Chor der reuigen Sünder
Im Naumburger Dom stehen zwölf Stifterfiguren, die zu den schönsten Kunstschätzen des Hochmittelalters zählen. Geschaffen hat sie der „Naumburger Meister“. Ihm und seinem Umfeld widmet sich die Landesausstellung Sachsen-Anhalt.
Der Naumburger Meister ist ein Phantom, keiner kennt seinen Namen, und es gibt auch kein Bild des Bildhauers aus dem 13. Jahrhundert. Nur mit kriminalistischem Geschick kommt man ihm auf die Schliche. Das war lange Zeit willkommen, denn die deutsche Kunstgeschichte benutzte den Naumburger Meister als Projektionsfläche, um die Einzigartigkeit einer deutsch geprägten Kunst zu behaupten. Der Naumburger Meister wurde einfach von seinen französischen Wurzeln getrennt. Kurator Hartmut Krohm:
„Dass man den Naumburger Meister als ein europäischen Phänomen zu begreifen beginnt, das ist ja völlig neu. Wenn Sie also ältere Literatur sehen, stoßen Sie sofort auf die nationalistische Vereinnahmung dieses Mannes, den man also zu einem Individualkünstler hochstilisiert hat, der die deutsche Kunst schlechthin repräsentiert.“
Im 19. Jahrhundert wurde der Bildhauer und Architekt zu einem Nationalheiligen, der die Tiefen der deutschen Seele kannte. Seine Stifterfigur Uta hing als Urbild der deutschen Frau neben den Betenden Händen von Dürer in den Wohnstuben der Deutschen. Naumburg wurde zur Weihestätte und zum Ziel unzähliger Pilgerfahrten. Nur in Walt Disneys Schneewittchen-Film von 1937 wird die deutsche Uta zum Vorbild der bösen Königin. Diese deutschnationale Sichtweise wird jetzt mit einer fulminanten Ausstellung und 1500 Seiten Katalog gründlich korrigiert.
Der Naumburger Meister war wahrscheinlich Franzose. In der Kathedrale zu Reims wird erstmals seine unverwechselbare Handschrift deutlich. Durch Bauforschung und Stilvergleiche lässt sich Schritt für Schritt sein Weg durch Europa verfolgen. Das Erzbistum Mainz ließ den Meister kommen, wo er im Dom den berühmten Westlettner schuf. Die nächste Station war Naumburg. 1028 hatte die Stadt den Bischofssitz vom benachbarten Zeitz übernommen und brauchte einen repräsentativen Kirchenbau. Dann folgte die Dombauhütte in Meißen, und vielleicht lassen sich die Spuren sogar bis nach Polen und ins spanische Burgos verfolgen.
Hartmut Krohm: „Der Naumburger Meister ist in ein ganz hochkarätiges intellektuelles Milieu eingebettet, das man so umschreiben kann: die Kathedrale von Reims mit ihren Konzeptionen, mit ihren Programmen, dann taucht er an anderen Orten auf, in denen ganz hohe Ambitionen herrschen, und in der Zwischenzeit hat er eine Bauhütte, einen Hüttenverband, einen Werktrupp organisiert, der aber hochspezialisiert gewesen ist und der die Anforderungen von sehr anspruchsvollen Auftraggebern erfüllen konnte. Auftraggeber, die miteinander vernetzt gewesen sind, das ist auch sehr wichtig.“
Im Vorfeld der Ausstellung haben Franzosen und Deutsche erstmals gemeinsam die Kunst des Hochmittelalters erforscht. Das politische Umfeld wird gezeigt, die höfische Kunst, der ausgeprägte Passionsglaube und die Rolle der Wissenschaften. Denn in der Zeit des Naumburger Meisters gab es große Umbrüche.
Hartmut Krohm: „Der Kathedralarchitekt wird zum Gelehrten. Man beschäftigt sich mit empirischer Wissenschaft, also Pflanzen nach der Natur gebildet, und man studiert die Mimik des Menschen. Man studiert den Menschen bis hin zu seiner Seele. Also das Individuum ganz hoch bewertet.“
Der Naumburger Westchor wird zu einem Höhepunkt der Kunst des 13. Jahrhunderts. Vor allem die Stifterfiguren, die eine ganz unterschiedliche Mimik zeigen. Graf Syzzo blickt verärgert drein, die Markgräfin Reglindis grinst lebenslustig mit geschlossenem Mund, während ihr Gatte eher melancholisch wirkt.
Hartmut Krohm: „Es sind zwölf Stifter, die hier aufgestellt sind, die aber dann so mit den Mitteln des Naumburger Meisters, seiner Vorstellungskraft in die Wirklichkeit hier geholt worden sind. Das Besondere ist, die Figuren sind im Verband mit einer Säule gearbeitet, sie treten praktisch in den Raum heraus. Sie haben Erscheinungscharakter, man kann sagen, es ist ein Chor der reuigen Sünder.“
Modernes technisches Gerät half den Forschern, Farbspuren auf den Stifterfiguren zu finden. Auch Günter Donath, Dombaumeister in Meißen, hat eine Entdeckung gemacht. Er fand in Naumburg und Meißen identische Steinmetzzeichen, und an den Wänden hat er eingeritzte Baupläne gefunden:
„Deutlich sehen Sie vielleicht hier diesen Bogen, weiter unten hier eine Linie. Und wenn man jetzt diesen Bogen, diese Linien und diese Gerade, die sich hier anschließt, zusammenzieht, dann sehen Sie genau den Portikus des Westlettners. Die Steinmetze mussten jetzt an diese Zeichnung herantreten, mussten sich von dieser Eins-zu-Eins-Zeichnung Schablonen anfertigen, diese Schablonen auf ihren Werkstein legen und danach den Werkstein abarbeiten.“
Pläne und Schriften, technisches Gerät der Bauhütten, Utensilien des höfischen Lebens, Silber- und Goldschmiedearbeiten, Statuetten aus Elfenbein. Die Exponate wurden aus ganz Europa zusammengetragen. Es ist eine ganz außergewöhnliche Werkschau der Kunst des 13. Jahrhunderts. Gottesfurcht und Stifterkult haben damals die Kunst beflügelt, doch die Zeit blieb nicht stehen. Noch einmal Kurator Hartmut Krohm:
„Indem also der Naumburger Stifterchor entsteht, entsteht auch die Sainte-Chapelle in Paris, auch mit einem Innenraumzyklus von Figuren. Apostel sind es dort, und in Paris entsteht ein ganz neuer Stil, der auch nicht auf das Individuelle abzielt, sondern auf das Überindividuelle. Von Ludwig IX. dem Heiligen geht das aus, und damit erlöscht auch das, was wir hier in Naumburg haben. Reims findet hier zum letzten Mal einen Widerhall und wird dann überlagert durch ganz neue höfische Ideale, die von Paris ausgehen.“
Geblieben sind wunderbare Skulpturen. Der Naumburger Meister und seine Zeitgenossen haben den Menschen in den Mittelpunkt gestellt. Und so erzählt die Ausstellung nicht nur von inniger Religiosität, sondern auch vom Beginn der europäischen Moderne, die uns bis heute prägt.
Informationen zur Landesausstellung Sachen-Anhalt: Der Naumburger Meister
„Dass man den Naumburger Meister als ein europäischen Phänomen zu begreifen beginnt, das ist ja völlig neu. Wenn Sie also ältere Literatur sehen, stoßen Sie sofort auf die nationalistische Vereinnahmung dieses Mannes, den man also zu einem Individualkünstler hochstilisiert hat, der die deutsche Kunst schlechthin repräsentiert.“
Im 19. Jahrhundert wurde der Bildhauer und Architekt zu einem Nationalheiligen, der die Tiefen der deutschen Seele kannte. Seine Stifterfigur Uta hing als Urbild der deutschen Frau neben den Betenden Händen von Dürer in den Wohnstuben der Deutschen. Naumburg wurde zur Weihestätte und zum Ziel unzähliger Pilgerfahrten. Nur in Walt Disneys Schneewittchen-Film von 1937 wird die deutsche Uta zum Vorbild der bösen Königin. Diese deutschnationale Sichtweise wird jetzt mit einer fulminanten Ausstellung und 1500 Seiten Katalog gründlich korrigiert.
Der Naumburger Meister war wahrscheinlich Franzose. In der Kathedrale zu Reims wird erstmals seine unverwechselbare Handschrift deutlich. Durch Bauforschung und Stilvergleiche lässt sich Schritt für Schritt sein Weg durch Europa verfolgen. Das Erzbistum Mainz ließ den Meister kommen, wo er im Dom den berühmten Westlettner schuf. Die nächste Station war Naumburg. 1028 hatte die Stadt den Bischofssitz vom benachbarten Zeitz übernommen und brauchte einen repräsentativen Kirchenbau. Dann folgte die Dombauhütte in Meißen, und vielleicht lassen sich die Spuren sogar bis nach Polen und ins spanische Burgos verfolgen.
Hartmut Krohm: „Der Naumburger Meister ist in ein ganz hochkarätiges intellektuelles Milieu eingebettet, das man so umschreiben kann: die Kathedrale von Reims mit ihren Konzeptionen, mit ihren Programmen, dann taucht er an anderen Orten auf, in denen ganz hohe Ambitionen herrschen, und in der Zwischenzeit hat er eine Bauhütte, einen Hüttenverband, einen Werktrupp organisiert, der aber hochspezialisiert gewesen ist und der die Anforderungen von sehr anspruchsvollen Auftraggebern erfüllen konnte. Auftraggeber, die miteinander vernetzt gewesen sind, das ist auch sehr wichtig.“
Im Vorfeld der Ausstellung haben Franzosen und Deutsche erstmals gemeinsam die Kunst des Hochmittelalters erforscht. Das politische Umfeld wird gezeigt, die höfische Kunst, der ausgeprägte Passionsglaube und die Rolle der Wissenschaften. Denn in der Zeit des Naumburger Meisters gab es große Umbrüche.
Hartmut Krohm: „Der Kathedralarchitekt wird zum Gelehrten. Man beschäftigt sich mit empirischer Wissenschaft, also Pflanzen nach der Natur gebildet, und man studiert die Mimik des Menschen. Man studiert den Menschen bis hin zu seiner Seele. Also das Individuum ganz hoch bewertet.“
Der Naumburger Westchor wird zu einem Höhepunkt der Kunst des 13. Jahrhunderts. Vor allem die Stifterfiguren, die eine ganz unterschiedliche Mimik zeigen. Graf Syzzo blickt verärgert drein, die Markgräfin Reglindis grinst lebenslustig mit geschlossenem Mund, während ihr Gatte eher melancholisch wirkt.
Hartmut Krohm: „Es sind zwölf Stifter, die hier aufgestellt sind, die aber dann so mit den Mitteln des Naumburger Meisters, seiner Vorstellungskraft in die Wirklichkeit hier geholt worden sind. Das Besondere ist, die Figuren sind im Verband mit einer Säule gearbeitet, sie treten praktisch in den Raum heraus. Sie haben Erscheinungscharakter, man kann sagen, es ist ein Chor der reuigen Sünder.“
Modernes technisches Gerät half den Forschern, Farbspuren auf den Stifterfiguren zu finden. Auch Günter Donath, Dombaumeister in Meißen, hat eine Entdeckung gemacht. Er fand in Naumburg und Meißen identische Steinmetzzeichen, und an den Wänden hat er eingeritzte Baupläne gefunden:
„Deutlich sehen Sie vielleicht hier diesen Bogen, weiter unten hier eine Linie. Und wenn man jetzt diesen Bogen, diese Linien und diese Gerade, die sich hier anschließt, zusammenzieht, dann sehen Sie genau den Portikus des Westlettners. Die Steinmetze mussten jetzt an diese Zeichnung herantreten, mussten sich von dieser Eins-zu-Eins-Zeichnung Schablonen anfertigen, diese Schablonen auf ihren Werkstein legen und danach den Werkstein abarbeiten.“
Pläne und Schriften, technisches Gerät der Bauhütten, Utensilien des höfischen Lebens, Silber- und Goldschmiedearbeiten, Statuetten aus Elfenbein. Die Exponate wurden aus ganz Europa zusammengetragen. Es ist eine ganz außergewöhnliche Werkschau der Kunst des 13. Jahrhunderts. Gottesfurcht und Stifterkult haben damals die Kunst beflügelt, doch die Zeit blieb nicht stehen. Noch einmal Kurator Hartmut Krohm:
„Indem also der Naumburger Stifterchor entsteht, entsteht auch die Sainte-Chapelle in Paris, auch mit einem Innenraumzyklus von Figuren. Apostel sind es dort, und in Paris entsteht ein ganz neuer Stil, der auch nicht auf das Individuelle abzielt, sondern auf das Überindividuelle. Von Ludwig IX. dem Heiligen geht das aus, und damit erlöscht auch das, was wir hier in Naumburg haben. Reims findet hier zum letzten Mal einen Widerhall und wird dann überlagert durch ganz neue höfische Ideale, die von Paris ausgehen.“
Geblieben sind wunderbare Skulpturen. Der Naumburger Meister und seine Zeitgenossen haben den Menschen in den Mittelpunkt gestellt. Und so erzählt die Ausstellung nicht nur von inniger Religiosität, sondern auch vom Beginn der europäischen Moderne, die uns bis heute prägt.
Informationen zur Landesausstellung Sachen-Anhalt: Der Naumburger Meister

Der Dom zu Naumburg© Tourist- und Tagungsservice Stadt Naumburg