„Wenn wir überhaupt so etwas wie einen Slogan haben, dann wäre der: 'Verschieden glauben – gemeinsam handeln – für unsere Erde, jetzt'.“ Das sagt Yvonne Berlin, sie ist Mitbegründerin der
Christians for Future, einer ökumenischen Bewegung, die eine Stimme im Chor der Klima-Aktivistinnen und -Aktivisten sein will, die hinter Fridays for Future stehen.
Klima-Demo bei widrigem Wetter
An einem nasskalten, windigen Freitagmittag vor einigen Wochen sucht Yvonne ihre Gruppe für die Demonstration zusammen. Dicke graue Wolken bauschen sich am Himmel, immer wieder regnet es. Einige der Christians for Future-Mitglieder stecken noch im Bahnverkehr fest, weil der starke Wind überall in Deutschland Bäume entwurzelt hat, die Schienen blockieren. Um die 40 Teilnehmerinnen und Teilnehmer hatten sich angesagt.
Auf der Hauptbühne vor dem Brandenburger Tor laufen schon die Soundchecks. In einer Musikpause erzählt die 44-jährige Yvonne, wie sie sich auf den Tag vorbereitet hat.
Heißer Tee für Weitgereiste
„Die Stimmung ist ganz gut. Ich habe ganz gut geschlafen, viele sind noch unterwegs, manche haben auch nur zwei Stunden geschlafen, das weiß ich schon", sagt die Aktivistin. "Wir werden dafür sorgen, dass alle anderen auch von uns gestärkt und gestützt werden. Ich habe alles dabei: Nahrung, heißen Tee, Kaffee, und freue mich auf unseren Tag heute.“
Yvonne Berlin hat die Initiative Christians for Future mit gegründet.© Deutschlandradio / Lucia Weiß
Wie Yvonne Berlin ist auch die Frankfurterin Kerstin Wohlfahrt Mutter. Einer ihrer Söhne macht bei den Fridays for Future mit, sie selbst ist bei den Christians for Future in Hessen aktiv.
Ich würde mir von der Kirche noch eine klarere Position für die Klimaziele wünschen, eine Position, die auch gegenüber der Regierung und der Politik geäußert wird, aber eben auch in ihren eigenen Institutionen umgesetzt und in ihre Gemeinden getragen wird und noch mehr Menschen mobilisiert und sensibel macht für das Thema.
Kerstin Wohlfahrt, Christians for Future
Die Christians for Future gibt es seit 2019. Getragen wird die Arbeit von Ehrenamtlichen. Die Bewegung versteht sich als ökumenisch. Bundesweit sind nach eigenen Angaben 150 Mitglieder aktiv. Die meisten Aktionen finden Corona-bedingt im Internet statt. Zum Beispiel der virtuelle Klima-Chor, den die Christians for Future gemeinsam mit der Umwelt-Bewegung Extinction Rebellion ins Leben gerufen haben.
Klima-Andachten im Internet
Auf Youtube gibt es außerdem Videos von live-gestreamten Veranstaltungen, zum Beispiel Klima-Andachten. Vor der Internationalen Klimakonferenz COP 26 in Glasgow haben Yvonne Berlin und ihre Mitstreiterin Nasrin Büttner in einem halbstündigen Video zum Beten und Besinnen eingeladen.
Wir wollen unseren Kindern und Enkeln doch auch noch eine gute Zukunft auf der Erde ermöglichen. Wir könnten es wunderschön hier auf unserer Welt haben, wenn alle vorhandenen Güter gerecht verteilt und wertschätzend mit ihnen umgegangen würde – und das Sein mehr im Mittelpunkt unserer Existenz stehen würde, als das Haben.
Nasrin Büttner, Christians for Future
Die Kirchen fördern die Klimagerechtigkeit bereits – wie sie in der Enzyklika Laudato si’ von Papst Franziskus oder dem EKD-Text 130 „Geliehen ist der Stern, auf dem wir leben“ festgehalten ist, so heißt es auf der Homepage der Christians for Future. Aber all das reiche nicht aus, nötig sei eine drastische Umkehr.
Deswegen hat die Gruppe im vergangenen September zwölf Forderungen an 37 Kirchen und Bistümer übergeben: Die Christians for Future fordern Geld für Personal in den Kirchen, das sich mit dem Klimawandel beschäftigt. Außerdem verlangen sie die ökologische Bewirtschaftung von kircheneigenen Flächen und öffentliche Aktionen der Kirchen gegen den Klimawandel.
Kritik an fehlendem Rückhalt in der Kirche
Dass es vor Ort in den Gemeinden noch oft an Unterstützung fehle, erzählt Lutz Neumann. Der 62-Jährige kritisiert, dass sich der Pfarrer in seiner Heimatgemeinde im Bistum Mainz nicht genug einsetze für die Erneuerung der katholischen Kirche, wozu auch der Klimaschutz gehöre:
„Für mich ist das Thema, wenn man mal von der Enzyklika Laudato si’ von Papst Franziskus absieht, in der katholischen Kirche ein blinder Fleck. Da passiert von oben wenig, deshalb ist ja meine Idee, zumindest in meiner Gemeinde 'Verklärung Christi' kann ich vielleicht für fünf, für drei, und wenn es nur einer ist, einen Anstoß geben.“
Lutz Neumann, Katholik im Bistum Mainz
Lutz Neumann ist einer von drei Interessenten, die an einem Zoom-Meeting für Einsteiger bei den Christians for Future teilnehmen. Die 50-jährige Eva Eckmiller aus Berlin ist auch dabei.
„‘Die Erde ist des Herrn und was darinnen ist‘, steht in einem Psalm", sagt Eckmiller, "und diese Erde, die Gott so wundervoll und mit so viel Leben geschaffen hat, die ihm gehört, die müssen wir schützen, das ist der erste Auftrag, die Welt zu verwalten. Wir sind die Lebewesen mit einem Hirn und einer Abstraktionsfähigkeit und einer Organisationsfähigkeit, die am maßgeblichsten gestaltend eingreifen in diese Welt, seit es uns gibt.“
Motivation aufgrund der Lebensgeschichte
Die Schöpfung zu bewahren, das ist eine Begründung, die ich immer wieder höre, während ich die Christians for Future begleite. Mir fällt auf, dass sich viele von den Menschen, denen ich begegne, mehrfach engagieren: bei den Parents for Future zum Beispiel, oder in schon bestehenden Arbeitsgruppen zum Klimawandel in ihrer Heimatgemeinde.
Auch der Lebensweg und die eigene Glaubensbiografie spielen eine Rolle – so wie für die Protestantin Yvonne Berlin. Am Rande der Klimademo in Berlin, auf der die Band Milky Chance den Demonstranten schon einheizt, schildert sie, wie sie als Kind in der DDR aufgewachsen ist.
Wurzeln in der DDR-Friedensbewegung
„Das ist sowieso schon in der Wurzel bei mir angelegt", sagt Yvonne Berlin. "Unsere Mutter war sehr aktiv in der ökumenischen Friedensbewegung in der Erlösergemeinde Potsdam, und später in der Martin-Luther-Gemeinde in Potsdam, und da sind auch alle Kontakte mit anderen Familien entstanden und wir Kinder hatten da natürlich Christenlehre. Aber da ist auch so der Zugang gelegt worden, zum Glauben, dass das was sehr Positives sein kann."
In Gemeinschaft findet man auch einen neuen Schutzort. Und gerade in einem anderen System, wo man dann selbst in der Kirche aktiv ist, findet man in der Gemeinschaft andere Menschen, die ähnlich denken und ähnliche Lebensvorstellungen haben.“
Yvonne Berlin, Christians for Future
Glauben und politisches Engagement scheinen für Yvonne Berlin zusammenzugehören. Ihre Familie ging noch vor dem Fall der Mauer in den Westen. Bis heute halten sie zusammen, ihr Vater und ihre Schwester sind bei der Klimademo in Berlin auch dabei.
Engagement aller Generationen und Konfessionen
Wichtigstes Accessoire ist an diesem Tag: Die grün-weiße Fahne der Christians for Future, mit der blauen Friedenstaube. Yvonne Berlin hat sich eine um die Schultern gewickelt. Nicht alle der Christians for Future finden sich im Demotrubel noch zusammen und so ziehen nur ein paar wie geplant im interreligiösen Block mit.
Physikstudentin Jule schreibt ihre Bachelorarbeit über Klimaforschung.© Deutschlandradio / Lucia Weiß
Am Samstag, beim After-Brunch zur Klimademo, in Yvonne Berlins zu Hause im Stadtteil Schöneberg, treffe ich Jule. Die 20-Jährige hatte es am Tag zuvor nicht mehr rechtzeitig auf die Demo geschafft. Sie ist das erste jüngere Mitglied der Christians for Future, mit dem ich spreche.
Folgen der menschlichen Überheblichkeit
Im lichtdurchfluteten Wohnzimmer ist der Frühstückstisch schon gedeckt. Jule, lange blonde Haare und Wollpullover, rückt noch einige Teller zurecht und schraubt schon mal die Marmeladengläser auf. Jule schreibt ihre Bachelorarbeit im Bereich Klimaforschung. Dann erzählt die Physikstudentin, warum sie sich auch als Christin für den Klimaschutz einsetzt:
„Für mich ist es tatsächlich die Nächstenliebe. Man hört immer viel von der Schöpfungsgeschichte in diesem Zusammenhang. Damit habe ich meine Probleme. Ich finde, die Stelle mit dem Menschen als 'Krone der Schöpfung', das ist so ein bisschen diese menschliche Überheblichkeit, und vielleicht hängt es auch damit zusammen, dass wir die Erde ja eigentlich kaputtmachen.“
Jule, Physikstudentin bei den Christians for Future
Die Kirchen hätten beim Schutz des Klimas noch Nachholbedarf, erklärte der evangelische Landesbischof von Hannover Ralf Meister anlässlich der Übergabe der Forderungen von Christians for Future im September. Yvonne Berlin erzählt, dass sie aus den oberen Reihen der Kirche hört: Wir sind froh, dass es euch Aktivistinnen und Aktivisten gibt, wir brauchen den Druck, um selbst weiterzukommen.