Chorleiter Svimon Jangulashvili

Mehrstimmiger Gesang als Symbol georgischer Identität

05:38 Minuten
Simon Jangulashvili mit Maske, Handschuhen und Partitur im Lesesaal des Handschriftenzentrums
Stolz auf die georgische Tradition des dreistimmigen sakralen Gesangs: Chorleiter Simon Jangulashvili. © Deutschlandradio/Gesine Dornblüth
Von Gesine Dornblüth · 29.12.2020
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In Georgien hat sich eine einzigartige sakrale Gesangsform entwickelt. Während der sowjetischen Besatzung wäre sie beinahe verloren gegangen. Chorleiter Svimon Jangulashvili pflegt die Tradition weiter.
Svimon Jangulashvili beugt sich über ein großes in Leder gebundenes Buch. Er steht im Lesesaal des Nationalen Handschriftenzentrums in Georgiens Hauptstadt Tiflis. Die Partitur vor ihm ist handgeschrieben, verziert mit Miniaturen und Ornamenten. "Das sind die drei verschiedenen Stimmen", sagt er. "Am Ende kommen sie zum Gleichklang."
Jangulashvili, 42 Jahre, leitet den Chor des Patriarchen der georgisch-orthodoxen Kirche. Er dirigiert auch die Georgischen Philharmoniker. Er liebt Beethoven und Gustav Mahler. Doch sakrale georgische Gesänge sind sein Steckenpferd: "Der mehrstimmige Gesang ist ein Symbol unserer nationalen Identität", sagt er.

Depression als Jugendlicher

"Als Kind hatte ich Klavierstunden. Das war damals modern, aber ich bin nicht gern hingegangen, die Lehrerin hat mir auf die Finger geschlagen. Als Jugendlicher habe ich dann sehr viel gelesen, und ich mochte alles, was mit Geschichte, Christentum und religiöser Kultur zu tun hatte. Mit 15 oder 16 begann ich, in die Kirche zu gehen. Dann hatte ich so eine Art Depression. Der Priester riet mir, Gesang zu lernen. Das habe ich getan."
Der Junge brachte es bis zum Chorleiter. Bald darauf wurde der Patriarch auf ihn aufmerksam. Die Kirche ist in Georgien sehr einflussreich, der Patriarch gilt vielen Menschen als Autorität.
"Ich studierte damals im ersten Semester am Konservatorium. Er sagte mir: Du musst einen Chor für die Dreifaltigkeitskathedrale gründen." Sie ist die Hauptkirche Georgiens und wurde damals gerade gebaut. "Ich habe gesagt, ich kann das nicht. Ich war erst 20. Aber der Patriarch meinte: Wenn du die Kirche liebst und die Musik, dann kannst du das. Jetzt sind wir vierzig Sänger."

Gesang als kultureller Unterschied

Der georgische Kirchengesang ist dreistimmig. Die Mehrstimmigkeit entstand vermutlich in der georgischen Volksmusik und hielt im frühen Mittelalter auch in die Kirchen Einzug.
"Georgien war ein kleines Land, ständig fielen irgendwelche Stämme ein, wie das eben im Mittelalter üblich war, und deshalb wollte man sich kulturell abheben. Der Kirchengesang war einer dieser Unterschiede."
Jangulashvilis Augen leuchten, während er von der bewegenden Geschichte dieser Gesänge erzählt. Über Jahrhunderte wurden sie nur mündlich überliefert. Und sie drohten, verloren zu gehen, als das damals zaristische Russland Georgien besetzte. Das war Anfang des 19. Jahrhunderts. Die neuen Machthaber verboten georgische Kirchengesänge, stattdessen musste auch in Georgien die russische Liturgie gesungen werden. Um ihr kulturelles Erbe für die Nachwelt zu erhalten, schrieben georgische Mönche die Gesänge nun auf.

Singen trotz der Pandemie

Während der Sowjetzeit wurden die meisten Kirchen dann ganz geschlossen. Jangulashvili hat das Ende dieser Zeit noch miterlebt. "Zu Sowjetzeiten waren höchstens zehn Kirchen in ganz Georgien geöffnet", sagt er. "Bestenfalls waren dort Museen untergebracht oder Konzerthallen. Viele Kirchen wurden zerstört."
Als Georgien seine Unabhängigkeit erlangte, zählte Jangulashvili zu den ersten, der die traditionellen georgischen Kirchengesänge wieder einstudierte.
Sein Chor tritt regelmäßig im Ausland auf. Bereits geplante Konzerte in Deutschland musste er coronabedingt absagen. Doch in Tiflis, in der Kathedrale, singen sie auch trotz der Pandemie. Ganz wohl sei ihm dabei nicht, sagt Jangulashvili, er habe Angst, andere anzustecken. Aber: "Ich tue meine Pflicht. Wenn man mir sagt, dass ich kommen muss, dann komme ich. Bisher behütet uns Gott."
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