Chronic Fatigue Syndrom - CFS

Die rätselhafte Krankheit der permanenten Erschöpfung

07:12 Minuten
Eine Frau fasst sich an den Kopf, hinter ihr ist an der Wand ihr Schatten zu sehen.
Man hat für nichts mehr Kraft: CFS bleibt rätselhaft, trotz der Einstufung als neurologische Erkrankung vor 50 Jahren. © picture alliance / dpa / Oliver Killig
Von Hanna Ender · 25.07.2019
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Müdigkeit, Muskelschmerzen, Grippesymptome als Dauerzustand: So geht es Menschen, die unter dem Chronic Fatigue Syndrom leiden. Eine Krankheit, über die auch Ärzte nicht gut Bescheid wissen – und die hierzulande geschätzt 300.000 Patienten betrifft.
Kerstin Gech sitzt in einem Café in Berlin-Mitte und verscheucht ein paar Spatzen, die gierig auf ein paar Krümel ihres Blaubeerkuchens sind. Die 49-Jährige wirkt wie eine Frau, die mitten im Leben steht. Aber tatsächlich kann schon ein Tagestrip nach Berlin für die Brandenburgerin eine gewaltige Anstrengung sein.
Denn Kerstin Gech leidet seit über 10 Jahren an CFS – dem Chronic Fatigue Syndrom. "Ich habe morgens gelegen", erzählt sie, "und habe gedacht: 'Scheiß Tag! Kannst dich kaum bewegen, alles tut dir weh.' Bin total gerädert aufgestanden, obwohl ich acht Stunden oder neun Stunden geschlafen hatte."

Grippesymptome, die nicht aufhören

Wie eine Dauergrippe fühlen sich die Symptome an. Angefangen haben die Schwächeanfälle von Kerstin Gech nach einer Herzmuskelentzündung. Schon die kleinen Dinge des Alltags strengen sie an.
"Hab ich irgendwas gemacht, ich sag mal, einmal in Keller gegangen oder geduscht", sagt Kerstin Gech, "dann war ich anschließend schon total hinüber. Und ständig außer Atem, Luftnot gehabt, dann Herzrasen und permanent Temperatur, also erhöhte Temperatur. Und ich wusste: Okay, irgendwas stimmt da nicht."
Carmen Scheibenbogen kennt solche Fälle zu Hauf. Sie leitet die das Chronic Fatigue Zentrum und die Immundefektambulanz an der Charité Berlin. Dort bietet sie eine eigene Sprechstunde für CFS-Patienten an – die einzige in ganz Deutschland.

Zwei Jahre von Arzt zu Arzt geschickt

"Es sind in der Regel Menschen, die meistens aus voller Gesundheit erkranken", erklärt Carmen Scheibenbogen, "nach einer Infektion, oft in einer stressigen Lebensphase. Und die erholen sich von der Infektion nicht mehr und bleiben anhaltend sehr erschöpft, haben starke Konzentrations-Probleme, Gliederschmerzen, so wie sie es bei der Infektion auch erlebt haben."
Scheibenbogen sagt, dass die Krankheit oft lange unentdeckt bleibe. Das hat auch Kerstin Gech erlebt. Zwei Jahre wird sie von Arzt zu Arzt geschickt, wird untersucht, geröntgt, im Schlaflabor getestet. Dann endlich eine Diagnose. Verdacht auf CFS.
"Ich bin damit zu meinem Hausarzt gegangen", sagt Kerstin Gech, "die erste Reaktion war: 'Was ist Chronic Fatigue Syndrom?' Er so: 'Das ist Burn-out'. Ich sag: 'Aber nicht drei Jahre oder vier Jahre, nachdem ich schon zu Hause bin. Woher soll da Burn-out kommen?"

Fehlendes Wissen über die Erkrankung CFS

"Diese Diagnosen werden dem Patienten aber oft fälschlicherweise gegeben", sagt Carmen Scheibenbogen, "vielleicht auch, weil viele Ärzte sich mit der Erkrankung nicht gut auskennen, vielleicht auch, weil sie nach wie vor falsch eingeordnet ist. Sie wurde ja lange Zeit auch als eine psychische, psychiatrische Erkrankungen betrachtet."
Doch CFS ist keine psychische Erkrankung. Die Weltgesundheitsorganisation stuft sie als neurologische Krankheit ein. Scheibenbogen ist überzeugt, dass es sich bei CFS um eine fehlgesteuerte Reaktion des Immunsystems handelt.
"Wir gehen davon aus, dass es eine Auto-Immunerkrankung ist", erläutert sie, "die sich richtet gegen das sogenannte autonome Nervensystem. Es kommt zu vielfältigen Funktionsstörungen der Atmung, des Kreislaufs, oft zu schneller Herzschlag und Schwindel beim Aufstehen, und viele weitere Symptome. Und was ganz charakteristisch für die Erkrankung ist: Man kann sich kaum noch belasten."

Permanente Abwehrreaktion führt zu Erschöpfung

Eine andauernde Reaktion der Körperabwehr gegen eigene Strukturen rufe demnach die Beschwerden hervor. Deswegen fühlen sich CFS-Patienten permanent erschöpft. Kerstin Gech ist laut ärztlichem Gutachten "vollerwerbsunfähig" und 2012 in Frührente gegangen, mit Anfang 40.
"Es war ein ewiger Lernprozess, runter zu schalten", erinnert sie sich. "Ich habe ja vorher gepowert, 16-Stunden-Tage gehabt. Und plötzlich war da noch vielleicht irgendwo drei, vier Stunden Aktivität am Tag. Da muss man schon ziemlich lange an sich selber arbeiten, bis man das akzeptieren kann."
Was für Gech aber fast noch schlimmer war: Sie musste jahrelang um die sozialrechtliche Anerkennung ihrer Krankheit kämpfen. Carmen Scheibenbogen kennt das: In ihrer Sprechstunde brechen die Patienten manchmal in Tränen aus. Nicht weil sie das Chronic Fatige Syndrom haben, sondern Existenzängste.

Arbeitsunfähigkeit erzeugt Existenzangst

"Der typische Patient mit CFS kann nicht mehr arbeiten, liegt die meiste Zeit zu Hause", sagt Carmen Scheibenbogen. "Sie bekommen oft auch sehr viel Unverständnis von ihrem Arbeitgeber. Und im schlimmsten Fall bekommen die Patienten ihre Diagnose auch nicht anerkannt, bekommen dann auch nicht ihre Erwerbsunfähigkeitsrente. Also, diese Patienten sind doppelt gestraft."
75 Prozent der Betroffenen sind arbeitsunfähig, 25 Prozent sind so schwer betroffen, dass sie das Haus nur noch selten verlassen können. Um diesen CFS-Patienten zu helfen, wurde 1993 Fatigatio e.V. gegründet. In einem Hinterhof in Berlin-Mitte hat der Verein seinen Sitz, und zählt etwa 1800 Mitglieder.

Ein Verein bietet Unterstützung an

Wolfgang Lauterbach sitzt im kleinen Vereinsbüro vor seinem Bildschirm und beantwortet die unzähligen Anfragen von Betroffenen, "zu sozialrechtlichen Fragen, zu Fragen bei der Behandlung, zu Behandlungsmöglichkeiten. Zu den verschiedensten Problemen, die sie haben."
Der 62-Jährige atmet schwer und spricht sehr langsam. Wolfgang Lauterbach leidet selbst an CFS, nimmt sich aber trotzdem die Zeit, um E-Mails zu beantworten.
"Unser größeres Problem ist", erzählt er, "dass Allgemeinmediziner speziell in diese Richtung zu wenig geschult sind. Einige Universitäten oder universitäre Einrichtungen haben damit begonnen, hier Weiterbildungen anzubieten. Aber es reicht bei Weitem noch nicht aus."

Mehr Menschen an CFS erkrankt, als an Multipler Sklerose

Schätzungsweise 300.000 Menschen leiden in Deutschland am Chronischen Fatigue Syndrom - das sind mehr Patienten als an Multipler Sklerose erkrankt sind. Trotz dieser hohen Zahl gebe es in Deutschland zu wenige Anlaufstellen für Patienten und zu wenige Forschungsgelder, sagt CFS-Expertin Scheibenbogen.
"Das heißt, wir müssen mehr forschen", fordert sie, "um besser zu verstehen, was ist nicht in Ordnung. Und dann müssen wir Therapie-Studien machen mit Medikamenten, die wir dann auch zulassen können, beziehungsweise, die von der pharmazeutischen Industrie zugelassen werden. Und nur dann können wir alle Patienten gezielt behandeln."
Bisher bekommen bis zu 90 Prozent der Erkrankten in Deutschland keine ausreichende Therapie. Weil das Bewusstsein für CFS kaum vorhanden ist, fehlt den Betroffenen eine Lobby. Dabei ist das Chronic Fatigue Syndrom eine Krankheit, die jeden treffen kann.
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