Chinati Foundation

Geheimer Hotspot der Kunst in der texanischen Wüste

Ein Wüstenabschnitt in Texas.
Ein Wüstenabschnitt in Texas. © picture alliance / dpa / Karl-Heinz Eiferle
Von Dorothea Breit |
In den 70er-Jahren zog der US-Künstler Donald Judd, einer der bedeutendsten Vertreter der Minimal Art, von New York in das texanische Kuhdorf Marfa. Dort baute er leerstehende Gebäude um. Sie wurden sein Lebenswerk.
Dornbuschsavanne, vertrocknetes Wüstengras, Kakteen. In einiger Entfernung grast eine Herde Antilopen. Flache Gebäude sind auf dem Gelände verstreut - zwei lange Rechtecke aus rotem Backstein mit Tonnendächern aus Wellblech, andere sehen aus wie einfache graue Holzschuppen.
"Das waren ursprünglich Baracken eines Militärstützpunkts, in denen Soldaten untergebracht waren. Einige wurden in Ausstellungsräume umgebaut, andere in Arbeits- und Wohnräume für Künstler, sowie Büro und Empfang."
Ein Volontär führt die Besucher durch die Chinati Foundation in Marfa, Texas. Als der Minimal-Künstler Donald Judd in den 1970er-Jahren hierher kam, kaufte er leer stehende Gebäude des Militärstützpunkts, der 1946 aufgegeben wurde. Ohne die Grundstruktur der Gebäude zu verändern, baute Judd sie um in Wohn-, Arbeits- und Ausstellungsräume gemäß den Prinzipen größtmöglicher formaler und funktionaler Ökonomie, die er auch in seinen Objekten und Möbeln verfolgte.
"Einfach nur schwer und lastend"
In einem ehemaligen Flugzeughangar aus rotem Backstein mit langen Fensterfronten nach Osten und Westen ist eines seiner Hauptwerke zu sehen: Drei Reihen offener Kästen aus poliertem Aluminium. Sie sind alle etwa brusthoch, aber innen jeweils unterschiedlich aufgeteilt: mittig oder diagonal, eine Seite offen, die andere geschlossen.
Judd spielt alle Möglichkeiten von Unterteilungen durch. Die Objekte schimmern in hellen Rosé-, gelborange- und schattigen Blautönen, je nachdem wie das Licht von draußen hereinfällt. Vormittags spiegelt sich Gras in den blanken Aluminiumkästen.
"Man sieht an diesen Aluminium-Skulpturen, was draußen ist, insofern ist da noch so eine zweite Schicht von Reflektion der Landschaft, der Natur in dieser Kunst vorhanden."
Marianne Stockbrand, die ehemalige Direktorin der Chinati Foundation. Ein vielschichtiges Universum skulpturaler und architektonischer Strukturen entfaltet sich in dieser Halle. Durch die großen Fenster sind draußen auf der Wiese im Osten der Anlage raumgroße offene Betonkuben zu sehen, hintereinander gereiht. Sie wirken einfach nur schwer und lastend.
"Mit der Offenheit, der Verbundenheit zur Natur"
"Die Aluminium- und die Betonskulpturen sind natürlich sehr unterschiedlich in Material, in Größe, in Platzierung, und trotzdem verfolgen sie verwandte Prinzipien mit der Offenheit, der Verbundenheit zur Natur. Und es ist wunderschön zwischen den Aluminiumskulpturen, man guckt raus und man sieht den Betonfußboden, der innen drin ist, setzt sich fort als Grasteppich draußen. Dann sieht man in der Entfernung diese Betonskulpturen, die ja auch Rechtecke sind oder Quader mit unterschiedlichen Formationen.
Donald Judd gründete die Chinati Foundation 1986 als nicht Profit orientierte öffentliche Stiftung, benannt nach den nahen Chinati Bergen. Seither ist die Anlage für Besucher geöffnet.
Im Lauf der Jahre kaufte Judd weitere leere Gebäude hinzu für Werke von Künstlerfreunden – John Chamberlain, Dan Flavin, Carl André, Richard Long, Claes Oldenburg, Roni Horn, David Rabinowitch. In einer Wohnbaracke hat Ilya Kabakov das Werk "Schule Nummer 6" eingerichtet: Ein angestaubtes Schulklassenzimmer aus der Lenin-Ära - es sieht aus, als wären die Kinder gerade zur Pause.
Marianne Stockebrand lernte Donald Judd als Leiterin des Westfälischen Kunstvereins Münster kennen. Ein paar Jahre später bot Judd ihr dann die Leitung seines Lebenswerks in Marfa an.
"Mit einer riesigen Sammlung, aber keinem Pfennig Geld"
"So bin ich '94 hierhergekommen - Judd ist ja 1994 gestorben - und fand ein Museum vor, mit einer riesigen Sammlung und mit großem Areal, aber keinem Pfennig Geld. Wenn man das amerikanische System hier kennt, mit Fundraising und all diesen Dingen, dann ist das für einen Europäer halt eine sehr ungewohnte Situation. Ich musste mich da erst einmal reinfinden, um Geld zu beschaffen, dass man das Ganze hier unterhalten kann in angemessener Weise. Das war ein sehr sehr langwieriger Prozess."
Der dennoch gelungen ist. Die Chinati Foundation gilt als geheimer Hotspot der Kunst inmitten der texanischen Wüste, über 500 Meilen entfernt vom nächsten Flughafen. Die Stiftung umfasst heute150 Hektar Land und etwa 30 Gebäude.
Sie finanziert ein pädagogisches Programm und das von Judd ins Leben gerufene Artist in Residence Programm für internationale junge Künstlerinnen, von dem auch schon deutsche Künstler profitierten. Als Marianne Stockebrand in den Ruhestand ging, übernahm der ehemalige Direktor der Bielefelder Kunsthalle Thomas Kellein die Leitung, doch er blieb nur ein Jahr.
Neue Direktorin ist jetzt die Kunsthistorikerin Jenny Moore aus New York. Die Aufnahme der Chinati Foundation in die Liste des World Monuments Fund belegt die Bedeutung dieses außergewöhnlichen künstlerischen Erbes. Ein Ort, an dem Architektur, Kunst und Natur eins geworden sind.