Interesse von Partei und Vaterland müsse er aber auch nicht an seinem Stuhl kleben, sollte er selbst Teil des Problems sein. Nein, nein, das sei keine Rücktrittsdrohung gewesen, versicherten umgehend führende Genossen, eher das Gegenteil, und überhaupt hätten voreilige Medien wieder einmal ungeprüft die Unwahrheit verbreitet.

Da war dann abwechselnd die Rede von „Hetzjournalismus“, so Fraktionsvize Ludwig Stiegler, und von „Rudeljournalismus“, so der Parteifreund Wolfgang Thierse – Wörter, die man eher von den Gegnern einer freien Presse erwarten würde und Wörter, die ein erschreckend hohes Maß an Realitätsverlust belegen.

Denn Journalisten mögen den Niedergang der SPD mit mehr oder weniger Häme beschreiben, Äußerungen ihres Spitzenpersonals mehr oder weniger interpretierend darstellen – erfunden haben sie die Probleme der Sozialdemokraten nicht, weder ihre Abkehr von der Reformagenda 2010 noch Becks verheerendes Eigentor im Umgang mit der Linkspartei kurz vor der Hessen-Wahl, weder ihren beachtlichen Verschleiß an Parteivorsitzenden noch ihre Disziplinlosigkeit im Umgang mit internen Vorgängen, weder ihren Zickzack-Kurs in der Frage der Wiederwahl des Bundespräsidenten noch die Kanzlerkandidaten-Posse, weder den Satzbau des Parteichefs noch die drohende Nichtversetzung der Partei, von der seine Stellvertreterin Andrea Nahles angesichts der schlechten Noten für die SPD sprach.

Publizistische Nachsicht gegenüber einer dermaßen in Unordnung geratenen Partei, die gleichwohl wieder den Kanzler stellen möchte, ist unangebracht. Die Probleme der SPD haben nicht Hetz- und Rudeljournalisten herbeigeschrieben, sondern seriöse Korrespondenten vorgefunden. Die Chronistenpflicht gebietet es ihnen, darüber ebenso extensiv zu berichten wie über das programmatische Schlingern einer Partei, die sich nicht zwischen „demokratischem Sozialismus“ und geordneten Staatsfinanzen entscheiden kann und die mit einem Vorsitzenden auskommen muss, dessen Amt einstweilen kein anderer übernehmen will.

Statt Medienschelte zu betreiben, sollten sich die zahlreichen Plaudertaschen in der SPD zumindest öffentlich mit Kommentaren zurückhalten. Doch steht die bayerische Landtagswahl bevor, droht auch das politische Sommerloch, nachrichtenarm und deshalb um so leichter zu füllen mit immer neuen Gerüchten und Spekulationen, eine Verlockung, der nicht alle so tapfer widerstehen wollen wie Andrea Nahles.

Denn die Galionsfigur der Parteilinken will mit gutem Beispiel vorangehen und sich in diesem Sommer selbst einen Maulkorb verpassen. Sie tauche nun erst einmal gründlich ab in die Sommerpause, erklärte sie vor der Auslandspresse in Berlin, sinnigerweise. Na bitte, geht doch! Aber schade, eigentlich…