Chorleiter: Gesang aus der Muffecke holen

Hans-Hermann Rehberg im Gespräch mit Liane von Billerbeck · 18.01.2011
Mit seinen Mitsingkonzerten habe der Berliner Rundfunkchor dazu beigetragen, die Freude am gemeinsamen Singen weiterzugeben, sagt Leiter Hans-Hermann Rehberg. Singen könne Glücksgefühle auslösen - gerade "wenn der Kopf dicht ist für andere Dinge".
Liane von Billerbeck: Man singt wieder – das wissen fast zweieinhalb Millionen Deutsche, die gemeinschaftlich, also im Chor singen. Wir haben hier im "Radiofeuilleton" keine Mühe, allwöchentlich unseren "Chor der Woche" vorzustellen, so viele gibt es. Gerade hat der Deutsche Chorverband eine neue Veranstaltung kreiert, CHOR@BERLIN heißt sie, da gab es sogar einen Chor der Menschen, die gar nicht singen können – angeblich natürlich nur, versteht sich. Und um das Chorsingen noch populärer zu machen, hat der Deutsche Chorverband ein Video in Auftrag gegeben, in dem Thomas Grube das Singen besingen lässt. Grube hat ja schon die Filme "Rhythm is it" und "Trip to Asia" für die Berliner Philharmoniker gedreht. Chorsingen ist also wieder sexy, das wissen die Amateure inzwischen und die Profis natürlich schon lange. Und bevor wir darüber mit dem Chordirektor eines der weltbesten Chöre sprechen, mit Hans-Hermann Rehberg vom Rundfunkchor Berlin, stellt Uwe Friedrich Thomas Grubes Video vor.

Und von diesem international bekannten Rundfunkchor Berlin ist jetzt der Chordirektor bei uns im Studio: Hans-Hermann Rehberg. Herzlich Willkommen!

Hans-Hermann Rehberg: Schönen guten Tag!

von Billerbeck: Wie kommt es eigentlich dazu, dass Singen heute so beliebt ist?

Rehberg: Ich glaube, die Frage ist in zwei Minuten nicht beantwortet. Das bedurfte ganz vieler Initialzündungen, solcher, wie wir sie gegeben haben vom Rundfunkchor aus mit unseren Mitsingkonzerten, solcher, wie sie der Deutsche Chorverband seit einigen Jahren versucht zu geben – dass man einfach den Chorgesang, überhaupt das Singen rausholt aus der Muffecke, aus der Staubecke, aus der Ecke der Gesangsvereine. Man hat sich ja auch umbenannt, es heißt Chorverband und nicht mehr Gesangsverein. Gut, genauso hat es nie geheißen, aber man wollte ein deutliches Zeichen setzen, dass man Singen in den modernen Alltag bringen kann. Und es gibt auch ganz, ganz viele Initiativen, wo man wirklich auch spürt, man besinnt sich auf das ureigene Instrument, es kostet kein Geld, man trägt es immer mit sich, man muss es nur nutzen, und wenn man es gut nutzt, dann hat man so viel Freude dran, dass auch ein Glücksgefühl sich herstellen kann. Ja, und ich glaube, das haben ganz viele begriffen.

von Billerbeck: Das müsste also quasi von den Krankenkassen finanziert werden?

Rehberg: Wäre ideal. Ich habe gehört, es gibt erste Fitnessstudios, die so was anbieten.

von Billerbeck: Im Chor singen – Sie haben es gerade erwähnt –, das klang ja vor gar nicht allzu langer Zeit noch ziemlich altbacken und verstaubt. Wie kam es denn zu diesem Imagewandel?

Rehberg: Hat es nicht auch ein Stück zu tun mit der deutschen Geschichte und mit dem Missbrauch von Chorsingen und mit dem, was wir schlechthin mit Gesangsverein so verbinden. Und vor allem, weit zurückgeguckt, vielleicht auch zur Geschichte des Dritten Reiches und so weiter und so fort. Singen in Chören war einfach nicht in. Und das war ein langer Weg, ein komplizierter Weg, aber viele haben dazu beigetragen, dass man auch hier Geschichte bewältigt und dass man sich eigentlich auf die Kraft des Gesangs, auf die Kraft der gemeinsamen Aktivität besinnt. Und ja, das Ergebnis sieht man hier. Schade, dieses Video sollte sich jeder angucken, weil nicht nur das Gesungene, sondern eben auch die Bebilderung ist eine Faszination, berührt und ermuntert zum Mitmachen.

von Billerbeck: Ich hab es gesehen, es ist wirklich ein sehr schönes Video. Haben denn die Profichöre – nicht nur der Rundfunkchor Berlin, auch der RIAS Kammerchor oder der Chor des Bayrischen Rundfunks – auch dazu beigetragen, dass die Leute nicht nur wieder gerne singen, sondern auch offen darüber reden?

Rehberg: Ja, ich bin ganz sicher, dass wir einen ganz großen Beitrag geleistet haben, weil im Jahr 2012 wiederholen wir zum zehnten Mal unser Mitsingkonzert. Wir haben mit dieser Initiative im Jahre 2002 gestartet mit einem Sängerfest. Wir sind in die Communities hineingegangen und haben einfach geguckt, mit wem können wir gemeinsam eine Breitenwirkung erzielen und auf wirklich ganz vielen Podien, auf ganz vielen Ebenen für den Gesang, für den professionellen Chorgesang zu begeistern, und wo können wir die Brücken finden zwischen Profis und Amateuren. Und das ist letztlich, glaube ich ... es gibt keine Spitze ohne Breitenbewegung, eins bedingt das andere, und die Profis können von den Amateuren lernen, umgekehrt ganz genauso. Und das, glaube ich, erfährt jeder, der einmal dabei gewesen ist bei einem Mitsingkonzert. Man begegnet sich auf Augenhöhe, und in Simon Halsey haben wir einen erstklassigen Dirigenten, der genau diese beiden Ebenen zusammenführt und für jeden zur Freude gestaltet. "Singen beim Mitsingkonzert ist wie eine Woche Kur" ist einer der Sätze, die uns ins Stammbuch geschrieben wurden.

von Billerbeck: Man kann sich vorstellen, warum Laien gerne mit einem – also Laiensänger – gerne mit einem Profichor wie dem Ihren zusammen singen, aber was haben Profis davon, wenn da 2000 Laien auf der Bühne stehen und da rumträllern?

Rehberg: Ja, zum einen glaube ich, das hat ja alles Workshop-Charakter und man erfährt voneinander, wie die einen, wie die anderen es machen. Man bekommt Kniffe vermittelt, über den Dirigenten, über die Profis, wie man mit bestimmten heiklen Stellen in bestimmter Literatur umgeht. Schon allein dafür lohnt es sich. Aber ich denke, die Profis kriegen auch eine ganze Menge von der Emotionalität, von der Begeisterungsfähigkeit der Amateure mit, die das ja nach getaner Arbeit realisieren und eben wirklich zu ihrer Freude. Und was Singen an Glücksgefühl und Freude auslösen kann, das ist nicht nur für Profis, das ist für jedermann einfach wirklich beobachtenswert.

von Billerbeck: Wie sieht es eigentlich mit dem Nachwuchs bei den Profichören aus? Es gibt ja einige Chöre, da haben viele in der gleichen Zeit angefangen, das heißt, die Stimmen altern auch zur gleichen Zeit, man braucht also Nachwuchs, und da haben ja die Chöre ja fast das gleiche Problem wie ein Orchester: Sie brauchen einerseits großartige Solisten, aber die müssen sich in diesen Einklang einfügen. Wie löst man dieses Dilemma?

Rehberg: Ja, das ist auch ein weites Feld, und natürlich, gerade für so einen Profichor, für so einen Rundfunkchor gibt es ganz spezifische Anforderungen, für die muss man auch sensibilisieren. Und ich glaube, wir haben uns da relativ breit aufgestellt, und ich fange einfach an bei dem Singen in den Schulen. Ich glaube, schon dort muss man sensibilisieren für die Schönheit des Singens, für die Kraft des Singens, für das kreative Potenzial, was man freisetzen kann. Und wir haben Angebote geschaffen für diejenigen, die sich dann tatsächlich für diesen Beruf entscheiden, ein normales Musikstudium natürlich realisieren müssen, aber auch dort die Spezifik eines Rundfunkchor-Singens, glaube ich, noch nicht vermittelt kriegen. Dafür haben wir Meisterklassen installiert – einmal eine Meisterklasse für die jungen Dirigenten, die nachwachsen müssen, zum anderen eine Akademie installiert, die jungen Sängern die Möglichkeit gibt, wirklich das Einmaleins des professionellen Rundfunkchor-Singens zu lernen.

von Billerbeck: In Nordrhein-Westfalen, da gab es ja die Initiative "Für jedes Kind ein Instrument", könnte dieses Instrument nicht auch die eigene Stimme sein?

Rehberg: Richtig, in Nordrhein-Westfalen gibt es auch diese Initiative, bei der es wirklich ums Singen geht. Wir haben eine ähnliche Initiative vor zu starten, haben Fördermittel beantragt und halten es für eine große Chance, wenn diese Mittel bewilligt werden, in den Grundschulen, eben nicht nur im Musikunterricht, sondern eigentlich in jedem Fach zu verdeutlichen, welch kreatives Potenzial in der Bewegung und im Singen liegt, nämlich immer dann, wenn der Kopf dicht ist für andere Dinge.

von Billerbeck: Im Pop-Bereich, da gibt es ja das sogenannte Beatboxen, also das A-cappella-Singen, und dort also auch eine Rückbesinnung auf die eigene Stimme. Hat das vielleicht auch zu diesem Trend zum wieder selber Singen beigetragen?

Rehberg: Ich bin ganz sicher, dass es ein Einfluss aus ganz unterschiedlichsten Ecken ist und dass man sich nicht festlegen kann, das war's, das war's, das war's – es ist die Vielfalt aller Initiativen, die uns hier einen Schritt voranbringt.

von Billerbeck: Hans Rehberg, Chordirektor des Rundfunkchores Berlin, danke Ihnen! Der Chor, der schon mit zwei Grammys ausgezeichnet wurde, ist für einen dritten nominiert – ob das klappt, werden wir dann am 13. Februar erfahren. Vorher können Sie den Chor beim Fest der Kulturen im Foyer der Berliner Philharmonie hören, am 30. Januar, und vielleicht auch mitsingen dort. Und unseren "Chor der Woche", den hören Sie natürlich wieder am Freitag hier im "Radiofeuilleton" um 10:50 Uhr. Diesmal ist das die Kantorei Salzwedel.
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