Chronik der Inkas

Rezensiert von Carola Wiemers · 25.10.2005
Als Vorlagen für seinen Roman "Der Papst von Indien" diente dem dänischen Schriftsteller Ib Michael ein Manuskript von Felipe Guaman Poma de Ayala aus dem 17. Jahrhundert. Anhand dieser Chronik der Inkas in Peru hat er eine Geschichte geschrieben, die den Leser durch eine blühende Hochkultur bis zu deren Untergang durch die spanischen Kolonialisten führt.
Als Vorlage für seinen Roman diente Ib Michael das Originalmanuskript einer von Felipe Guaman Poma de Ayala im 17. Jahrhundert verfassten und jedem Leser der Königlichen Bibliothek in Kopenhagen zugänglichen Chronik der Inkas Peru. Die historische Figur des Prinzen Poma de Ayala wurde, obwohl er Vollblutindio war und seine Familie nicht "an der Wurzel gespalten", von seinem Besitz vertrieben und enteignet.

Sein Schicksal steht für das der Inkas. Als er seine Chronik eines Völkermordes zu schreiben beginnt, lebt er bereits viele Jahre in einem kleinen Andendorf im Exil. Verjagt aus seinem Namen, von den Vorfahren und der Familie weggerissen, ist er ein in jeder Hinsicht zu Unrecht Enterbter. Dennoch ist seine über 1000 Seiten starke Niederschrift keine wütende Anklage an die spanischen Kolonialisten. Ihm geht es darum, die Geschichte der Inkas erstmals mit indianischen Augen zu sehen. In seinem Nachwort schreibt Ib Michael: "Poma de Ayala ist eine Stimme, die von jenseits des Grabes spricht, ein Prinz, der anderes und mehr auf dem Herzen hatte als eine bittere Abrechnung mit seiner Gegenwart. Hier spricht der letzte Häuptling einer großen Kultur, die in der Begegnung mit der unseren unterging."

Der Roman gliedert sich in vier Kapitel, in denen die Erzählperspektive vielfach wechselt, so dass sich ein Spektrum von Stimmen ergibt, mit denen vom blühenden Reichtum einer Kultur sowie deren Untergang berichtet wird. Mit der literarischen Figur des Don Felipe wird der Leser durch eine Geschichte geführt, die von Massakern, Raubzügen und Epidemien gezeichnet ist. Dabei begleitet wird er von dem taubstummen Hirtenmädchen Avelina und seinem Enkel Patricio, mit denen zwei weitere Handlungsstränge verbunden sind. Indem Ib Michael seinen Roman mit dem Bericht der stimmlosen Avelina beginnt, verleiht er dieser Figur besondere Bedeutung. Erinnert wird an eine Zeit, da die Welt Chaos war, weil ihr keine Worte zur Verfügung standen, um die eigenen Gedanken zu spiegeln und sich ihrer selbst zu vergewissern. Poma de Ayala, durch sein Schreiben selbst Außenseiter im Dorf, befreit sie aus dieser Isolation, indem er Avelina Lesen und Schreiben beibringt und ihr damit ein Universum von Wörtern schenkt, die sie aus dem Dunkel führen.

Poma de Ayalas Originalhandschrift wurde mit 399 Zeichnungen von ihm selbst illustriert. Im Roman heißt es, dass sie das zum Leuchten bringen sollen, was nicht in Worte gefasst werden konnte und durfte. Acht dieser Originalzeichnungen sind in Ib Michaels Roman eingefügt und stellen mehr als eine Bebilderung des literarischen Geschehens dar.
Ib Michael: Der Papst von Indien
Roman
Aus dem Dänischen von Sigrid Engeler
Carl Hanser Verlag, 2005
350 Seiten, 24,90 Euro