Chronist der multikulturellen Wandlung

Rezensiert von Marius Meller · 20.02.2006
Bekannt wurde Feridun Zaimoglu durch sein Buch "Kanak Sprak". Darin zeichnete er die kruden Biografien der "Kanaker"-Jugend und den deutsch-türkischen Slang seiner Generation auf. Auch in seinem neuen Roman "Leyla" betätigt sich Zaimoglu als Chronist der Wandlung einer Nation ins Multikulturelle: Er erzählt die Lebensgeschichte von Leyla, die in einem anatolischen Nest aufwächst und in den 70er Jahren in Deutschland ein neues Leben beginnt.
Feridun Zaimoglu, geboren 1964 im anatolischen Bolu, aufgewachsen in Deutschland, wurde bereits als "Malcom X der Deutsch-Türken" bezeichnet. 1995 wurde er mit dem Buch "Kanak Sprak" bekannt, in dem er die kruden Biografien der "Kanaker"-Jugend und den deutsch-türkischen Slang seiner Generation aufzeichnete, lange bevor dieser als Comedy-fähig und fernsehtauglich erkannt wurde.

Der studierte Mediziner und Bildender Künstler Zaimoglu hat sich in elf Jahren erfolgreich in den deutschsprachigen Literaturbetrieb hineingeschrieben. Sein Roman "Abschaum" kam 2000 unter dem Titel "Kanak Attack" in die Kinos. Wer Zaimoglu schon einmal lesen gehört hat, wer seinen durchrhythmisierten Satzkaskaden gelauscht ha , weiß, dass hier ein eminentes Sprachtalent die deutsche Literaturbühne betreten hat. Mit Zaimoglu und seinen deutsch-türkischen Kollegen ist die deutsche Literatur um ein entscheidendes Etwas reicher geworden. Die Literatur wird multikulturell.

2005 trat Zaimoglu mit einer Kunstaktion an der Kunsthalle Wien hervor, bei der das Gebäude mit hunderten von türkischen Fahnen verpackte. 2005 wurden auch seine und Günter Senkels Shakespeare-Übersetzungen aufgeführt. Beim Wettlesen um den Ingeborg-Bachmann-Preis gewann er mit einer konzisen, kurzen, sprachlich hoch genauen Novelle "Häute" den zweiten Preis, die später in dem Erzählband "Zwölf Gramm Glück" veröffentlicht wurde, in der er sich entscheidend von seinen bisherigen Werken entfernt: In "Häute" erzählte er von der Begegnung eines "Deutschländers" mit seinen türkischen Wurzeln. Sein neuer, Familien-autorbiografischer, mit über 500 Seiten monumentaler Roman "Leyla" bewegt sich im sprachlichen Horizont der "Häute" und entwirft ein Panaroma des Lebens in der anatolischen Provinz und später in Istanbul. Der Zaimoglu der früheren Phase begegnet einem wieder in den harten, gandenlosen Schilderungen von seelischer und körperlicher Gewalt. Erzählt wird die Lebensgeschichte der Mutter Leyla, die als jüngstes von vier Geschwistern in einem anatolischen Nest unter der Knute eines grausamen und herrschsüchtigen Vaters aufwächst, den sie distanzierend nur den "Nährvater" oder den "Mann meiner Mutter" nennt. "Sein Wille geschieht, Demut und Gehorsam". Zaimoglu gelingt das außergewöhnliche Kunststück fast durchgehend aus der Perspektive des Mädchens und später der jungen Frau zu erzählen.

In der Schule zeigt Leyla ein außergewöhnliches Erzähltalent. Sie ist gut in der Schule und will nichts sehnlicher, als aus dem Familiengefängnis auszubrechen. In Istanbul rebellieren die studierenden Söhne gegen den Vater. Nach strenger Sitte entscheiden Leylas Eltern über die Heirat mit "dem Schönen", mit Metin. Leyla wird schwanger, Metin träumt von einer Arbeitsstelle in Deutschland, siedelt aus und verspricht seine Frau, sie und das noch namenlose Kind nachzuholen. Der Roman endet in den 70er Jahren auf dem Münchner Hauptbahnhof, Leyla, ihre Mutter und der kleine Sohn beginnen ein neues Leben in Deutschland.

Zaimoglu gelingt eine außerordentliche Schilderung seiner Familiengeschichte, die zwischen westlichem Lebensstil und ländlich-türkischer Tradition fast aufgerieben wird. In nur zwei Generationen fand mit der Ankunft und Integration der Gastarbeiter eine soziale Wandlung statt – nicht nur für die "Gäste", sondern auch ihre "Gastgeber". Ferdiun Zaimoglu ist eine starke stimme in der deutschen Literatur. Und er ist Chronist dieser Wandlung einer Nation ins Multikulturelle.

Ferdiun Zaimoglu: Leyla
Roman
Kiepenheuer und Witsch, Köln 2006
527 Seiten, 22,90 Euro