Christian Gerhahers "Lyrisches Tagebuch"

"Robert Schumann ist mir besonders nahe am Herzen"

07:51 Minuten
Christian Gerhaher steht im Freien. Er hat kurze, lockige Haare, trägt einen Bart und einen dunklen Mantel. Rechts ist eine Mauer zu erkennen.
Christian Gerhaher ist dem romantischen Repertoire besonders verbunden. © Sony / Gregor Hohenberg
Christian Gerhahers im Gespräch mit Carsten Beyer · 23.03.2022
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Christian Gerhaher ist einer der erfolgreichsten Lied- und Konzertsänger in Deutschland. Nun hat er ein “Lyrisches Tagebuch“ veröffentlicht mit Betrachtungen zu Liedern aus seinem Repertoire. Von besonderer Bedeutung für ihn ist Robert Schumann.
„Es ist natürlich kein Tagebuch, wie es andere Tagebücher sind“, sagt Christian Gerhaher zu seinem Buch mit dem Titel "Lyrisches Tagebuch. Lieder von Franz Schubert bis Wolfgang Rihm“. Der Titel habe aber vielleicht eine gewisse Bedeutung im Sinne der Vergänglichkeit von Gedanken. „Das heißt, es kommen einem Gedanken zu einem Werk, die man für eine gewisse Zeit festhält, beispielsweise während einer Aufführungsserie oder Tournee.“ So sei das Buch auch über die Jahre entstanden, erklärt der Professor an der Musikhochschule München.

Schöpfen aus der Aufführungspraxis

„Ein großer Teil dieses Buches beschäftigt sich nicht nur mit der Bedeutung oder der möglichen Bedeutung der Texte und der dazugehörigen Lieder“, hebt Gerhaher hervor. Es gehe auch um die Aufführungspraxis. "Und das ist nun etwas, was einen als Interpret von dem reinen Theoretiker natürlich unterscheidet."
Mit seinem langjährigen Klavierpartner Gerold Huber hat Christian Gerhaher unter anderem alle Lieder von Robert Schumann eingespielt. Daher wundert es nicht, dass diese auch im Zentrum des Buches stehen. Gustav Mahler ist ein weiterer Schwerpunkt, die Betrachtungen reichen aber auch bis in die Aktualität und Liedern von Wolfgang Rihm. Es ist eine persönliche Auswahl an Liedern und Komponisten, die im Leben des Baritons wichtig waren.
„Mit Robert Schumann ging mein musikalisches Leben eigentlich los, als Zuhörer, als Jugendlicher mit Schumannscher Klaviermusik – aber als Sänger“, betont Gerhaher die Bedeutung des Komponisten für seine Laufbahn: Bei Schumann gefalle ihm etwas Entscheidendes: "Ein gewisses Schimmern zwischen den möglichen Bedeutungen des Textes und der möglichen Bedeutung der zugehörigen Musik“, erklärt er: „Deswegen ist er mir besonders nahe am Herzen geblieben.“

Allgemeinverständliche Erklärungen

In die Ausführungen zu den Liedern streut Gerhaher auch Anekdoten aus dem Alltagsleben ein, etwa, dass er am Bahnschalter gefragt wurde, ob er schon 60 Jahre alt sei, als er gerade 44 Jahre zählte. Dabei schreibt der Sänger auch bei den Betrachtungen zur Musik allgemein verständlich:
„Es ist eigentlich alles aus den einzelnen Werken heraus nachvollziehbar, was ich schreibe“, sagt er und räumt dann ein, zum Teil seien seine Ausführungen doch sehr detailliert. „Das ist natürlich auch irgendwo mühsam“, sagt er mit Blick auf die Leserschaft: „Aber, mein Gott, das ist das Leben.“
Dass es bei dem von ihm behandelten Liedgut um Themen wie unerwiderte Liebe und Sehnsucht und Naturerfahrung geht, findet er nicht altmodisch: „Ich kann nicht nachvollziehen, dass das altmodisch sein soll“, sagt er: „Menschen verlieben sich heute auch noch, genauso wie damals. Und Naturerfahrung ist auch heute noch etwas, was die Menschen suchen und auch finden wollen.“
Natürlich veränderten sich Sprache, die Formen und die Möglichkeiten des Ausdrucks, zugleich seien sie nur Methode, um ein Kunstwerk zu schaffen. „Ich glaube, dass diese Kunstwerke, je wichtiger und überdauernder sie sind, an sich aktuell sind.“
Er halte die Frage für auch für obsolet, ob ein Kunstwerk aktuell sei und ob man es vielleicht in seiner Aufführung aktualisieren müsse. „Ich finde, Aktualität ist nicht das herausragende Merkmal eines Kunstwerks – und wenn, dann ist es an sich aktuell, muss aber nie aktuell gemacht werden.“

Anspruch an das Publikum

„Der Mensch und vor allem auch der künstlerisch rezipierende Mensch ist immer ein historisch gebildeter Mensch, zumindest idealerweise“, formuliert Gerhaher einen Anspruch ans Publikum: „Und ich finde, insofern kann man ihm auch zumuten, dass er ein Werk aus seiner Historizität begreift.“
(mfu)

Christian Gerhaher: "Lyrisches Tagebuch. Lieder von Franz Schubert bis Wolfgang Rihm“
C. H. Beck, München 2022
334 Seiten, 25 Euro

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