Christen in China
In der boomenden chinesischen Wirtschaft gibt es auch Verlierer. Gerade für sie bieten christliche Religionen eine Alternative zur Staatsideologie. Hanspeter Oschwald setzt in seinem Buch "Maos fromme Enkel" allerdings Christen den Katholiken gleich und vergisst die Protestanten fast völlig: die Minderheit der Minderheit in einem Land, das vorgeblich alle Religionen toleriert.
1,3 Milliarden Menschen, von denen die meisten klaglos zwölf Stunden am Tag sieben Tage die Woche arbeiten, sind ein Reservoir an Arbeitskräften und ein Konsumentenmarkt, der westliche Regierungen und westliche Konzernlenker um die Gunst der Herren in Peking buhlen lässt. Bei knapp zehn Prozent Wirtschaftswachstum würde mancher gern über die anhaltende Unterdrückung buddhistischer Tibeter, muslimischer Uguren, chinesischer Falungong-Anhänger und kritischer Intellektueller hinwegsehen.
Aber das geht seit der Image-Katastrophe des olympischen Fackellaufs nicht mehr und so wird eine Bevölkerungsgruppe interessant, die zwischen Anpassung und Widerstand schwankt. Die unerwünscht, aber nicht massiv bedrängt ist im roten Reich der Mitte: Die chinesischen Christen.
"Maos fromme Enkel", so der Buchtitel, befänden sich "im Aufbruch", behauptet Verfasser Hanspeter Oschwald. Er ist Leiter der Burda-Journalistenschule in Offenburg und war langjähriger Rom-Korrespondent für dpa, "Die Welt" und "Focus".
Dass sie zumindest quantitativ im Aufwind segeln, leuchtet ein : Entwurzelte Wanderarbeiter auf der Suche nach warmherziger Gemeinschaft, verarmte Verlierer des Wirtschaftswachstums auf der Suche nach sozialer Hilfe, enttäuschte Jugendliche auf der Suche nach Orientierung und Werten, marginalisierte Senioren auf der Suche nach Traditionen - sie alle finden in evangelischen und katholischen Gemeinden offenbar das, was ihnen die Staatsideologie nicht geben konnte.
Seit Mao Tse Tung 1949 alle christlichen Denominationen aus dem Lande oder in den Untergrund trieb; seit die Kulturrevolution der späten 60er Jahre Terror, Folter und Zerstörung über die Gemeinden brachte, seit Tsou En Lai die Katholiken in eine von Rom getrennte "patriotische Union" und die Protestanten in eine nationalkirchliche "Drei-Selbst-Bewegung" zwang, sind beide christliche Konfessionen jeweils gespalten: in einen registrierten, staatlich geduldeten und in einen nichtregistrierten, staatlich verfolgten Flügel.
Paragraph 36 der chinesischen Verfassung von 1982 sagt: "Der Staat schützt normale religiöse Aktivitäten." Schön. Aber, was findet Peking "normal"?
Und weiter: "Die religiösen Organisationen dürfen von keiner ausländischen Kraft beherrscht werden." Also nicht vom Vatikan, nicht vom Lutherischen Weltbund, nicht von ausländischen Spendengeldern, nicht durch ausländische Dozenten an theologischen Seminaren?
Hanspeter Oschwald zeichnet kenntnisreich nach, dass eine im Westen gern kolportierte Beurteilung nicht mehr stimmt : Peking-hörige Registrierte seien verwässert und Peking-kritische Untergrundchristen seien glaubensstark. Die einen würden gehätschelt und die anderen gefoltert – das ist ein Klischee alter kalter Krieger.
Duldung der einen und Behinderung der anderen geschieht je nach Region und Bezirksverwaltung völlig willkürlich. Plötzliche Privilegien und plötzliche Verbote gehören zum typischen Repertoire jeder Diktatur, um angstvolle Unsicherheit zu erzeugen.
Kritisch geht der Autor mit den vier fehlgeschlagenen Missionierungswellen der Kirchengeschichte seit dem 7. Jahrhundert ins Gericht, kritisch listet er die Versäumnisse und Fehleinschätzungen der Päpste seit 1949 auf, (übrigens auch die von Johannes Paul II !), lobend beschreibt er die stille Diplomatie Papst Benedikt XVI. seit 2007, der auf eine Versöhnung zwischen den Rom-treuen und den Peking-treuen Bischöfen drängt. Akribisch zitiert er die faszinierenden Insiderkenntnisse des "China-Zentrums" der Steyler Missionare in St. Augustin bei Bonn und gibt verblüffende Einblicke in die raffinierten Winkelzüge vatikanischer Emissäre.
Sein Buch verspricht Aufschluss über "Christen in China", widmet aber gerade mal 25 von 272 Seiten den chinesischen Protestanten. Schon im Klappentext jedoch steht, dass es in China rund 100 Millionen Evangelische und nur 15 Millionen Katholiken gibt. "Maos fromme Enkel" aus dem Pattloch-Verlag berichtet also über die Minderheit einer Minderheit.
Und selbst von der nur das "bischofsamtliche". Über katholische Gemeinden vor Ort, über die Basis, erfährt der Leser en passant, dass sie unter extremem Priestermangel leiden (wegen der Ein-Kind-Politik und fehlender Seminare), dass sie die Messe in Latein zelebrieren ( weil sie vom zweiten Vatikanischen Konzil in den 60er Jahren nichts mitbekamen) und dass sie theologisch ungebildet sind ( wegen mangelnder Literatur ).
Die Geschichte protestantischer Missionare – Kinogänger erinnern sich an den Flüchtlingstreck der Waisenkinder um Gladys Aylward, verfilmt mit Ingrid Bergmann und Curd Jürgens in "Herberge zur sechsten Glückseligkeit" – ist dem Autor keine Zeile wert. Auch jene rund 50 Millionen Evangelikale und Pfingstler, die vom staatlichen Büro-für-religiöse-Angelegenheiten zu den "religiösen Sekten" gezählt werden, kommen kaum vor. Deren "Aufbruch" aber - ob westliche Beobachter ihn nun begrüssenswert finden oder nicht – ist die eigentliche, die auffälligste Veränderung unter Chinas Religiösen.
Die im Laufe des Buches immer penetranter vollzogene Gleichsetzung von Christen gleich Katholiken mag an Hanspeter Oschwalds eigener Zeit als Rom-Korrespondent liegen. Oder daran, dass er sich im wesentlichen auf den französischen Journalisten Dorian Malkovic, einen Freund des greisen Bischofs von Shanghai, Jin Luxian, bezieht. Verzeihlich wird seine konfessionelle Einäugigkeit dadurch nicht.
Es gibt Christen in China, "die weder getauft sind, noch irgendeiner Kirche zugehören, sondern die sich einfach an christlichen Gedanken und christlichem Verhalten orientieren. Er denkt, glaubt und handelt wie ein Christ. Er wird sich auch taufen lassen. Aber erst, wenn er pensioniert sein wird…Weltanschaulich
nur noch gering vorbelastet, aber bereit, alles aufzunehmen, was ihnen nützt, lassen sich viele vorurteilsfrei auch auf das Christentum ein. Die Chinesen fragen sich nämlich, was an der christlichen Ordnung so erfolgreich ist und was sie für sich verwenden können."
Auch über diese – in Führungspositionen der boomenden Wirtschaft und sogar in höheren Parteikadern anzutreffenden – "anonymen Christen Chinas" hätte ich als Leser gern mehr gehört.
Rezensiert von Andreas Malessa
Hanspeter Oschwald: "Maos fromme Enkel - Chinas Christen im Aufbruch"
Pattloch-Verlag München 2008
272 Seiten, 16, 95 Euro
Aber das geht seit der Image-Katastrophe des olympischen Fackellaufs nicht mehr und so wird eine Bevölkerungsgruppe interessant, die zwischen Anpassung und Widerstand schwankt. Die unerwünscht, aber nicht massiv bedrängt ist im roten Reich der Mitte: Die chinesischen Christen.
"Maos fromme Enkel", so der Buchtitel, befänden sich "im Aufbruch", behauptet Verfasser Hanspeter Oschwald. Er ist Leiter der Burda-Journalistenschule in Offenburg und war langjähriger Rom-Korrespondent für dpa, "Die Welt" und "Focus".
Dass sie zumindest quantitativ im Aufwind segeln, leuchtet ein : Entwurzelte Wanderarbeiter auf der Suche nach warmherziger Gemeinschaft, verarmte Verlierer des Wirtschaftswachstums auf der Suche nach sozialer Hilfe, enttäuschte Jugendliche auf der Suche nach Orientierung und Werten, marginalisierte Senioren auf der Suche nach Traditionen - sie alle finden in evangelischen und katholischen Gemeinden offenbar das, was ihnen die Staatsideologie nicht geben konnte.
Seit Mao Tse Tung 1949 alle christlichen Denominationen aus dem Lande oder in den Untergrund trieb; seit die Kulturrevolution der späten 60er Jahre Terror, Folter und Zerstörung über die Gemeinden brachte, seit Tsou En Lai die Katholiken in eine von Rom getrennte "patriotische Union" und die Protestanten in eine nationalkirchliche "Drei-Selbst-Bewegung" zwang, sind beide christliche Konfessionen jeweils gespalten: in einen registrierten, staatlich geduldeten und in einen nichtregistrierten, staatlich verfolgten Flügel.
Paragraph 36 der chinesischen Verfassung von 1982 sagt: "Der Staat schützt normale religiöse Aktivitäten." Schön. Aber, was findet Peking "normal"?
Und weiter: "Die religiösen Organisationen dürfen von keiner ausländischen Kraft beherrscht werden." Also nicht vom Vatikan, nicht vom Lutherischen Weltbund, nicht von ausländischen Spendengeldern, nicht durch ausländische Dozenten an theologischen Seminaren?
Hanspeter Oschwald zeichnet kenntnisreich nach, dass eine im Westen gern kolportierte Beurteilung nicht mehr stimmt : Peking-hörige Registrierte seien verwässert und Peking-kritische Untergrundchristen seien glaubensstark. Die einen würden gehätschelt und die anderen gefoltert – das ist ein Klischee alter kalter Krieger.
Duldung der einen und Behinderung der anderen geschieht je nach Region und Bezirksverwaltung völlig willkürlich. Plötzliche Privilegien und plötzliche Verbote gehören zum typischen Repertoire jeder Diktatur, um angstvolle Unsicherheit zu erzeugen.
Kritisch geht der Autor mit den vier fehlgeschlagenen Missionierungswellen der Kirchengeschichte seit dem 7. Jahrhundert ins Gericht, kritisch listet er die Versäumnisse und Fehleinschätzungen der Päpste seit 1949 auf, (übrigens auch die von Johannes Paul II !), lobend beschreibt er die stille Diplomatie Papst Benedikt XVI. seit 2007, der auf eine Versöhnung zwischen den Rom-treuen und den Peking-treuen Bischöfen drängt. Akribisch zitiert er die faszinierenden Insiderkenntnisse des "China-Zentrums" der Steyler Missionare in St. Augustin bei Bonn und gibt verblüffende Einblicke in die raffinierten Winkelzüge vatikanischer Emissäre.
Sein Buch verspricht Aufschluss über "Christen in China", widmet aber gerade mal 25 von 272 Seiten den chinesischen Protestanten. Schon im Klappentext jedoch steht, dass es in China rund 100 Millionen Evangelische und nur 15 Millionen Katholiken gibt. "Maos fromme Enkel" aus dem Pattloch-Verlag berichtet also über die Minderheit einer Minderheit.
Und selbst von der nur das "bischofsamtliche". Über katholische Gemeinden vor Ort, über die Basis, erfährt der Leser en passant, dass sie unter extremem Priestermangel leiden (wegen der Ein-Kind-Politik und fehlender Seminare), dass sie die Messe in Latein zelebrieren ( weil sie vom zweiten Vatikanischen Konzil in den 60er Jahren nichts mitbekamen) und dass sie theologisch ungebildet sind ( wegen mangelnder Literatur ).
Die Geschichte protestantischer Missionare – Kinogänger erinnern sich an den Flüchtlingstreck der Waisenkinder um Gladys Aylward, verfilmt mit Ingrid Bergmann und Curd Jürgens in "Herberge zur sechsten Glückseligkeit" – ist dem Autor keine Zeile wert. Auch jene rund 50 Millionen Evangelikale und Pfingstler, die vom staatlichen Büro-für-religiöse-Angelegenheiten zu den "religiösen Sekten" gezählt werden, kommen kaum vor. Deren "Aufbruch" aber - ob westliche Beobachter ihn nun begrüssenswert finden oder nicht – ist die eigentliche, die auffälligste Veränderung unter Chinas Religiösen.
Die im Laufe des Buches immer penetranter vollzogene Gleichsetzung von Christen gleich Katholiken mag an Hanspeter Oschwalds eigener Zeit als Rom-Korrespondent liegen. Oder daran, dass er sich im wesentlichen auf den französischen Journalisten Dorian Malkovic, einen Freund des greisen Bischofs von Shanghai, Jin Luxian, bezieht. Verzeihlich wird seine konfessionelle Einäugigkeit dadurch nicht.
Es gibt Christen in China, "die weder getauft sind, noch irgendeiner Kirche zugehören, sondern die sich einfach an christlichen Gedanken und christlichem Verhalten orientieren. Er denkt, glaubt und handelt wie ein Christ. Er wird sich auch taufen lassen. Aber erst, wenn er pensioniert sein wird…Weltanschaulich
nur noch gering vorbelastet, aber bereit, alles aufzunehmen, was ihnen nützt, lassen sich viele vorurteilsfrei auch auf das Christentum ein. Die Chinesen fragen sich nämlich, was an der christlichen Ordnung so erfolgreich ist und was sie für sich verwenden können."
Auch über diese – in Führungspositionen der boomenden Wirtschaft und sogar in höheren Parteikadern anzutreffenden – "anonymen Christen Chinas" hätte ich als Leser gern mehr gehört.
Rezensiert von Andreas Malessa
Hanspeter Oschwald: "Maos fromme Enkel - Chinas Christen im Aufbruch"
Pattloch-Verlag München 2008
272 Seiten, 16, 95 Euro