Chinesen mögen deutsche Kinderbücher

Moderation: Jürgen König |
In Peking hat die Internationale Buchmesse mit etwa 400 teilnehmenden Verlagen begonnen. Es seien vor allem deutsche Kinder- und Bilderbücher, die in China gern gekauft würden, meint Jing Bartz, die den deutschen Messe-Auftritt organisiert. In einigen Pekinger Buchläden wurden Buchinseln mit Literatur deutscher Autoren aufgebaut.
Jürgen König: Heute beginnt die Internationale Buchmesse von Peking, und das Gastland ist in diesem Jahr Deutschland. Ein guter Anlass, fanden wir, um über die Entwicklungen auf dem chinesischen Buchmarkt zu sprechen. Was lesen die Chinesen? Hat die chinesische Politik der Öffnung das Leseverhalten dort verändert? Welche Chancen birgt der chinesische Markt? Wie könnte der Austausch zwischen deutscher und chinesischer Literatur an Fahrt gewinnen? Diese Fragen wollen wir besprechen mit Dr. Jing Bartz, sie leitet in Peking das Deutsche Buchinformationszentrum, und sie hat den deutschen Auftritt auf der Pekinger Buchmesse organisiert. Frau Bartz, guten Tag!

Jing Bartz: Guten Tag!

König: Fangen wir doch mit der Messe an. Wie viele Verlage sind eingeladen, von woher kommen sie?

Bartz: Die Pekinger Buchmesse wird immer internationaler. Im letzten Jahr sind ca. 400 internationale Verlage nach Peking gekommen, in diesem Jahr allein aus Deutschland werden schon 42 Verlage präsent sein.

König: In der "Süddeutschen Zeitung" war zu lesen: "Die Paradoxien des chinesischen Staatskapitalismus zeigen sich in der Selbstdarstellung der Verlage", also, der chinesischen Verlage. "Allesamt Staatsverlage, die im strengen Sinn gar keine Schulden machen können, dennoch ist ständig vom großen Marktdruck die Rede." Wie ist das mit den chinesischen Verlagen? Gibt es gar keine privaten Häuser in China?

Bartz: Ich habe heute gerade die neueste Statistik bearbeitet. Auf dem chinesischen Buchmarkt existieren seit drei Jahren unveränderte Verlage, nämlich es sind immer 573 Verlage registriert offiziell, d.h. in den letzten drei Jahren sind keine neuen Verlage gegründet worden und auch keine runtergegangen. Und das entspricht aber nur einer Seite der Wahrheit, nämlich: Es gibt viele, viele "private Verlage" in Anführungsstrichen, die absolut wie ein Verlag professionell arbeiten, sogar noch professioneller als ein staatlicher Verlag, aber sie dürfen sich nicht als Verlag bezeichnen, sondern sie arbeiten unter einer anderen Benamsung, nämlich ein Kulturstudio. Und von dieser Art von privaten Verlagen gibt es ca. 5.000 in China.

König: Und sind die auf der Messe gar nicht vertreten?

Bartz: Sie sind vertreten. In guter Zusammenarbeit dürfen sie als Imprint eines staatlichen Verlags sich präsentieren, oder sie rennen herum als sozusagen Inhaltlieferanten sozusagen, aber mit einem eigenen Stand, das ist noch nicht üblich.

König: Aber das ist doch absurd, vor allen Dingen, wenn so etwas passiert und alle wissen um diese Situation, dann kann man doch in einem so großen, noch dazu internationalen Rahmen dieses Spiel – und es ist ja ein solches, so wie Sie es beschreiben – nicht wirklich aufrechterhalten, also, denkt man sich so dabei.

Bartz: Sie wissen, China ist ein großes Land und zurzeit wird gerade die Harmoniegesellschaft sehr betont von der Gesellschaft. Dahinter steht natürlich auch der Anspruch, dass man die Ideologie und die Inhaltsgebiete noch sehr unter Kontrolle haben muss, sonst vielleicht hat man die Angst, diese Harmonie zu zerstören. Insofern ich kann Ihnen vielleicht ein Beispiel geben. Eine internationale Organisation heißt "International Publisher Association", China bewirbt sich seit über 20 Jahren um die Mitgliedschaft, aber es wurde immer wieder abgelehnt. Der Grund dafür ist, dass, also, Pressefreiheit war immer ein Thema, aber aktuell, was jetzt in der Diskussion ist, dass einfach die vielen privaten Verlage keine ISBN-Nummer bekommen, weil die chinesische Regierung immer noch diese Buchnummer als einen Kontrollmechanismus einsetzt, damit sie selbst die Kontrolle behalten kann.

König: Wenn Sie sagen, Harmoniegesellschaft – bei uns stellt man sich eine Buchmesse vor als ein Treffen, ein großes Treffen vieler Verleger, vieler Schriftsteller, vieler Literaturinteressierter natürlich. Ist das in Peking auch so, ist das auch ein großes Treffen sagen wir ruhig der klügsten Köpfe des Landes und aus dem Ausland?

Bartz: Es kommen schon viele kluge Köpfe, wie Sie meinen, aber es ist noch kein Vergleich zur Frankfurter Buchmesse. Zum Beispiel, die meisten chinesischen Verlage haben jetzt auch wahrgenommen, das reicht nicht aus, wenn man nur einen Stand hat und Titel ausstellt und präsentiert, man muss auch Veranstaltungen anbieten, um Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Wir finden bisher hat zwischen dem Kulturleben in der Pekinger Stadt und der Buchmesse noch keine Interaktion stattgefunden. Deshalb haben wir dieses Jahr eine Idee – deutsche Buchwoche – eingeführt. In sieben staatlichen, aber auch privaten Buchhandlungen wird eine deutsche Buchinsel gebaut, parallel zur Buchmesse, damit man ein Stückchen deutscher Kultur auch in der Stadt und nicht nur auf dem Messegelände zu spüren bekommt.

König: Wie groß ist das Interesse der Chinesen an deutschen Büchern?

Bartz: Oh, sehr groß! Der Trend ist Kinderbücher, zum Beispiel das Bilderbuch. Taiwan hat zehn Jahre gebraucht, um das Bilderbuch wahrzunehmen, und China hat zwei Jahre gebraucht. Deutsche Bilderbücher werden sehr gefragt und der Preisfaktor spielt plötzlich auch keine Rolle mehr. Das ist China. Vor allem die Idee hat sich gewandelt, nämlich vor zwei, drei Jahren war noch allgemein die Meinung in der pädagogischen Einstellung, ja, durch Information, durch Fakten können die Kinder schneller klüger werden. Aber heutzutage hat man wahrgenommen, dass diese ästhetische Ausbildung auch eine entscheidende Rolle spielt. Nicht nur der Text lehrt, sondern die Bilder geben den Kindern auch eine Menge mit.

König: Wie ist es mit Hörbüchern? In Deutschland boomen Hörbücher immer noch. Ich habe sogar schon in ein chinesisches Hörbuch hineingehört, "Die Leiden des jungen Werther" von Goethe auf Chinesisch, ist für China hier produziert worden. Gehen Hörbücher gut?

Bartz: Ja. Ich liebe dieses Beispiel, was Sie gerade genannt haben. Ich bin auch sehr neugierig, wie dieses erste deutsche Hörbuch im chinesischen Ton sozusagen auf dem chinesischen Markt überleben wird. Ich sage das deshalb, weil es bisher in China gar keinen Hörbuchmarkt gibt. Vielleicht hat das auch mit dem technischen Fortschritt zu tun, nämlich in China ist die CD schon fast vorbei, schon out ist. Das ist gleich in MP3 oder sogar MP4.

König: Wie ist es mit Literatur, mit Belletristik, mit den Klassikern? Goethe, Schiller, Hegel?

Bartz: Also, das sind immer noch die großen Namen, sogar vielleicht noch mehr von chinesischen Intellektuellen besprochen als es in Deutschland der Fall ist, weil man in China eher fast nur diese Klassiker kennt.

König: Also keine zeitgenössische Literatur.

Bartz: Sehr wenig. Kaum. Man sagt eher, dass die deutsche Literatur nicht unterhaltsam genug oder dass die Gegenwartsliteratur aus Deutschland zu analytisch sei. Deshalb haben wir dieses Jahr zur Pekinger Buchmesse auch sieben deutsche, junge Schriftsteller eingeladen und wir haben sehr interessante Programme für sie entwickelt. Wir hoffen – auch durch diesen Auftritt –, dass die Gegenwartsliteratur in China gut ankommt.

König: Welchen Stellenwert hat Literatur überhaupt in China? Lesen die Chinesen viel, und was lesen sie?

Bartz: Also, das ist sehr unterschiedlich durch die verschiedenen Altersstufen. Es werden zum Beispiel sehr viele Sachbücher gelesen. Man liest aus praktischen Gründen, zum Beispiel, ich muss irgendwelche Prüfungen bestehen und dann kaufe ich viele Lernmaterialien oder viele Ratgeberbücher, Managementbücher, sogar Investmentbücher. Viele Omas, Opas kaufen jetzt auch Bücher, wie man auf dem Börsenmarkt Geld verdient.

König: Die Omas und Opas kaufen das?

Bartz: Ja, also, das ist ein Trend. Fast das ganze Volk macht mit. Wenn wir über Literatur im engeren Sinne sprechen, Belletristik, da gibt es auch einen Trend, nämlich, viele junge Leute, sie lesen sehr viel Liebesromane mit Melancholie, mit Ironie, und das ist auch ein Trend für junge Leute, diese Art Belletristik. Und dann im Sachbuchbereich ist ein Comeback von klassischer Literatur, zum Beispiel Konfuzius, oder historische Bücher. Die Chinesen suchen heutzutage auch nach Werten, und Konfuzius’ Lehre bleibt immer aktuell.

König: Jing Bartz, die chinesische Politik der Öffnung – wie wirkt sie sich aus auf die Literatur des Landes, Literatur hier im ganz weiten Sinne verstanden, und auf die Situation der Schriftsteller? Welche Veränderungen beobachten Sie?

Bartz: Das ist eine ganz schwierige Frage. Wir sehen momentan keinen großen Fortschritt, aber auch keinen Rückschritt. Momentan ist es ziemlich so geblieben. Zum Beispiel: China wird 2009 in Frankfurt Gastland sein auf der Buchmesse, und da haben wir auch mit der chinesischen Regierung gesprochen, welche Autoren sie gern nach Deutschland schicken, um chinesische Literatur zu präsentieren. Und dann wurde uns gesagt: gerne die chinesischen Schriftsteller, die noch einen chinesischen Pass haben, und ungerne diejenigen einladen von der chinesischen Regierung selbst, die schon einen ausländischen Pass besitzen.

König: Aber wenn Sie diese Letztgenannten einladen würden, wäre das schon in Ordnung, die dürften dann auch kommen?

Bartz: Die Frankfurter Buchmesse lädt sowieso keine ein, weil wir eine sozusagen Plattform anbieten. Aber die anderen internationalen Verlage, wenn sie auch sozusagen chinesische Schriftsteller einladen, die keinen chinesischen Pass besitzen, dann können oder könnte die chinesische Regierung theoretisch nichts dagegen tun.