Christenpflicht?
Eigentlich ist die biblische Aufforderung eindeutig. Eigentlich. In der Geschichte des Christentums hat scheinbare Eindeutigkeit von Ge- und Verboten die Anhänger dieser Religion allerdings noch nie davon abgehalten, sich in geschwisterlicher Liebe zu massakrieren oder wenigstens zu beschimpfen und zu quälen.
Es mag also im zweiten Brief des Apostels Paulus an seinen Schüler und Mitarbeiter Timotheus noch so klar heißen: "Verkünde den Menschen die Botschaft Gottes, gleichgültig, ob es ihnen passt oder nicht!". Im immer wieder neu aufbrechenden Streit über die Aufgaben der Kirchen in der Gesellschaft gilt dieses Votum unter den Feinden politischer Positionen bei Priestern und Pastoren bestenfalls als mehrdeutige Ermunterung.
Strittig ist im Appell des selber geradezu hyperaktiven und alles andere als zurückhaltenden Apostels bereits die Frage, was denn unter der "Botschaft Gottes" zu verstehen sei. Ist sie der vertröstende Verweis auf ein Jenseits, in dem alles besser ist als im irdischen Tal der Tränen? Oder will der christliche Gott nicht doch eher, dass seine Gläubigen alles daransetzen, um himmlisches Heil schon hier auf Erden so weit wie möglich Realität werden zu lassen?
Die erste Vorstellung dürfte den Herrschern aller Zeiten und Systeme die unbestritten liebere sein. Lässt sie doch selbst Despoten ungehindert schalten, walten und unterdrücken, während die leidensfähigen Christenmenschen ihren Blick gleichmütig nach oben wenden. Sie sind sicher: Am "Jüngsten Tag" wird der Herr Jesus schon alles richten!
Margot Käßmann, seit Oktober als Ratsvorsitzende der EKD quasi Deutschlands oberste Protestantin, neigt offensichtlich nicht zu solcher Schicksalsergebenheit. Sie will mit der Autorität ihrer Kirche mitmischen im politischen Spiel.
Undemokratisch ist diese Position nicht, das behaupten noch nicht einmal die Politiker, die – anders als die Kanzlerin oder der Bundespräsident - auf ihre Dresdner Predigt mit Ablehnung oder zumindest doch mit Unverständnis reagiert haben. Im Unterschied zu manchen Vertretern der Idee eines Gottesstaates hat die couragierte Theologin schließlich keine Abstimmung gefälscht oder für ungültig erklärt. Sie hat noch nicht einmal eine Partei bevorzugt. Letzteres war eher in der Steinzeit der Bonner Republik der Fall, als die katholischen Bischöfe in eindeutigen Hirtenbriefen von den Kanzeln ihrer Kirchen zur Wahl ausschließlich jener Kandidaten aufriefen, die das "C" in ihrem persönlichen Polit-Programm großschrieben. Vor der Bundestagswahl 1957 donnerte beispielsweise der damalige Münsteraner Bischof Michael Keller, ein Katholik könne es nicht vor seinem Gewissen verantworten, sozialdemokratisch zu stimmen.
So billige Wahlpropaganda ist heute von den Kirchen nicht mehr zu hören. Sie nehmen heute zu Sachfragen deutlich Stellung, ohne dabei konkret zur Wahl einer Partei aufzurufen.
In dieser Linie – und nicht in der Tradition konservativer Kleriker mit eindimensionalem Weltbild – sieht sich Bischöfin Käßmann, wenn sie sagt "Wir hoffen weiterhin auf Gottes Zukunft, so sehr wir hier und jetzt Zeichen von Gerechtigkeit und Frieden setzen wollen." Nur als ein solches Zeichen ist also ihre Frage nach einer Alternative zu einer Politik zu verstehen, die mit dem Einsatz von Waffen bisher alles andere als Frieden geschaffen hat.
Mit ihrer provokanten und zum geflügelten Wort tauglichen Überspitzung "Nichts ist gut in Afghanistan!" hat Frau Käßmann nicht zuletzt passgenau vor der Internationalen Afghanistankonferenz in London eine Diskussion angeheizt, die längst überfällig ist in einem Land, das mehr als 4000 seiner Männer an den Hindukusch geschickt hat. Mehr als 4000 vornehmlich junge Männer, die bereit sein müssen zu töten, aber auch bereit sein, selbst getötet zu werden.
Was das bedeutet, darüber wird in unserer Gesellschaft bisher weitgehend geschwiegen, nicht nur von Politikern. Dieses Schweigen gebrochen zu haben, ist ein Verdienst, das den Kirchen – und in diesem Fall vorrangig der evangelischen – zukommt.
Die Rolle, die überzeugte Christen in der deutschen Gesellschaft spielen, ist kleiner geworden. Das mag man bedauern, wegzudiskutieren ist es kaum. Gerade deshalb sollten sie sich aber auch weiterhin am streitbaren Paulus orientieren und sich einmischen, Politikern wie Wählern ins Gewissen reden.
Unsere Gesellschaft wäre ärmer, wenn sie es nicht täten.
Uwe Bork, Journalist, geboren 1951 im niedersächsischen Verden (Aller), studierte an der Universität Göttingen Sozialwissenschaften. Nach dem Studium arbeitete Bork zunächst als freier Journalist für verschiedene Zeitungen, Zeitschriften und ARD-Anstalten. Seit 1998 leitet er die Fernsehredaktion "Religion, Kirche und Gesellschaft" des Südwestrundfunks in Stuttgart. Für seine Arbeiten wurde er unter anderem mit dem Caritas-Journalistenpreis sowie zweimal mit dem Deutschen Journalistenpreis Entwicklungspolitik ausgezeichnet. Bork ist außerdem Autor mehrerer Bücher.
Strittig ist im Appell des selber geradezu hyperaktiven und alles andere als zurückhaltenden Apostels bereits die Frage, was denn unter der "Botschaft Gottes" zu verstehen sei. Ist sie der vertröstende Verweis auf ein Jenseits, in dem alles besser ist als im irdischen Tal der Tränen? Oder will der christliche Gott nicht doch eher, dass seine Gläubigen alles daransetzen, um himmlisches Heil schon hier auf Erden so weit wie möglich Realität werden zu lassen?
Die erste Vorstellung dürfte den Herrschern aller Zeiten und Systeme die unbestritten liebere sein. Lässt sie doch selbst Despoten ungehindert schalten, walten und unterdrücken, während die leidensfähigen Christenmenschen ihren Blick gleichmütig nach oben wenden. Sie sind sicher: Am "Jüngsten Tag" wird der Herr Jesus schon alles richten!
Margot Käßmann, seit Oktober als Ratsvorsitzende der EKD quasi Deutschlands oberste Protestantin, neigt offensichtlich nicht zu solcher Schicksalsergebenheit. Sie will mit der Autorität ihrer Kirche mitmischen im politischen Spiel.
Undemokratisch ist diese Position nicht, das behaupten noch nicht einmal die Politiker, die – anders als die Kanzlerin oder der Bundespräsident - auf ihre Dresdner Predigt mit Ablehnung oder zumindest doch mit Unverständnis reagiert haben. Im Unterschied zu manchen Vertretern der Idee eines Gottesstaates hat die couragierte Theologin schließlich keine Abstimmung gefälscht oder für ungültig erklärt. Sie hat noch nicht einmal eine Partei bevorzugt. Letzteres war eher in der Steinzeit der Bonner Republik der Fall, als die katholischen Bischöfe in eindeutigen Hirtenbriefen von den Kanzeln ihrer Kirchen zur Wahl ausschließlich jener Kandidaten aufriefen, die das "C" in ihrem persönlichen Polit-Programm großschrieben. Vor der Bundestagswahl 1957 donnerte beispielsweise der damalige Münsteraner Bischof Michael Keller, ein Katholik könne es nicht vor seinem Gewissen verantworten, sozialdemokratisch zu stimmen.
So billige Wahlpropaganda ist heute von den Kirchen nicht mehr zu hören. Sie nehmen heute zu Sachfragen deutlich Stellung, ohne dabei konkret zur Wahl einer Partei aufzurufen.
In dieser Linie – und nicht in der Tradition konservativer Kleriker mit eindimensionalem Weltbild – sieht sich Bischöfin Käßmann, wenn sie sagt "Wir hoffen weiterhin auf Gottes Zukunft, so sehr wir hier und jetzt Zeichen von Gerechtigkeit und Frieden setzen wollen." Nur als ein solches Zeichen ist also ihre Frage nach einer Alternative zu einer Politik zu verstehen, die mit dem Einsatz von Waffen bisher alles andere als Frieden geschaffen hat.
Mit ihrer provokanten und zum geflügelten Wort tauglichen Überspitzung "Nichts ist gut in Afghanistan!" hat Frau Käßmann nicht zuletzt passgenau vor der Internationalen Afghanistankonferenz in London eine Diskussion angeheizt, die längst überfällig ist in einem Land, das mehr als 4000 seiner Männer an den Hindukusch geschickt hat. Mehr als 4000 vornehmlich junge Männer, die bereit sein müssen zu töten, aber auch bereit sein, selbst getötet zu werden.
Was das bedeutet, darüber wird in unserer Gesellschaft bisher weitgehend geschwiegen, nicht nur von Politikern. Dieses Schweigen gebrochen zu haben, ist ein Verdienst, das den Kirchen – und in diesem Fall vorrangig der evangelischen – zukommt.
Die Rolle, die überzeugte Christen in der deutschen Gesellschaft spielen, ist kleiner geworden. Das mag man bedauern, wegzudiskutieren ist es kaum. Gerade deshalb sollten sie sich aber auch weiterhin am streitbaren Paulus orientieren und sich einmischen, Politikern wie Wählern ins Gewissen reden.
Unsere Gesellschaft wäre ärmer, wenn sie es nicht täten.
Uwe Bork, Journalist, geboren 1951 im niedersächsischen Verden (Aller), studierte an der Universität Göttingen Sozialwissenschaften. Nach dem Studium arbeitete Bork zunächst als freier Journalist für verschiedene Zeitungen, Zeitschriften und ARD-Anstalten. Seit 1998 leitet er die Fernsehredaktion "Religion, Kirche und Gesellschaft" des Südwestrundfunks in Stuttgart. Für seine Arbeiten wurde er unter anderem mit dem Caritas-Journalistenpreis sowie zweimal mit dem Deutschen Journalistenpreis Entwicklungspolitik ausgezeichnet. Bork ist außerdem Autor mehrerer Bücher.

Uwe Bork© privat