Chinesischer Menschenrechtsanwalt: Petra-Kelly-Preis ist Ermutigung für Anwälte
Der chinesische Menschenrechtsanwalt Zhang Sizhi hat seine Auszeichnung mit dem Petra-Kelly-Preis der Heinrich-Böll-Stiftung als "Ermutigung für Anwälte" bezeichnet. Jeder Anwalt, der sich für das Recht einsetze, brauche eine solche Unterstützung, sagte Zhang Sizhi. Sein Berufsstand habe eine "historische Mission" zu erfüllen und denen zu helfen, deren Recht mit Füßen getreten werde: "Wenn man diesen Gedanken zu Ende durchdenkt, dann kommt man zu dem Schluss, dass die Aufgabe des Anwaltes ist, den Fortschritt der Gesellschaft voranzutreiben."
Katrin Heise: Zhang Sizhi wurde 1927 in Zentralchina geboren. Mitte der 50er-Jahre war er einer der ersten Anwälte in der jungen Volksrepublik, wurde allerdings schon nach einem Jahr als Rechtsabweichler zu 15 Jahren Zwangsarbeit verurteilt. Menschenrechte sind für ihn die Grundlage jeder Rechtsprechung. Seit den 80er-Jahren sieht er als eine Pflicht an, Schritt für Schritt einen Rechtsstaat aufzubauen. Er verteidigte Regimegegner und einfache Leute und tut das bis heute. Gestern Abend erhielt er für sein Engagement den Petra-Kelly-Preis der Heinrich-Böll-Stiftung und dort traf ich ihn vor der Verleihung. Herr Zhang, herzlichen Glückwunsch zu Ihrer Auszeichnung. Sie sagen, der Preis ist Ermutigung für Sie und die chinesischen Anwälte. Was bedeutet er genau?
Zhang Sizhi: Es ist in der Tat eine Ermutigung für Anwälte. An und für sich gar nicht mal konkret chinesische Anwälte und noch weniger meine Wenigkeit, weltweit. Wenn man diese Frage wirklich im Sinne des Wortes global betrachtet, dann ist jeder Anwalt verpflichtet, sich für das Recht einzusetzen und braucht diese Ermutigung. Dass die Rechte von Bürgern eingeschränkt oder missachtet oder völlig ignoriert werden, das passiert überall auf der Welt und das passiert in viel zu großem Umfange. Deswegen bin ich der Ansicht, dass die Anwälte da wirklich an vorderster Front stehen.
Heise: Was bedeutet es in China Anwalt zu sein heutzutage?
Sizhi: Er hat eine historische Mission zu erfüllen, die darin besteht, dass er denen zu ihrem Recht verhilft, deren Recht mit Füßen getreten wird und auf deren Rechten herumgetrampelt wird. Wenn man diesen Gedanken zu Ende durchdenkt, dann kommt man zu dem Schluss, dass die Aufgabe des Anwaltes ist, den Fortschritt der Gesellschaft voranzutreiben.
Heise: Wei Jingsheng, der politische Forderungen per Wandzeitungverbreitet hat, Wang Juntao, der als Drahtzieher des Studentenprotestes auf dem Tian'anmen-Platz angeklagt war und andere Regimegegner wurden von Ihnen verteidigt. Wie sind Sie da eigentlich vorgegangen? Es war Ihnen ja verboten, auf "unschuldig" oder auf "Freispruch" zu plädieren.
Sizhi: Es war damals in der Tat so. Man muss allerdings präzisieren, dass es sich dabei nicht um eine rechtliche Bestimmung oder einen Erlass gehandelt hat, sondern dass das eine interne Anordnung war, dass wir nicht auf "unschuldig" plädieren durften.
Heise: Das heißt, Sie haben versucht, zwischen den Zeilen zu vermitteln, dass die Anklage nicht richtig war?
Sizhi: Ich habe durchaus nicht zwischen den Zeilen argumentiert, sondern bin sehr deutlich und sehr direkt in meiner Formulierung geworden, um klarzustellen, dass weder Wei Jingsheng noch zum Beispiel Wang Juntao eines der Verbrechen begangen hatten, was ihnen von der Staatsanwaltschaft vorgeworfen worden war.
Heise: Hatten Sie damals Angst um sich selbst und Ihre Familie?
Sizhi: Ja, in der Tat gab es da einige Sorgen und Bedenken.
Heise: Wie haben Sie sich und Ihre Familie schützen können?
Sizhi: Für mich selber konnte ich da quasi nur auf die Natur oder auf die Möglichkeiten vertrauen, was meine Familie angeht. Die einzige Möglichkeit, meine Familie zu schützen, war sie vollständig außen vor zu halten. Das heißt, eine ganz klare Trennung zu ziehen zwischen meinem Familienleben und meiner Arbeit, sodass meine Familie über nichts Bescheid wusste, dessen, was ich in meiner Arbeit tat. Das heißt, um mal einen juristischen Terminus technicus zu bemühen, sie waren nicht als Zeugen qualifiziert.
Heise: Muss ein chinesischer Anwalt taktisch vorgehen, strategisch vorgehen, muss er für Kompromisse bereit sein oder, so stelle ich es mir jedenfalls vor, dass er eben nicht so offen agieren kann, wie er das vielleicht hier in westlichen Gegenden tun kann?
Sizhi: Das ist absolut richtig. Speziell in diesen heikleren Fällen können wir Anwälte in China gar nicht anders als geschickt vorzugehen, als strategisch zu überlegen und auch müssen wir immer offen für Kompromisse sein. Für unsere Arbeit gilt, und das muss wirklich gesagt werden an dieser Stelle, nicht nur die Lenkung durch das Recht, sondern noch mehr sind wir immer auch der Lenkung durch den Staat ausgesetzt.
Heise: Sie haben bei Ihren Fällen immer auf Zurückhaltung gesetzt, auch gerade, was die Öffentlichkeit angeht. Viele oder einige Ihrer jüngeren Kollegen jetzt setzen vielleicht eher auf die Öffentlichkeit, machen Fälle bekannt. Was sagen Sie dazu?
Sizhi: Um es ganz offen zu sagen, ich stimme mit diesem Prozedere nicht überein. Ich bin immer der festen Meinung, dass ein Anwalt in einem Verfahren sich zuerst und zuletzt auf die Aktenlage stützen sollte und dass es hier nur darum gehen kann, einen Beitrag zum Recht und zur Gesellschaft zu leisten, aber nicht da drum gehen, einen Beitrag zur Wahrung eigener Interessen zu leisten. Und dass ich über lange Zeit keine Interviewanfragen akzeptiert habe, das ist einer der Gründe dafür.
Heise: Sie haben viele Enttäuschungen einstecken müssen, gerade die Regimegegner, die Sie verteidigten, denen ist keine Gerechtigkeit widerfahren. Sie sind nicht freigesprochen worden. Wie haben Sie danach weitergemacht?
Sizhi: Das ist ein sehr schwieriger und komplizierter Prozess für mich gewesen und ich kann Ihnen ganz offen sagen, dass nach dem ersten großen Fall, Wang Juntao, nachdem der Fall verloren war und die Verhandlung geschlossen war, ich in Tränen ausgebrochen bin. Und es ging mir dabei nicht um mich, sondern ich war einfach zutiefst enttäuscht davon, dass in so einem Fall wie dem von Wang Juntao nicht die mindesten Rechtsprinzipien gewahrt wurden. Ich habe das für eine Tragödie am Recht empfunden.
Heise: Im "Radiofeuilleton" hören Sie den chinesischen Anwalt Zhang Sizhi, der für sein jahrzehntelanges Engagement für die Menschenrechte und den Aufbau eines Rechtsstaates in China den Petra-Kelly-Preis der Heinrich-Böll-Stiftung erhielt. Herr Zhang, 1957, wurden Sie nach einem Jahr als Anwalt, als Rechtsabweichler zu 15 Zwangsarbeit auf dem Land verurteilt. Das war sicherlich die schwerste Zeit in Ihrem Leben. Als was für ein Mensch sind Sie da rausgekommen?
Sizhi: Um es mal auf einen ganz einfachen Punkt zu bringen. Mao hatte einen abgrundtiefen Hass für Intellektuelle. Das heißt, er hat sich alles Erdenkliche einfallen lassen, wo er sie auch immer kriegen konnte, Intellektuelle zu verprügeln. Vorübergehend war ihm damit sogar Erfolg beschieden. Aber in langer Sicht ist er damit gescheitert.
Heise: Was haben Sie für Ihr Leben aus diesen 15 Jahren gelernt?
Sizhi: Diese 15 Jahren waren zunächst natürlich auch mal ein tragischer Verlust an Geistesleben. Denn wir wurden ja quasi zu Sklavenarbeit auf dem Land gezwungen und hatten keinerlei Chance, für irgendwelchen intellektuellen Tätigkeiten, auch Lesen war unmöglich. Denn allein der Versuch zu lesen, wurde einem wiederum als Abweichlertum ausgelegt und man hatte 15 für den Intellekt verlorene Jahre.
Heise: Danach arbeiteten Sie als Lehrer weiter, und zwar auch sehr gerne. Sie haben sehr gerne als Lehrer gearbeitet. Aber das Regime wollte Sie dann wieder als Anwalt, erst als Richter, dann als Anwalt. Sie mussten die Verteidigung der sogenannten "Viererbande" um Mao Zedong übernehmen. Fiel Ihnen das nicht unglaublich schwer?
Sizhi: Ich habe damals eine bestimmte Haltung gehabt oder meine Einstellung dazu war, dass ich das als Aufgabe wahrgenommen habe, um die Wörter unseres früheren Staatspräsidenten Liu Shaoqi zu zitieren, habe ich es einfach als Auftrag empfunden und als Aufgabe dies zu tun.
Heise: Sie haben mal gesagt, dass das Verfahren quasi der Anfang des Rechtsstaates war und das war dann wahrscheinlich auch Ihre Aufgabe, von Anfang an da auch mitzuwirken an dem Aufbau des Rechtsstaates. Wenn Sie das heute betrachten, macht dieser Rechtsstaat Fortschritte?
Sizhi: Auf jeden Fall müssen wir festhalten, dass wir Fortschritte erzielt haben. Denn wir dürfen ja nie vergessen, wo wir damals hergekommen sind. Wir hatten ja gerade das Chaos der Kulturrevolution hinter uns gebracht. Und zunächst gab es die allgemeine Ansicht, das Recht etwas sei, womit Menschen gefesselt würden und womit einem die Hände gebunden werden und deswegen Recht etwas sei, was es verdiene zerschlagen zu werden. Das heißt, mit so einem Hintergrund an dieser Stelle zu sagen, jetzt orientieren wir uns am Recht und an Rechtsnormen, das war ein phänomenaler Durchbruch.
Heise: Das ist jetzt schon sehr lange her. Wenn Sie jetzt den heutigen Staat China betrachten und Sie gerade eben als Menschenrechtsanwalt, der auch sagt, die Menschenrechte sind die Basis des Anwaltsdaseins, des Rechts. Wie weit ist der chinesische Rechtsstaat jetzt?
Sizhi: Fangen mit der Gesetzgebung an. Und da muss ich sagen, sind ganz enorme Fortschritte erzielt worden. Aber bereits an dieser Stelle kommen Probleme zutage, die durchaus als gravierend zu bezeichnen sind, denn die Gesetzgebungskompetenz obliegt eigentlich mehr oder minder einzelnen Ministerien und einzelnen Behörden, die dann auch in Widerstreit treten. Zum Beispiel haben wir eine Strafprozessordnung. Und diese Strafprozessordnung ist nun schon mehrfach überarbeitet und revidiert worden, aber das große Problem ist, dass dann zum Beispiel das Ministerium für öffentliche Sicherheit, sprich die Polizeibehörde an dieser Stelle kommt und sagt, wir haben die und die und die Interessen, die da abgebildet werden müssen. Das heißt, es wird ein sehr parteiisches, ein Partikularinteresse dann auch in dem Rechtskörper abgebildet.
Heise: Eine letzte Frage würde ich gerne noch stellen zum Verhältnis zu den Medien, zu den ausländischen Medien auch gerade. Welches Verhalten wäre Ihrer Meinung da hilfreich?
Sizhi: Allein die Probleme, die sich durch unseren kulturellen Hintergrund ergeben, die können Sie nicht mal so eben mit einer oberflächlichen Betrachtungsweise wirklich erkennen. Und deswegen darf ich oder muss ich auch an dieser Stelle leider sagen, dass es einige Medien gibt, für die nur gelten kann, das Gegenteil von gut ist gut gemeint, die kommen zwar mit guten Absichten und wollen etwas Gutes tun mit ihrer Berichterstattung, aber das ganze Gegenteil ist dann der Fall. Und das ist auch kein Vorwurf, sonder ich hoffe einfach, dass sich da die Arbeit etwas verbessern möge.
Heise: Zhang Sizhi, chinesischer Menschenrechtsanwalt. Ich danke Ihnen ganz herzlich für dieses Gespräch und ich wünsche Ihnen noch viel Kraft für Ihre Arbeit!
Sizhi: Ich glaube, der Dank liegt bei mir und es Ihnen abzustatten für Interesse und Ihre Aufmerksamkeit. Danke sehr!
Zhang Sizhi: Es ist in der Tat eine Ermutigung für Anwälte. An und für sich gar nicht mal konkret chinesische Anwälte und noch weniger meine Wenigkeit, weltweit. Wenn man diese Frage wirklich im Sinne des Wortes global betrachtet, dann ist jeder Anwalt verpflichtet, sich für das Recht einzusetzen und braucht diese Ermutigung. Dass die Rechte von Bürgern eingeschränkt oder missachtet oder völlig ignoriert werden, das passiert überall auf der Welt und das passiert in viel zu großem Umfange. Deswegen bin ich der Ansicht, dass die Anwälte da wirklich an vorderster Front stehen.
Heise: Was bedeutet es in China Anwalt zu sein heutzutage?
Sizhi: Er hat eine historische Mission zu erfüllen, die darin besteht, dass er denen zu ihrem Recht verhilft, deren Recht mit Füßen getreten wird und auf deren Rechten herumgetrampelt wird. Wenn man diesen Gedanken zu Ende durchdenkt, dann kommt man zu dem Schluss, dass die Aufgabe des Anwaltes ist, den Fortschritt der Gesellschaft voranzutreiben.
Heise: Wei Jingsheng, der politische Forderungen per Wandzeitungverbreitet hat, Wang Juntao, der als Drahtzieher des Studentenprotestes auf dem Tian'anmen-Platz angeklagt war und andere Regimegegner wurden von Ihnen verteidigt. Wie sind Sie da eigentlich vorgegangen? Es war Ihnen ja verboten, auf "unschuldig" oder auf "Freispruch" zu plädieren.
Sizhi: Es war damals in der Tat so. Man muss allerdings präzisieren, dass es sich dabei nicht um eine rechtliche Bestimmung oder einen Erlass gehandelt hat, sondern dass das eine interne Anordnung war, dass wir nicht auf "unschuldig" plädieren durften.
Heise: Das heißt, Sie haben versucht, zwischen den Zeilen zu vermitteln, dass die Anklage nicht richtig war?
Sizhi: Ich habe durchaus nicht zwischen den Zeilen argumentiert, sondern bin sehr deutlich und sehr direkt in meiner Formulierung geworden, um klarzustellen, dass weder Wei Jingsheng noch zum Beispiel Wang Juntao eines der Verbrechen begangen hatten, was ihnen von der Staatsanwaltschaft vorgeworfen worden war.
Heise: Hatten Sie damals Angst um sich selbst und Ihre Familie?
Sizhi: Ja, in der Tat gab es da einige Sorgen und Bedenken.
Heise: Wie haben Sie sich und Ihre Familie schützen können?
Sizhi: Für mich selber konnte ich da quasi nur auf die Natur oder auf die Möglichkeiten vertrauen, was meine Familie angeht. Die einzige Möglichkeit, meine Familie zu schützen, war sie vollständig außen vor zu halten. Das heißt, eine ganz klare Trennung zu ziehen zwischen meinem Familienleben und meiner Arbeit, sodass meine Familie über nichts Bescheid wusste, dessen, was ich in meiner Arbeit tat. Das heißt, um mal einen juristischen Terminus technicus zu bemühen, sie waren nicht als Zeugen qualifiziert.
Heise: Muss ein chinesischer Anwalt taktisch vorgehen, strategisch vorgehen, muss er für Kompromisse bereit sein oder, so stelle ich es mir jedenfalls vor, dass er eben nicht so offen agieren kann, wie er das vielleicht hier in westlichen Gegenden tun kann?
Sizhi: Das ist absolut richtig. Speziell in diesen heikleren Fällen können wir Anwälte in China gar nicht anders als geschickt vorzugehen, als strategisch zu überlegen und auch müssen wir immer offen für Kompromisse sein. Für unsere Arbeit gilt, und das muss wirklich gesagt werden an dieser Stelle, nicht nur die Lenkung durch das Recht, sondern noch mehr sind wir immer auch der Lenkung durch den Staat ausgesetzt.
Heise: Sie haben bei Ihren Fällen immer auf Zurückhaltung gesetzt, auch gerade, was die Öffentlichkeit angeht. Viele oder einige Ihrer jüngeren Kollegen jetzt setzen vielleicht eher auf die Öffentlichkeit, machen Fälle bekannt. Was sagen Sie dazu?
Sizhi: Um es ganz offen zu sagen, ich stimme mit diesem Prozedere nicht überein. Ich bin immer der festen Meinung, dass ein Anwalt in einem Verfahren sich zuerst und zuletzt auf die Aktenlage stützen sollte und dass es hier nur darum gehen kann, einen Beitrag zum Recht und zur Gesellschaft zu leisten, aber nicht da drum gehen, einen Beitrag zur Wahrung eigener Interessen zu leisten. Und dass ich über lange Zeit keine Interviewanfragen akzeptiert habe, das ist einer der Gründe dafür.
Heise: Sie haben viele Enttäuschungen einstecken müssen, gerade die Regimegegner, die Sie verteidigten, denen ist keine Gerechtigkeit widerfahren. Sie sind nicht freigesprochen worden. Wie haben Sie danach weitergemacht?
Sizhi: Das ist ein sehr schwieriger und komplizierter Prozess für mich gewesen und ich kann Ihnen ganz offen sagen, dass nach dem ersten großen Fall, Wang Juntao, nachdem der Fall verloren war und die Verhandlung geschlossen war, ich in Tränen ausgebrochen bin. Und es ging mir dabei nicht um mich, sondern ich war einfach zutiefst enttäuscht davon, dass in so einem Fall wie dem von Wang Juntao nicht die mindesten Rechtsprinzipien gewahrt wurden. Ich habe das für eine Tragödie am Recht empfunden.
Heise: Im "Radiofeuilleton" hören Sie den chinesischen Anwalt Zhang Sizhi, der für sein jahrzehntelanges Engagement für die Menschenrechte und den Aufbau eines Rechtsstaates in China den Petra-Kelly-Preis der Heinrich-Böll-Stiftung erhielt. Herr Zhang, 1957, wurden Sie nach einem Jahr als Anwalt, als Rechtsabweichler zu 15 Zwangsarbeit auf dem Land verurteilt. Das war sicherlich die schwerste Zeit in Ihrem Leben. Als was für ein Mensch sind Sie da rausgekommen?
Sizhi: Um es mal auf einen ganz einfachen Punkt zu bringen. Mao hatte einen abgrundtiefen Hass für Intellektuelle. Das heißt, er hat sich alles Erdenkliche einfallen lassen, wo er sie auch immer kriegen konnte, Intellektuelle zu verprügeln. Vorübergehend war ihm damit sogar Erfolg beschieden. Aber in langer Sicht ist er damit gescheitert.
Heise: Was haben Sie für Ihr Leben aus diesen 15 Jahren gelernt?
Sizhi: Diese 15 Jahren waren zunächst natürlich auch mal ein tragischer Verlust an Geistesleben. Denn wir wurden ja quasi zu Sklavenarbeit auf dem Land gezwungen und hatten keinerlei Chance, für irgendwelchen intellektuellen Tätigkeiten, auch Lesen war unmöglich. Denn allein der Versuch zu lesen, wurde einem wiederum als Abweichlertum ausgelegt und man hatte 15 für den Intellekt verlorene Jahre.
Heise: Danach arbeiteten Sie als Lehrer weiter, und zwar auch sehr gerne. Sie haben sehr gerne als Lehrer gearbeitet. Aber das Regime wollte Sie dann wieder als Anwalt, erst als Richter, dann als Anwalt. Sie mussten die Verteidigung der sogenannten "Viererbande" um Mao Zedong übernehmen. Fiel Ihnen das nicht unglaublich schwer?
Sizhi: Ich habe damals eine bestimmte Haltung gehabt oder meine Einstellung dazu war, dass ich das als Aufgabe wahrgenommen habe, um die Wörter unseres früheren Staatspräsidenten Liu Shaoqi zu zitieren, habe ich es einfach als Auftrag empfunden und als Aufgabe dies zu tun.
Heise: Sie haben mal gesagt, dass das Verfahren quasi der Anfang des Rechtsstaates war und das war dann wahrscheinlich auch Ihre Aufgabe, von Anfang an da auch mitzuwirken an dem Aufbau des Rechtsstaates. Wenn Sie das heute betrachten, macht dieser Rechtsstaat Fortschritte?
Sizhi: Auf jeden Fall müssen wir festhalten, dass wir Fortschritte erzielt haben. Denn wir dürfen ja nie vergessen, wo wir damals hergekommen sind. Wir hatten ja gerade das Chaos der Kulturrevolution hinter uns gebracht. Und zunächst gab es die allgemeine Ansicht, das Recht etwas sei, womit Menschen gefesselt würden und womit einem die Hände gebunden werden und deswegen Recht etwas sei, was es verdiene zerschlagen zu werden. Das heißt, mit so einem Hintergrund an dieser Stelle zu sagen, jetzt orientieren wir uns am Recht und an Rechtsnormen, das war ein phänomenaler Durchbruch.
Heise: Das ist jetzt schon sehr lange her. Wenn Sie jetzt den heutigen Staat China betrachten und Sie gerade eben als Menschenrechtsanwalt, der auch sagt, die Menschenrechte sind die Basis des Anwaltsdaseins, des Rechts. Wie weit ist der chinesische Rechtsstaat jetzt?
Sizhi: Fangen mit der Gesetzgebung an. Und da muss ich sagen, sind ganz enorme Fortschritte erzielt worden. Aber bereits an dieser Stelle kommen Probleme zutage, die durchaus als gravierend zu bezeichnen sind, denn die Gesetzgebungskompetenz obliegt eigentlich mehr oder minder einzelnen Ministerien und einzelnen Behörden, die dann auch in Widerstreit treten. Zum Beispiel haben wir eine Strafprozessordnung. Und diese Strafprozessordnung ist nun schon mehrfach überarbeitet und revidiert worden, aber das große Problem ist, dass dann zum Beispiel das Ministerium für öffentliche Sicherheit, sprich die Polizeibehörde an dieser Stelle kommt und sagt, wir haben die und die und die Interessen, die da abgebildet werden müssen. Das heißt, es wird ein sehr parteiisches, ein Partikularinteresse dann auch in dem Rechtskörper abgebildet.
Heise: Eine letzte Frage würde ich gerne noch stellen zum Verhältnis zu den Medien, zu den ausländischen Medien auch gerade. Welches Verhalten wäre Ihrer Meinung da hilfreich?
Sizhi: Allein die Probleme, die sich durch unseren kulturellen Hintergrund ergeben, die können Sie nicht mal so eben mit einer oberflächlichen Betrachtungsweise wirklich erkennen. Und deswegen darf ich oder muss ich auch an dieser Stelle leider sagen, dass es einige Medien gibt, für die nur gelten kann, das Gegenteil von gut ist gut gemeint, die kommen zwar mit guten Absichten und wollen etwas Gutes tun mit ihrer Berichterstattung, aber das ganze Gegenteil ist dann der Fall. Und das ist auch kein Vorwurf, sonder ich hoffe einfach, dass sich da die Arbeit etwas verbessern möge.
Heise: Zhang Sizhi, chinesischer Menschenrechtsanwalt. Ich danke Ihnen ganz herzlich für dieses Gespräch und ich wünsche Ihnen noch viel Kraft für Ihre Arbeit!
Sizhi: Ich glaube, der Dank liegt bei mir und es Ihnen abzustatten für Interesse und Ihre Aufmerksamkeit. Danke sehr!