Christen und Muslime in Osnabrück

Wie Gemeinden sich für Flüchtlinge engagieren

Wie hat sich das Gemeindeleben seit Ankunft der Flüchtlinge verändert?
Wie hat sich das Gemeindeleben seit Ankunft der Flüchtlinge verändert? © picture alliance/dpa - Armin Weigel
Von Ita Niehaus · 19.07.2016
Ankommen in Norddeutschland - eine große Herausforderung. Nicht nur für die Flüchtlinge, auch für die zahlreichen oft ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer. Denn es geht um viel mehr als nur um Unterstützung beim Umgang mit Behörden oder die Organisation eines Sprachkurses.
Ali steht am Herd und kocht. Für sich und seine acht Mitbewohner. WG-Alltag in Lüstringen, einem Vorort von Osnabrück. Es gibt etwas zu feiern: Der syrische Flüchtling hat seine Aufenthaltserlaubnis für drei Jahre bekommen.
Omar: "Wir haben Hähnchen und Reis mit Nuss und wir haben Sauce, diese Suppe mit Kartoffeln auch."
Omar, 28 Jahre, offener, freundlicher Blick, in Jeans und Sweatshirt, deckt den Tisch. Auch er freut sich. Denn er weiß genau, wie man sich fühlt, wenn man endlich dieses wichtige Stück Papier in den Händen hält. Es ist ein kalter Wintertag Mitte Januar. In der Küche ist es warm und gemütlich. Ein Sofa, ein großer Esstisch und ein Kicker zum Fußballspielen. Seit einem halben Jahr leben hier neun syrische Flüchtlinge zusammen, betreut von mehreren Mitgliedern der Pfarreiengemeinschaft St. Antonius und Maria – Hilfe der Christen.
Omar: "Kochen, putzen auch. Wie Frau. Vielleicht in Zukunft, ich helfe meine Frau in alles. Kein Problem."
Wie so viele andere auch ist Omar über die Türkei nach Deutschland geflüchtet. Einen Monat war er in einem Erstaufnahmelager in der Nähe von Osnabrück, dann zog er in die Männer-WG ein. Seinen richtigen Namen möchte er nicht nennen. Aus Angst um seine Familie in Syrien. Über Smartphone hält Omar Verbindung.
Omar: "Ich habe angerufen jeden Tag mit meiner Familie. Immer ich überlege, was ist passiert mit meiner Familie? Wann sie können kommen nach Deutschland?"

Warten, warten, warten

Omar dauert alles viel zu lange. In Damaskus hat er seinen Bachelor in Maschinenbau gemacht, nun möchte er so schnell wie möglich weiter studieren. Doch erst muss sein Abschluss anerkannt werden und sein Deutsch muss auch noch verbessern. Ihn nerven die langen Pausen zwischen den weiterführenden Sprachkursen an der Volkshochschule. Deshalb hat er sich als Gasthörer an der Uni Osnabrück eingeschrieben.
Omar: "Man muss warten, warten. Das ist schwer."
Mit am Esstisch sitzt Dirk Schnieber. Der Gemeindereferent ist ein wichtiger Ansprechpartner. Gerade als Christ ist es für ihn wichtig, sich für die syrischen Männer einzusetzen.
Schnieber: "Weil das eine Grundhaltung ist, da, wo ich kann, zu helfen. Egal, ob schwarz oder weiß, ob Moslem oder Christ. Und die haben alle die Erfahrung gemacht, dass verfolgt wird, dass gemordet wird."
Rund 5000 Katholiken gehören zur Pfarreiengemeinschaft St. Antonius und Maria - Hilfe der Christen in Osnabrück. Seit knapp zwei Jahren engagieren sich zahlreiche Gemeindemitglieder ehrenamtlich für die inzwischen rund 50 syrischen Flüchtlinge. Die Hilfsbereitschaft ist nach wie vor groß – und zwar nicht nur bei denen, die regelmäßig sonntags zum Gottesdienst kommen.
Schnieber: "Das ist eine große Gruppe, die sagt, wir müssen uns solidarisch zeigen. Ein Beispiel, da feiert jemand seinen 60. Geburtstag, ruft mich an und sagt: 'Ich will keine Geschenke, nenn' mir die Nummer von der Flüchtlingshilfe.' Dann gibt es, und das wird immer mehr, viele Menschen, die sagen, wenn die Kirchen da jetzt was tun, dann machen wir da mit."
Viele spenden Kleidung, Möbel, Laptops oder Fahrräder. Andere geben regelmäßig vormittags Deutschunterricht, helfen mit, Wohnungen zu renovieren oder packen mit an, wenn jemand umzieht. Daniela Dudas gehört zum harten Kern von etwa 50 Ehrenamtlichen, die regelmäßig mit dabei sind. Bei einem Fußballspiel, zu dem die syrischen Männer eingeladen worden waren, lernte die 36 Jahre alte Service-Mitarbeiterin Omar und seine WG kennen.

"Da wollte ich was tun"

Dudas: "Ich habe so eine Not gespürt, und da wollte ich was tun. Ich kenne viele Menschen und weiß, dass viele Leute ganz viel übrig haben und auch gerne helfen. Und das war auch so. Es ist wirklich unglaublich, wieviel Hilfe wir bekommen haben."
Gemeinsam mit Dirk Schnieber und einer Freundin hält sie nun Kontakt, hilft bei Anträgen und versucht vor allem zu vermitteln, wie der Alltag in Deutschland funktioniert. In den Behörden etwa.
Dudas: "Dann haben die immer gesagt, geh‘ Du da mal hin. Dann bin ich da hingegangen und habe genau das Gleiche gehört. Ja, ihr müsst warten, das ist einfach so. Und dass haben sie einfach nicht so richtig verstanden."
Zu Omar ist inzwischen eine Freundschaft entstanden. Fast jedes Wochenende spielt er Fußball mit ihrem Mann und ihrem zwölf Jahre alten Sohn Mattis. Und manchmal kocht Omar für sie und die anderen, um etwas zurückzugeben.
Omar: "Dirk, Anna und Daniela immer helfen. Wenn wir haben ein Problem, wir rufen an."
"Sprechen Sie Französisch?"
"Nein"
"Schade, dann hätte ich jemanden ..."
Sprechstunde im Büro von Therese Aniol in der Beratungsstelle der Caritas Osnabrück. Aniol koordiniert – im Rahmen des Projekts "Salvete", auf Deutsch "Seid gegrüßt" – die ehrenamtliche Flüchtlingshilfe in den katholischen Gemeinden und Cariatsgruppen. Das heißt, sie berät, bringt Ehrenamtliche und Geflüchtete zusammen und vermittelt weiter. Man kann, so Therese Aniol, auf ganz unterschiedliche Weise helfen. Denn jede Gemeinde sei anders.
Aniol: "Das hängt davon ab, was für eine Zielgruppe sie haben. Zum Beispiel eine Gemeinde, die 30 Familien hat, arbeitet anders mit den Leuten, weil sie sofort auf vielen Ebenen tätig sein können. Da können Kinder in Kindergruppen integriert werden, die Frauen in Frauenclubs. Mit den Herren ist das nicht so einfach. Die bleiben unter sich."

Hilfe zur Selbsthilfe

Die Zahl der Geflüchteten geht auch in Niedersachsen zurück. In Osnabrück leben rund 2800 Flüchtlinge. Therese Aniol weiß auch aus eigener Erfahrung: Die meisten brauchen niemanden, der alles für sie regelt, sondern Hilfe zur Selbsthilfe. Damit sie möglichst schnell wieder ihr Leben selbst in die Hand nehmen können. Deshalb gibt es auch drei Arbeitsschwerpunkte in den Gemeinden: Deutschkurse für Flüchtlinge, die noch im Asylverfahren sind, Hilfe bei der beruflichen Integration und Freizeitgestaltung. Aber auch die Ehrenamtlichen müssen betreut und weitergebildet werden. Denn sie haben es mit Menschen zu tun, die aus einer anderen Kultur kommen.
Aniol: "Das sind junge Menschen, die aus autoritären Gesellschaften kommen, in einer Großfamilie aufgewachsen sind, die mit Meinungsfreiheit nicht aufgewachsen sind. Dann sollen die sofort mit unserem Normen- und Wertesystem zurechtkommen. Wo ich da meine Bedenken habe, ob sie da schon genug aufgeklärt und informiert worden sind. Wenn Sie im Asylverfahren sind, haben sie keinen Anspruch auf einen Integrationskurs."
Immer wieder wird gefordert, dass die Moscheegemeinden und großen Islamverbände mehr Verantwortung für die Integration muslimischer Flüchtlinge übernehmen sollen. Doch zahlreiche Moscheegemeinden stoßen dabei immer wieder an ihre Grenzen. Es gibt zwar eine lange Tradition der Nächstenfürsorge im Islam, aber es fehlen vergleichbare Organisationsstrukturen wie in den Kirchen. Die Arbeit in den Moscheegemeinden ist rein ehrenamtlich. Auch in der Ibrahim-Al-Khalil Moschee in Osnabrück.

Über das Meer nach Deutschland

Freitagmittag. Mehr als 250 Gläubige versammeln sich zum Gebet, vor allem Männer. Nicht nur in der Ibrahim-Al-Khalil Moschee, der "Abrahams-Moschee", auch vor dem alten Gründerzeithaus. Auf einem Holzpodest, bedeckt mit Teppichen. Denn die Moschee in der Nähe des Osnabrücker Bahnhofs ist bereits überfüllt. Der 15 Jahre alte Mohammad betet ebenfalls draußen. Mit dicker Winterjacke und Schal. Die Kälte stört ihn nicht.
Mohammad: "Ist schönes Wetter."
Ganz alleine hat Mohammad sich vor anderthalb Jahren auf den Weg gemacht von Syrien über das Meer nach Deutschland. Seine Eltern wollten, dass er es einmal besser hat. Zum Glück ist alles gut gegangen. Mohammad konnte bald seine Familie nachholen. Inzwischen geht er aufs Gymnasium, will einmal Physiker werden. Die Ibrahim-Al-Khalil Moschee war gerade in den ersten Monaten eine ganz wichtige Anlaufstelle für ihn.
Mohammad: "Als ich ohne Familie hier war, war ich die ganze Zeit hier. Koranunterricht, Freunde treffen. Man denkt nicht, dass man in Deutschland ist. Man redet arabisch, betet, macht, was man in Syrien machen könnte."
Im Gebetsraum der Frauen. Unter den Gläubigen ist auch Dua Zeitun. Die 36 Jahre alte Mutter von drei Kindern studiert Islamische Theologie an der Uni Osnabrück und arbeitet als Referentin für interreligiöse Zusammenarbeit bei der Katholischen Landvolkhochschule Oesede. Und sie engagiert sich ehrenamtlich für Flüchtlinge, u.a. als Seelsorgerin und Sozialarbeiterin. Die Moscheegemeinde hat für viele von ihnen eine besondere Bedeutung.

Ein Stück Heimat

Zeitun: "Das ist eine religiöse Identität, Zugehörigkeit. In den anderen Organisationen ist es Hilfe, die sie annehmen, Förderungsmaßnahmen, Gelder oder sonstiges, was sie von der Moschee nicht bekommen können. Natürlich gibt es Spendensammeln. Aber die Moschee ist noch einmal ein ganz eigener Ort, wo sie Sicherheit suchen, Schutz, Heimat."
Etwa 20 Familien begleitet Dua Zeitun momentan. Sie dolmetscht im Krankenhaus, hört zu und tröstet, wenn Trauer und Verzweiflung zu groß werden und kümmert sich auch um Möbel für die neue Wohnung. Die Ibrahim-Al-Khalil Moschee war einmal eine internationale Gemeinde, in der viel Deutsch gesprochen wurde. Nun bilden die syrischen Flüchtlinge die große Mehrheit unter den Mitgliedern.
Zeitun: "Wir haben Flüchtlinge, bildungsfern, Akademiker. Wir haben die, die vom Land kommen, die aus der Stadt kommen. Wir haben die, die traditionell sind, die sehr modern sind. Wir haben Männer, die sich in der Moschee aufhalten, die ehrenamtlich mehr in der Moschee beitragen wollen. Andere, die Zuhause sitzen und sagen, ich will gar nichts machen. Die ganze Bandbreite."
Die 31 Jahre alte Schuruk zum Beispiel, auch sie möchte lieber anonym bleiben, ist erst seit einigen Wochen in Osnabrück. Mit ihrem Mann und den beiden Kindern floh sie aus der syrischen Kleinstadt Zabadani vor dem Krieg. Ihr Haus wurde geplündert und verbrannt.
Schuruk: "Jeder, der Zabadani verlässt, ist immer noch mit seinen Gedanken dort. Es ist sehr schwer, die ganze Familie ist zerstreut."

Zwischen Sehnsucht und Erleichterung

Da ist die Sehnsucht nach der verlorenen Heimat, nach ihren Eltern und Geschwistern. Aber auch die Erleichterung, endlich in Sicherheit zu sein.
Schuruk: "Die Großzügigkeit der Deutschen. Als wir ankamen, hatten wir nur das, was wir am Leib getragen haben."
Schuruk wäre in Syrien gerne länger zur Schule gegangen. Sie war nie berufstätig, hat sich immer um den Haushalt und die große Familie gekümmert. Was ihr in Deutschland besonders gut gefällt: die Gleichstellung von Frau und Mann.
Schuruk: "Am wichtigsten sind die Rechte der Frau. Hier wird die Würde der Frau geschützt, während sie in Syrien nicht geschützt wird. Nur bei einigen Menschen, nicht bei allen."
Eine Wohnung hat die Familie schnell gefunden. In den drei Zimmern leben sie nun zu neunt. Mit den Schwiegereltern und der Schwägerin und ihren Kindern. Viel Zeit bleibt da nicht, um neue Kontakte zu knüpfen oder Deutsch zu lernen.
Schuruk übt mit einem Kurs auf YouTube, die Tochter geht schon in eine Sprachlernklasse auf dem Gymnasium.

Ohne Ehrenamtliche geht gar nichts

Aufbruchsstimmung nach dem Freitagsgebet. Der Vater von Dua Zeitun ist Imam, hat in Damaskus studiert. Zuhause in seinem Reihenhaus in Osnabrück hat Abdul-Jalil Zeitun mehrere syrische Familien aufgenommen. Auch den Alltag in der Moschee haben die "neuen" Mitglieder verändert, sagt er.
Zeitun: "Diese Leute brauchen Rat, Dolmetscher, Hilfe, Orientierung. Und man denkt an sich selbst, als man neu in Deutschland war, 1971."
Die freie Moschee finanziert sich über Spenden und kämpft nun mit zahlreichen Problemen.
Zeitun: "Platzmangel, Organisation, Struktur, Gelder natürlich und Stellen, damit man professionell und kompetent arbeiten kann. Der Vorstand arbeitet ehrenamtlich. Wir haben keinen Projektreferenten, keinen Gemeindereferenten, der zumindest alles anleiten kann, das passiert alles ehrenamtlich."
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