Christian Strenger: "Bsirske hat nicht das rechte Augenmaß walten lassen"

Christian Strenger im Gespräch mit Marcus Pindur |
In der Diskussion um den Lufthansa-Freiflug des ver.di-Vorsitzenden Frank Bsirske hält der DWS-Aufsichtsrat Christian Strenger die Angemessenheit des genutzten Fluges für fraglich. Es sei grundsätzlich nichts daran auszusetzen, dass Aufsichtsratsmitglieder Gratisflüge antreten. Es müsse nur transparent gemacht werden und angemessen sein, so Strenger. Bsirskes Flug während des Streiks sei zumindest taktisch "nicht sehr geschickt" gewesen.
Marcus Pindur: Frank Bsirske ist Chef einer der größten deutschen Gewerkschaften, der ver.di. Ein Amt, das ihn voll in Beschlag nimmt, eine äußerst stressige Spitzenposition. Es wird niemanden geben, der Frank Bsirske nicht seinen wohlverdienten Urlaub gönnt. Das Problem ist: Während der Aufsichtsrat Bsirske auf Kosten des Unternehmens Lufthansa in den Urlaub flog, bestreikten die ver.di-Kollegen Bsirskes eben dieses Unternehmen, die Lufthansa. Gleich wurden Rufe nach Rücktritt laut.

Wie anrüchig ist das, was Bsirske tat? War es lediglich ein taktischer Fehler? Hat es nur ein kleines Geschmäckle oder ist es ein grundsätzlicher Webfehler unserer Unternehmensführung, wenn Gewerkschaftsspitzenfunktionäre gleichzeitig in Aufsichtsräten sitzen? Wir wollen darüber reden mit Christian Strenger, er ist DWS-Aufsichtsrat und Mitglied der Regierungskommission Corporate Governance Codex. Guten Morgen, Herr Strenger!

Christian Strenger: Guten Tag, Herr Pindur!

Pindur: Die Lufthansa-Aufsichtsräte können alle ein Kontingent an Freiflügen abfliegen, nicht nur die Gewerkschaftsvertreter, und auch die Lufthansa-Angestellten können extrem billig bzw. gratis fliegen. Warum dann nicht auch Frank Bsirske?

Strenger: Daran ist auch grundsätzlich nichts auszusetzen, es muss nur transparent gemacht werden und angemessen sein. Inwieweit zwei Flüge in die Südsee, das ist so die größte Entfernung, die man sich wohl vorstellen kann, noch dem Kriterium der Angemessenheit genügen, das ist wohl hier die Frage.

Dass Aufsichtsratsmitglieder, ob Vertreter der Anteilseigner oder der Arbeitnehmer, einen solchen Gratisflug antreten und damit ja auch sich ein Bild von der Leistungsfähigkeit des Unternehmens machen, das steht nicht so sehr zur Debatte. Es muss nur transparent sein, denn das ist ja ein geldwerter Vorteil, der hier gewährt wird, das muss ausgewiesen werden. Dazu hat der Kodex auch ganz klare Vorgaben, das muss individuell ausgewiesen werden. Und es sollte natürlich angemessen sein, das heißt, im Rahmen dessen liegen, was man als Aufsichtsrat für eine solche Tätigkeit in Anspruch nehmen kann.

Pindur: Sind denn Ihres Wissens die Lufthansa-Aktionäre davon informiert, wie diese Konditionen für die Aufsichtsräte aussehen?

Strenger: Ich glaube, dass das grundsätzlich der Fall ist. Wie es im Detail ist, ist vielleicht nicht so genau erforderlich. Die Lufthansa hat das ja in ihrem Geschäftsbericht auszuweisen. Das sollte aber auch dann mit dem sogenannten Verkehrswert angegeben werden, damit sich die Aktionäre und andere ein klares Bild machen können, was dem einzelnen Aufsichtsrat an zusätzlichen Vergünstigungen über sein Aufsichtsratssalär hinaus zugekommen ist.

Pindur: Sie sagen, es sollte angemessen sein. Darin schwingt mit, dass es auch ein taktischer Fehler Bsirskes war. Aber muss man nicht grundsätzlich besser trennen zwischen den Funktionen, die ein Spitzenvertreter der Gewerkschaft hat, und denen, die ein Aufsichtsrat hat?

Strenger: Ja, der Aufsichtsrat hat nun die Aufgabe, sich ein klares Bild vom Unternehmen zu machen, um entsprechende Kontrolle und Prüfungen ausüben zu können. Und dazu gehört natürlich auch, die Dienstleistung des Unternehmens bei einem solchen Flug gelegentlich zu überprüfen. Es geht um das Maß der Dinge, um das Augenmaß. Und ich glaube, es gibt viele, auch aus den Reihen der Gewerkschaft, die meinen, dass Herr Bsirske hier nicht das nötige Augenmaß hat walten lassen.

Pindur: Stehen denn andere Aufsichtsräte, von der Arbeitgeberseite zum Beispiel, unter der gleichen Beobachtung wie so ein Gewerkschaftsfunktionär? Also Bsirske sagt ja jetzt, wenn zwei dasselbe machen, dann ist das nicht unbedingt das Gleiche, wie sich an meinem Fall zeigt.

Strenger: Natürlich stehen die unter derselben Beobachtung und Transparenzverpflichtung. Es scheinen aber, soweit ich das aus dem Geschäftsbericht 2007 entnehme, nicht sehr viele andere Aufsichtsratsmitglieder die Möglichkeit von Freiflügen in diesem Ausmaß zu nutzen.

Pindur: Sollten die Gewerkschaften vielleicht nicht eher ihre Spitzenfunktionäre eben nicht mehr in die Aufsichtsräte entsenden, sondern zum Beispiel Generalbevollmächtigte im Auftrag der Gewerkschaften oder gewerkschaftsnahe Anwälte oder vielleicht auch eher Gewerkschaftsfunktionäre aus der zweiten Reihe?

Strenger: Das Entscheidende ist, dass dem Unternehmensinteresse durch ein Aufsichtsrat gedient wird. Wenn ein Aufsichtsrat die Kriterien dieser Qualitätsaufgabe gewachsen ist, dann sollte man es nicht von der ersten oder zweiten Reihe abhängig machen, sondern sagen, dient er dem Unternehmensinteresse? Es ist natürlich in dem Fall, das ist ja nicht zum ersten Mal passiert, so, dass Herr Bsirske wohl nur aus der Ferne auf den Streik einwirken konnte, während er bei der früheren Gelegenheit sich selber dort an die Spitze gesetzt hat. Und dass das dem Unternehmensinteresse dienen soll, das wurde bei der früheren Gelegenheit eindeutig verneint und hat ja auch dazu geführt, dass Herrn Bsirske bei der Hauptversammlung, die darüber zu befinden hatte, die Entlastung mit Mehrheit versagt worden ist.

Pindur: Also wäre es nicht konsequent für Bsirske gewesen, schon damals sein Mandat abzugeben an jemand anders?

Strenger: Das haben viele so gesehen. Ich glaube, er selber hat mit Unterstützung seiner Kollegen das Amt dann weiter beibehalten. Da die Kollegen das nun wohl anders sehen, könnte ich mir vorstellen, dass es für Herrn Bsirske sehr schwer werden wird, die Kollegen von der Richtigkeit der Ausübung dieses Amtes zu überzeugen.

Pindur: Jetzt mal abgesehen von den gespaltenen Loyalitäten und den Schwierigkeiten, die das mit sich bringt, diese Doppelfunktion einerseits, Spitzenfunktionär der ver.di zu sein, andererseits Aufsichtsrat der Lufthansa - kann jemand überhaupt, der in so einer wichtigen und zeitaufreibenden Funktion ja auch tätig ist wie Bsriske bei der ver.di, eigentlich noch seriös als Aufsichtsrat nebenher die betriebswirtschaftlichen Entscheidungen des Vorstands der Lufthansa bewerten?

Strenger: Ich glaube, wenn er sich die ausreichende Zeit dafür nimmt, dann ist das durchaus möglich. Nun muss nicht jeder Aufsichtsrat alles im Detail können und wissen, sondern man muss es in der Gänze als Aufsichtsrat darstellen können. Wenn ein Vertreter der Arbeitnehmer besondere Beiträge in puncto arbeitnehmerbezogener Fragen bringt, dann ist das ja im Unternehmensinteresse. Wenn es aber dazu führt, dass das Unternehmen durch entsprechende Aktionen behindert wird, dann ist natürlich sehr fraglich.

Pindur: Herr Strenger, abschließend Ihre Bewertung: Hat Frank Bsirske sich vergriffen mit diesem Flug oder nicht?

Strenger: Ich glaube, es war zumindest taktisch nicht sehr geschickt, anlässlich dieses Streiks nun gerade das Recht in Anspruch zu nehmen, den längsten Flug für zwei Personen in Anspruch zu nehmen.