Christoph Butterwegge

"Armut bekämpfen, indem man den Reichtum antastet"

Christoph Butterwegge, Politikwissenschaftler und Armutsforscher, steht vor einer mit Graffitis besprühten Mauer
Scharfer Kritiker der Agenda 2010: Armutsforscher Christoph Butterwegge © imago stock&people
Von Anke Petermann · 06.02.2017
Am 12. Februar 2017 wird der Bundespräsident gewählt - die Wahl des SPD-Kandidaten Frank Walter Steinmeier gilt als sicher. Für die "Linke" geht der Kölner Armutsforscher Christoph Butterwegge ins Rennen - zwar ohne Wahlchance, dafür aber mit umso mehr Sendungsbewusstsein.
"Herzlich willkommen, Ihnen und Euch allen!"
Im Saal unterm Dach des Landtags begrüßt Linksfraktions-Chefin Janine Wissler Linken- und Grünen-Politiker aus ganz Hessen. Christoph Butterwegge selbst ist 2005 wegen der Hartz-Reformen aus der SPD ausgetreten und parteilos, wird vom Publikum aber geduzt wie ein Genosse. Die Älteren kennen ihn noch persönlich aus drei Jahrzehnten Friedensbewegung, die Jüngeren zumindest aus den Medien: Zum Thema soziale Spaltung ist der Kölner Armutsforscher häufiger Gast in Talkshows. Ein Outsider, aber kein Unbekannter.
"Ich freue mich unheimlich, dass du kandidierst, das ist ganz großartig",
schwärmt Michael Erhardt, Vize-Landeschef der Linken in Hessen. Der IG-Metaller sieht Gewerkschaftsforderungen nach sozialer Gerechtigkeit bei Butterwegge "eins zu eins" aufgehoben. Der Professor und Buchautor kreierte einst den Begriff "Paternoster-Effekt", damit argumentierte er gegen die Hypothese an, dass der Aufschwung alle im Fahrstuhl nach oben mitnimmt. Arm und reich fahren getrennt, hält Butterwegge dagegen.
"Die einen fahren nach oben, und die anderen fahren nach unten, und zwar deshalb, weil arm und reich zwei Seiten derselben Medaille sind. Niedrige Löhne bedeuten hohe Gewinne. Und deshalb kann man durch Reichtums-Förderung nicht die Armut bekämpfen."

Armutsbekämpfung: Aktionäre in die Pflicht nehmen

Geradezu lieblos spricht der Armutsforscher über Reiche, namentlich BMW-Großaktionäre - gegen deren Dividende seien die Vorstandsgehälter bei Banken oder der Autoindustrie "Peanuts".
"Sie sind zu wenig präsent, auch in Bezug darauf, dass sie stärker besteuert gehören und dass auf diese Art und Weise der Staat in den Stand versetzt werden müsste, soziale Probleme zu lösen."
Die Antwort auf die soziale Frage sei also,
"Man muss die Armut bekämpfen, indem man den Reichtum antastet."
Beim linken Publikum in Wiesbaden kommt das an. Der Polarisierer, der Bundespräsident werden will, gibt gern den Störenfried. Das war schon Anfang der 70er Jahre so, erzählt er: damals als Jungsozialist in der Dortmunder SPD. Zwanzig Jahre später erforschte der Sozialwissenschaftler, wie sich Rüstungsfirmen in zivile Betriebe umwandeln lassen und welche Strategien der Rechtsextremismus nutzt. Schließlich landete er bei der Kinderarmut. Selbst fühlte er sich als Schüler abgewertet – wegen seiner sozialen Herkunft.
"Als Jugendlicher auf dem Schulhof zu stehen und ausgelacht zu werden, weil man Sandalen und Sommerkleidung anhat, das kann ich nachvollziehen und ich kann auch nachvollziehen, dass die Betreffenden dann mehr leiden unter dem Ausgelacht-Werden durch die Klassenkameraden als unter der Kälte. Und insofern habe ich ein Stück Empathie, und sicherlich habe ich mir dieses starke Engagement für soziale Gerechtigkeit aus der Jugend bewahrt."

Umverteilung gesetzlich regeln - und nicht auf Almosen hoffen

Empathie, die Butterwegge auf keinen Fall in "Caritas", christliche Nächstenliebe, übersetzt haben möchte. Das Karitative verabscheut der Professor, der im roten Poloshirt unterm zu groß wirkenden Sakko weder professoral noch präsidial wirkt. Er kritisiert Bestrebungen,
"...aus dem Volk der Dichter und Denker ein Volk der Stifter und Schenker zu machen, also die Reichen aufrufen, über Spenden, Stiftungen und Mäzenatentum die Armut zu bekämpfen – das ist gut, wenn Reiche das tun und einen Teil ihres Reichtums abgeben, aber eigentlich müssen demokratisch legitimierte Gremien die Entscheidung darüber treffen, wo und wie die Armut bekämpft wird."
Zum Beispiel mit einer Bürgerversicherung – die aus privater und gesetzlicher Krankenversicherung nur eine einzige macht, wie es SPD, Grüne und Linke wollen. Dann - so Butterwegge - würden Reiche zu Abgaben verpflichtet und ärmere Menschen finanziell entlastet. Wäre Butterwegge Bundespräsident, dann hätte sich die große Koalition soeben wohl eine Rüge eingefangen - für die Nullrunde bei Hartz IV für Kinder unter sechs Jahren. Nicht vereinbar mit dem Sozialstaatsgebot des Grundgesetzes – daran hätte er die Bundesregierung erinnert – voller Empathie mit dem kleinen benachteiligten Jungen, der er selbst mal war.
Mehr zum Thema