Chor der Woche

Singen ist wie Balsam

Von Gerrit Stratmann · 13.12.2013
1963 wurde im Kölner Stadtteil Klettenberg die evangelische Johanneskirche gebaut und die Johanneskantorei ins Leben gerufen. Zur ersten Probe kamen nur vier Frauen, heute hat der Chor 40 Sänger.
Alle machen mit bei den Lockerungsübungen, die 19-jährige Theresa Kugler ebenso wie die 84-jährige Beate Wolf. Die alte Dame kommt bereits seit 1972 jeden Dienstag zu den Proben in den Gemeindesaal der Johanneskirche in Köln-Klettenberg. Die einzige Hürde für sie ist das Singen in fremden Sprachen.
Beate: "Für mich ist es immer schwierig, wenn dann Englisch oder Französisch oder sowas gesungen wird. Dann schimpf ich auch schon mal so ein bisschen."
Eva: "Das stimmt!"
Beate: "Das kann man von mir auch nicht verlangen, ne!"
Beate Wolf ist zwar die älteste Sängerin des Chores, aber nicht von Anfang an dabei. An die allererste Probe vor 50 Jahren kann sich Hanni Rautenbach noch erinnern, heute 64 Jahre alt:
"Ich war 14. Mit meiner Freundin zusammen haben wir von unserer Kinderchorleiterin gehört, Fräulein Schaarwächter gründet in Klettenberg einen Chor für die Johanneskirche. Die Johanneskirche, das war hier noch eine Baustelle. Und meine Freundin und ich, wir haben uns ein Herz gefasst und haben geklingelt, ja und dann waren das genau vier Leute, die bei der ersten Chorprobe da waren."
Aus vier sind heute gut 40 Sängerinnen und Sänger geworden. In den 90er-Jahren waren es einmal fast 80. Neuzugänge wie Claudia Hegeler nimmt der Chor deshalb jederzeit gerne auf. Die junge Mutter stieß erst im Sommer zur Johanneskantorei:
"Ich hab jetzt die Erfahrung gemacht, machen dürfen, dass es eine sehr offene Gemeinschaft ist, und dass die es einem wirklich leicht machen, reinzukommen, und wirklich sehr freundlich einen aufnehmen. Das ist natürlich eine sehr schöne Erfahrung und das verleitet dann ja auch dazu zu bleiben."
Der Mitgliederrückgang ist vor allem bei den Männerstimmen spürbar. Gerade einmal drei Tenöre hat der Chor zurzeit. Der frühere Fachhochschuldozent Eberhard Ruppert ist einer von ihnen. Mit seinem Eintritt in den Ruhestand hat er sich entschlossen, wieder im Chor zu singen. Anfangs fühlte sich der Pensionär noch ein bisschen eingerostet:
"Ich hab gemerkt, dass man stimmlich wieder auf Vordermann kommen muss, und das dauert. Da braucht man seine Zeit, man ist ja dann auch älter und singt nicht mehr alles so flott, munter vom Hocker herunter, und das habe ich also sehr deutlich gemerkt."
Auch Katholiken sind willkommen
Eberhard Ruppert war lange Zeit auch als Kirchenältester für die Johanneskirche tätig. Von den Chormitgliedern gehört indes nur die Hälfte auch offiziell zu der evangelischen Gemeinde. Die andere Hälfte, verrät Alt-Sängerin Julia Krebber, ist katholisch:
"Ich hatte den Chor in einem Konzert in einer katholischen Kirche gehört, weil ich eigentlich katholisch bin. Und da wurde halt nach dem Konzert gefragt, ob nicht jemand Interesse hätte, dem Chor beizutreten, und dann hab ich mich halt hier gemeldet, weil der Chor der katholischen Kirche, zu der ich gehöre hier in der Nachbarschaft, der war damals zu schlecht."
Damit sich die Rhythmen festigen, lässt Chorleiterin Eva-Maria Förster den Chor die Texte auch manchmal sprechen statt singen. Die Johanneskantorei hat in den 50 Jahren ihres Bestehens vor allem klassische Literatur von Bach, Brahms, Händel, Vivaldi, Schütz und Mendelssohn Bartholdy einstudiert. Für Sopranistin Angelika Beckers war gerade diese Auswahl ausschlaggebend für ihre Entscheidung hier mitzusingen:
"Das hat auch was mit der Liebe zur klassischen Musik zu tun, wenn man sich einen Kirchenchor sucht. Wenn man bestimmte, auch gerade geistliche Stücke singt, das ist wie Balsam. Also das ist was so Erhebendes, also Bach zum Beispiel zu singen – ich glaub, das Größte, was ich gesungen habe, war die h-Moll-Messe. Und das ist so, dass man dann selber fast mit den Tränen kämpfen muss, wenn man bestimmte Stücke singt. Das ist sehr berührend."
Die Liebe zur klassischen Musik möchte auch Kantorin Eva-Maria Förster weitervermitteln. Zwar ist das Repertoire überwiegend von Klassikern geprägt, aber zwischendurch greift sie auch gerne mal auf jüngere Komponisten wie John Rutter oder weniger bekannte wie Maurice Duruflé zurück:
"Nächstes Jahr mache ich zum Beispiel ein unbekanntes Stück, was fast keiner kennt. Ein wunderschönes Stück, aber da weiß man dann nicht so genau, ob wir volles Haus kriegen. Trotzdem finde ich es wichtig und schön, auch solche Stücke zu machen, die jetzt nicht die Publikumsreißer sind. Also ich würde es schade finden, wenn die Kirchenchöre sich nur noch aufs Weihnachtsoratorium reduzieren."
Die Gefahr besteht bei der Johanneskantorei nicht. Der Chor gibt schließlich nicht nur Weihnachtskonzerte, sondern gestaltet über das ganze Jahr hinweg noch Gottesdienste mit. Wenn es nach Eva-Maria Förster ginge, würde sie in Zukunft gerne auch noch mehr jazzige oder poppige Stücke ausprobieren:
"Ich hatte jetzt in der Gemeinde auch gesagt, ich möchte jetzt so ein bisschen so was auch mal erarbeiten, und wir hatten im letzten Jahr auch eine Chorprobe mit Erik Sohn, der die Wise Guys coacht. Also wir öffnen uns schon. Aber ich denke, man soll auch vorsichtig sein. Es passen einem nicht alle Schuhe."
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