Chinas Wirtschaft und Corona

Wachstum in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit

21:58 Minuten
Drei Bauarbeiter mit gelben Helmen tragen Metallstreben auf einer Baustellenkonstruktion.
Chinas Wirtschaft brummt wieder - 3,2 Prozent Wachstum im zweiten Quartal. © Getty Images / China News Service / Jia Tianyong
Von Axel Dorloff und Steffen Wurzel · 30.07.2020
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In China gehen die Infektionszahlen nach unten und die Wirtschaftsdaten nach oben. Doch viele Menschen haben ihren Arbeitsplatz verloren, viele Geschäfte und Firmen sind pleite gegangen. Die Staats- und Parteiführung verbreitet Zuversicht. Zu Recht?
Die singenden Comicfigur-Puppen sind besonders beliebt bei Kindern, sagt Zhou Ziyan.
Überhaupt seien alle elektrischen Spielsachen sehr beliebt und ließen sich entsprechend gut weiterverkaufen, erklärt die 27-Jährige. Gemeinsam mit zwei Freundinnen steht sie auf einem Parkplatz neben einer schmucklosen Halle in der Stadt Yiwu im ostchinesischen Landesteil Zhijiang. Yiwu ist eines der wichtigsten Handels- und Umschlagplätze für Alltagsgüter in China.

Der Betrieb nimmt langsam wieder Fahrt auf

Wenn hier also dieser Tage der Betrieb nach der Coronakrise wieder langsam Fahrt aufnimmt, dann ist das stellvertretend zu sehen für ganz China. Die Halle, vor der Zhou Ziyan und ihre Freundinnen stehen, ist ein Großhandelsgebäude mit Tausenden kleinen Geschäften, unter anderem von Spielwaren-Großhändlern. Zhou hat den gesamten Kofferraum ihres Autos vollgepackt mit den blau-gelben Plastikfiguren.
"Wir wollen die Puppen für 30 oder 40 Yuan verkaufen. Einkaufspreis etwa 20 Yuan."
Drei junge Frauen stehen nebeneinander vor dem geöffneten Kofferraum eines Autos.
Irgendwie überleben - die drei Schauspielerinnen aus dem chinesischen Landesteil Zhejiang sind durch Corona zu Verkäuferinnen von Kinderspielzeug geworden.© Steffen Wurzel, ARD-Studio Shanghai
Zhou Ziyan und ihre beiden Freundinnen kaufen die Spielsachen auf dem Großmarkt, um sie in der eine Stunde entfernten Großstadt Hangzhou teurer weiterzuverkaufen: an Passanten und Inlandstouristen, wie sie erzählen. An jeder singenden Puppe verdienen sie 10 bis zu 20 Yuan, haben die drei Freundinnen ausgerechnet. Das sind umgerechnet rund 1 Euro 20 Euro bis 2 Euro 50. Nicht viel sei das, gibt Zhou zu, aber in Zeiten der Coronaviruskrise besser als nichts.
"Wenn die Kunden wirklich hart verhandeln, dann verdienen wir nicht mal 10 Yuan pro Puppe, sondern nur 2 oder 3. Aber wir machen das trotzdem. Wir haben zur Zeit ja keine anderen Einkünfte."

Corona trifft die Kunst- und Kulturszene hart

Es ist die Coronaviruskrise, die die drei Freundinnen zu Spielzeughändlerinnen gemacht hat. Eigentlich arbeiten die drei Mitte 20-Jährigen als Schauspielerinnen und Opernsängerinnen. Doch die Coronapandemie hat auch die chinesische Kunst- und Kulturszene hart getroffen.
"Für uns hat die Viruskrise direkte Folgen: Wegen der Pandemie bleiben die Theater geschlossen. Das hier ist also unser Ausweich-Job, weil wir als Künstlerinnen in unserem eigentlichen Beruf erstmal nicht mehr arbeiten können."
Auf Dauer wollen sich Zhou Ziyan und ihre Kolleginnen nicht mit dem Verkauf von Spielsachen durchschlagen. Und glücklicherweise scheint in weiten Teilen Chinas das Schlimmste auch überstanden: Die Zahl der Covid19-Neuinfektionen liegt fast überall auf sehr niedrigem Niveau.
In den allermeisten Büros, Fabriken, Geschäften und auch vielen Kultureinrichtungen wird wieder normal gearbeitet. Aber klar ist: Die Coronavirus-Pandemie hat in ihrem Ursprungsland China für deutlich spürbare wirtschaftliche Verwerfungen gesorgt.

Zum ersten Mal seit Jahrzehnten schrumpft Chinas Wirtschaft

Besonders dramatisch ist der wirtschaftliche Einbruch im ersten Quartal des Jahres: In diesem Zeitraum schrumpft Chinas Wirtschaft zum ersten Mal seit Jahrzehnten, im Vergleich zum Vorjahr um 6,8 Prozent. Wegen der vielen Beschränkungen im Kampf gegen das Coronavirus sind große Teile der chinesischen Wirtschaft von Ende Januar bis in den März hinein praktisch lahmgelegt.
Wochenlang können Arbeiter, die wegen Reisebeschränkungen oder Quarantänevorschriften nicht in ihre Fabriken zurückkehren. Produktion, Logistik, Nachfrage: all das kommt fast zum Erliegen.
Die schlechten Zahlen sind ein Schock: Seit 1992 veröffentlicht China quartalsweise die Wachstumszahlen seiner Wirtschaft – jetzt gibt es zum ersten Mal seit Beginn dieser Aufzeichnungen einen negativen Wert. China ist damit auch das erste Land weltweit, das die wirtschaftlichen Folgen des neuartigen Coronavirus mit aller Wucht zu spüren bekommt.
Soldaten mit Mundschutz stehen stramm vor einem Plakat des chinesischen Präsidenten Xi Jinping.
Zuversicht verbreiten - Genosse und Parteiche Xi Jinping wird es gemeinsam mit der KP schon richten.© Getty Images / Kevin Frayer
Für die Kommunistische Partei eine schwierige Situation. Der eigentlich immer im März stattfindende Nationale Volkskongress in Peking wird verschoben. Wegen der schwierigen Logistik in der Coronakrise, aber auch, weil die Lage der Wirtschaft zu diesem Zeitpunkt schwer zu vermitteln ist. Die chinesische Regierung ergreift eine Reihe von Maßnahmen: Steuern, Abgaben und Kreditzinsen werden gesenkt, ebenso die Mindestreserveanforderungen der Banken.

Aufwärtstrend ab der zweiten Märzhälfte

Ab der zweiten Märzhälfte zeigt die chinesische Wirtschaft wieder einen Aufwärtstrend. Regierungschef Li Keqiang nutzt den Volkskongress Ende Mai dann als Signal, dass wirtschaftlich wieder bessere Zeiten anbrechen.
"Wir sind davon überzeugt, dass wir unter der Führung des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei mit Genosse Xi Jinping an der Spitze die derzeitigen Schwierigkeiten überwinden werden. Durch die gemeinsamen Anstrengungen aller Bürgerinnen und Bürger werden wir unser Ziel in diesem Jahr erreichen, eine wohlhabende Gesellschaft für alle zu schaffen", sagte er.
"Wenn wir die chinesische Wirtschaft und unseren Absatzmarkt stabilisieren, dann ist das ein Beitrag für die ganze Welt. Es wird dabei helfen, dass sich auch die globale Wirtschaft erholen und wieder wachsen kann."

Führt die KP China aus der Krise?

Die Botschaft beim Nationalen Volkskongress ist eindeutig: Staats- und Parteichef Xi Jinping und die Kommunistische Partei führen China aus der Krise. Das offizielle Narrativ lautet: Erst hat es China - im Gegensatz zu vielen westlichen Ländern - geschafft, das Coronavirus im eigenen Land zu besiegen, jetzt ist die oberste Aufgabe die Wiederbelebung der eigenen Wirtschaft.
Eine junge Frau mit rosa T-Shirt bereitet auf einem Pappteller Essen zu.
Das Comeback der Straßenstände - Nudelstand auf dem Straßenmarkt in der Metrople Chengdu im Südwesten Chinas.© Axel Dorloff, ARD-Studio Peking
Neben höheren Staatsausgaben und einem Investitionsprogramm in digitale Infrastruktur, greift China dafür auch zu unkonventionellen Mitteln. Es ist der chinesische Regierungschef Li Keqiang höchstpersönlich, der auf dem Nationalen Volkskongress in Peking eine Lanze für den Straßenhandel bricht. Vor laufenden Fernsehkameras preist er die informelle Ökonomie als wichtigen Wirtschaftsfaktor an.
"Vor zwei Wochen habe ich erfahren, dass eine Stadt im Westen Chinas mehr als 36.000 Straßenstände neu zugelassen hat. Alles im Einklang mit den Regeln der lokalen Behörden. Damit wurden quasi über Nacht rund 100.000 neue Jobs geschaffen. Diese Leute arbeiten hart, und der chinesische Markt kann sich so besser erholen und wachsen."

Die Wiederentdeckung des Straßenhandels

Mit der "Stadt im Westen" meint Chinas Regierungschef Li Keqiang die 15-Millionen-Metropole Chengdu. Die Hauptstadt der Provinz Sichuan gilt als eines der wichtigsten Wirtschaftszentren Westchinas. Um die wirtschaftlichen Folgen der Coronakrise abzufedern, hat man dort den Straßenhandel wieder entdeckt.
Ein Mann mit Mundschutz hebt den Deckel eines Metallbehälters mit Metallbällchen.
25 Euro Verdienst pro Tag für gedämpfte Maisbällchen - Straßenhändler Ruan Linping aus Chengdu.© Axel Dorloff, ARD-Studio Peking
Zur Feierabendzeit am frühen Abend strömen in Chengdu die Leute aus den U-Bahn-Ausgängen und spazieren zu ihren Wohnblocks. Ruan Linping hat sich mit einem mobilen Essensstand am Rand einer Straße im Süden der Stadt aufgestellt. Wer hier aus der U-Bahn kommt, muss an ihm vorbei. Der 30-Jährige trägt ein gestreiftes T-Shirt, Maske und Kochschürze. Er verkauft gedämpfte Maisbällchen für umgerechnet knapp 20 Cent das Stück.
"Früher konnten wir unseren Straßenladen nur an Orten aufstellen, die abgelegen waren und nicht sehr belebt. Die mobilen Stände wurden von der Straßenverwaltung verboten. Wir mussten jedes Mal den Ort wechseln, wenn die Ordner kamen. Jetzt hat ja kürzlich sogar unser Ministerpräsident zur Straßenwirtschaft aufgerufen. Die Behörden grenzen jetzt bestimmte Bereiche für uns ab, dort ist der Handel dann für uns erlaubt."

Informelle Ökonomie als Strategie

Seit sechs Jahren betreibt Ruan seinen kleinen Straßenladen. Blitzschnell formt er aus dem vorbereiteten Teig die kleinen Bällchen und legt sie in den Dampfgarer aus Bambusholz. Wenn es gut läuft, verdient er umgerechnet 25 Euro pro Tag. Straßenverkäufer Ruan ist verheiratet und hat zwei Kinder, drei und sieben Jahre alt.
"Ich bin nicht gut ausgebildet und habe keine andere Arbeit. Ich kann meine Familie nur mit diesem Straßenladen ernähren. Normalerweise arbeite ich jeden Tag. Ich stehe morgens um fünf auf, gehe noch vor sechs aus dem Haus und arbeite dann bis abends etwa zehn Uhr."
Straßenhändler wie Ruan Linping wurden in vielen chinesischen Städten über die vergangenen Jahre verdrängt und verjagt. Sie passten nicht zum staatlich propagierten Ziel einer hoch entwickelten Industrienation mit Hightech und Hochglanz-Hochhäusern. Jetzt, als Folge der Coronakrise, haben viele chinesische Provinzen die informelle Ökonomie als eine Strategie wiederentdeckt, um Arbeitslosigkeit zu senken und die chinesische Wirtschaft wieder ans Laufen zu bringen.
Zwischen zwei Häuserzeilen auf dem Bürgersteig einer breiten Straße bereiten die Straßenhändler ihre Stände vor.
Früher verboten - am frühen Abend bauen sich die ersten Stände auf dem Straßenmarkt von Chengdu auf.© Axel Dorloff, ARD-Studio Peking
Ende Mai hat die Stadtregierung der Millionenmetropole Chengdu den Straßenhandel in ausgewiesenen Gebieten offiziell erlaubt. Sie kassiert nicht mal Standmiete von den Händlern. Was vorher verboten war, ist jetzt wieder willkommen.
Die Anwohner im Süden Chengdus finden das gut. Hu Yangyang kommt gerade von der Arbeit aus der U-Bahn. Sie hat Blumen, Auberginen und ein kaltes Nudelgericht zum Abendessen gekauft. Sie freut sich über den neuen Straßenmarkt in ihrer Nachbarschaft.
"Ich finde das sehr hilfreich. Die Coronaepidemie hat wirklich viele Industrien beeinflusst. Zum Beispiel den Tourismus: Wenn die Kunden weg bleiben, gibt es auch kein Einkommen. Dann müssen viele Leute umdenken, um Geld zu verdienen. Um zu leben, braucht man nun mal Geld. Die Straßenläden bieten den Menschen die Chance, einen anderen Weg zu finden. Das zahlt sich aus."

"Jetzt unterstützt unsere Regierung die Straßenwirtschaft"

Nur wenige Meter weiter verkauft die 32-jährige Song Haixia einen in der Region typischen Nachtisch: die Süßspeise Bingfen, mit Nüssen, Rosinen und einer Art Wackelpudding. Song und ihre Freundin sind neu im Straßenhandel. Die schwierige wirtschaftliche Situation aufgrund der der Coronakrise hat sie dazu gebracht, Essen auf der Straße zu verkaufen.
"Viele Fabriken und Firmen haben noch Probleme. Eigentlich wollte ich im März schon wieder arbeiten. Aber die Schule hatte wegen des Coronavirus noch nicht wieder geöffnet. Im Mai konnte ich immer noch nicht arbeiten. Jetzt unterstützt unsere Regierung die Straßenwirtschaft, zumindest dort, wo es keine Kaufhäuser gibt. Ohne die Unterstützung der Regierung hätten wir nie an so einen Straßenladen gedacht."
Eine junge Frau hält an einem Straßenstand ein Gefäß aus Plastik, in das eine andere Essen füllt.
Pudding, Nüsse, Rosinen - die 32-jährige Song Haixia verkauft mit einer Freundin die Süßspeise Bingfen.© Axel Dorloff, ARD-Studio Peking
In einigen Städten Chinas ist ein regelrechter Hype entstanden. Viele haben ebenfalls auf den Straßenhandel gesetzt, um die wirtschaftliche Flaute nach Corona zu bekämpfen. Im Internet standen Bilder und Filmchen der neuen Straßenmärkte zeitweise hoch im Kurs. So hoch, dass schon wieder Gegenwind kam. Das Staatsfernsehen CCTV kommentierte, dass diese Politik kein Patentrezept für alle Städte gleichermaßen sein könne.
Auch Cai Qi, der mächtige Parteisekretär von Peking, der seit Jahren dabei ist, die Straßenverkäufer aus seiner Stadt zu vertreiben, äußerte sich kritisch. Daran kann man erkennen: Innerhalb der Kommunistischen Partei gibt es unterschiedliche Auffassungen zur Wirtschaftspolitik. Anders als Regierungschef Li Keqiang betrachten einige den informellen Wirtschaftsbereich als rückwärtsgewandt. Für Ruan Linping, den Straßenhändler aus Chengdu mit den Maisbällchen, geht es dabei schlicht ums Überleben.
"Die Bedeutung dieser Politik ist für mich ganz einfach: Wir brauchen Geld, um uns zu ernähren! Egal mit welchem Wirtschaftsmodell. Das ist für uns am wichtigsten: das Essen und die Schule für unsere Kinder zu bezahlen. Alles andere ist sowieso viel zu weit weg."

Auch Wanderarbeiter durch Straßenhandel beschäftigen

Auf dem Höhepunkt der Coronakrise gab es in China Berechnungen, nach denen die Arbeitslosenquote zum Teil zweistellig gewesen sein muss. Schätzungen gingen zwischenzeitlich von einer Arbeitslosigkeit von bis zu 20 Prozent aus. Über 100 Millionen Menschen sollen ihre Jobs als Folge der wirtschaftlichen Krise verloren haben, inklusive der vielen Millionen so genannten Wanderarbeiter. Die offizielle Arbeitslosenquote der chinesischen Regierung liegt derzeit bei knapp sechs Prozent. Allerdings sind darin Millionen Wanderarbeiter nicht erfasst. Sie machen rund ein Drittel aller Erwerbspersonen in den Städten Chinas. Die Förderung des Straßenhandels gilt als eine Strategie, gerade auch diese Leute wieder in Arbeit zu bringen.
An einer Straße stehen an einem Stand auf einem Tisch verschiedene große Behälter mit braunen Fleischstücken.
Die Anwohner freut es: Stand mit Hühner- und Schweinefüßen in Chengdu.© Axel Dorloff, ARD-Studio Peking
Chinas Wirtschaft erholt sich jedenfalls wieder, laut offiziellen Zahlen geht es bergauf. 3,2 Prozent Wirtschaftswachstum im zweiten Quartal, das vermeldete das Statistikamt in Peking Mitte Juli. Der Präsident der Europäischen Handelskammer in China, Jörg Wuttke, sieht diese Zahl aber skeptisch.
"Da wird einfach jetzt viel produziert. Aber das Problem, das wir natürlich haben, ist: Produzieren generiert Bruttosozialprodukt, aber wer kauft das dann alles? Die Produkte, die jetzt hier in China mit 3,2 Prozent Wachstum hergestellt werden, werden unter Umständen nicht alle in China verkauft, sondern die gehen auf die Weltmärkte und werden da sicherlich für viele Stress auslösen. Die berühmten, chinesischen Überkapazitäten."

Das Verhalten der Konsumenten macht Sorgen

Die Logistikprobleme aufgrund der Coronakrise hat die chinesische Wirtschaft überwunden. Produktion und Warenverkehr funktionieren wieder, die Arbeiter sind wieder in den Fabriken. Zumindest die, die ihren Job behalten haben. Das Verhalten der chinesischen Konsumenten im Land macht Experten aber weiter Sorgen. Denn insgesamt fehlt die Nachfrage. Viele Chinesen bleiben vorsichtig und nehmen nur langsam ihre Lebensgewohnheiten wieder auf. Der Konsum, der fast 60 Prozent des Wirtschaftswachstums ausmacht, stockt noch immer.
"Die Nachfrage ist das große Problem. Und wenn China keine richtige Nachfrage hat, aber das produzierende Gewerbe wie ein Weltmeister auftritt, muss es doch irgendwo anders in der Welt abgenommen werden. Und ich bin mir sicher, dass so die Handelsfriktionen noch ansteigen werden. Und von daher: Man muss wirklich noch sehen, was das bei uns bewirkt."

Wirtschaftswachstum zwischen 1 und 3 Prozent realistisch

Ein komplettes Jahr mit einer schrumpfenden Wirtschaft verzeichnete China zuletzt 1976, zum Ende der Kulturrevolution unter Staatsgründer und Revolutionsführer Mao Zedong. Viele Analysten setzen fürs zweite Halbjahr weiter auf eine nachholende Entwicklung der chinesischen Wirtschaft. Ein Wirtschaftswachstum zwischen 1 und 3 Prozent für das laufende Jahr gilt deshalb für China weiter als realistisch.
Was in China wirtschaftlich passiert, ist immer auch für Deutschland von großer Bedeutung. Denn die Volksrepublik ist der wichtigste Handelspartner der Bundesrepublik. Nach Zahlen des Statistischen Bundesamts wurden zwischen den beiden Staaten vergangenes Jahr Waren im Wert von fast 206 Milliarden Euro gehandelt.
Und es sind nicht nur die großen börsennotierten Dax-Konzerne, die in China seit Jahrzehnten gute Geschäfte machen, sondern auch und vor allem mittelständische Firmen. So zum Beispiel das auf elektrische Heiztechnik spezialisierte südpfälzische Unternehmen David und Baader, kurz DBK. Die Firma produziert und verkauft in China unter anderem Wasserheizer für Autos: unscheinbare Kästchen mit Anschlüssen für Wasser und Strom, sie wiegen rund anderthalb Kilogramm und sind aus Metall, genauergesagt aus:
"Edelstahl!" - Vertriebschef von DBK in China ist der 35-jährige Matthias Rübsam. "Hier habe ich unseren Hochvolt-Wasserheizer. Einmal das Modell, das in BMWs verbaut wird, und unser Modell 1.5 – das ist unser Standardheizer, das wir hier auch in China produzieren."
Mit dem Hochvolt-Wasserheizer besetzt der rheinland-pfälzische Autozulieferer DKB in China eine Nische, die zwar klein ist, aber ganz entscheidend für den Erfolg von Elektrofahrzeugen. Denn batteriebetriebene Autos erzeugen nicht nur kein CO2 und andere Abgase, sondern auch keine Wärme. Im Winter ist das unpraktisch.
"Ohne Verbrennermotor im Auto hat man keine Abwärme, ohne Abwärme fehlt die Wärme für den Innenraum. Für Elektroautos ist also ein neues Produkt notwendig, das nennt sich Hochvoltwasserheizer. Erste Anwendung ist für die Beheizung des Innenraumes, zweite Anwendung ist für die Beheizung der Batterie."

E-Mobilität wird in China staatlich verordnet

Die elektrischen Heizgeräte des südpfälzischen Mittelständlers sind unter anderem in Autos von BMW und Volkswagen verbaut, auch chinesische Elektroauto-Hersteller wie Xiaopeng sind Kunden von DBK. Das Unternehmen hat Glück gehabt: Denn einerseits hat sich Chinas Automarkt ganz generell deutlich schneller von der Coronaviruskrise erholt, als gedacht. Und andererseits bleibt die E-Mobilität ganz generell das staatlich verordnete Zukunftssegment in China.
Der Anteil der E-Autos an den neu verkauften Autos ging in der Volksrepublik zwar zuletzt zurück, weil aber die Staats- und Parteiführung die Hersteller dazu verpflichtet, künftig immer mehr Elektrofahrzeuge auf den Markt zu bringen, profitieren davon auch entsprechend spezialisierte Zulieferer. Nach Ansicht von DBK-Vertriebschef Matthias Rübsam aus Shanghai hat die Coronaviruskrise diesen Trend in China nicht gestoppt, sondern nur kurz unterbrochen.
"In den vergangenen Monaten war vieles wie in so einer Art Dornröschenschlaf hier in China. Vieles hat einfach geruht. Jetzt sieht man wieder vermehrt neue Ausschreibungen, es gibt neue Projekte und ich sehe im Grunde dieselbe Aufbruchstimmung wie vor Corona."

Viele Start-ups haben die Coronakrise nicht überlebt

Zur Wahrheit gehört aber auch: Von den in den vergangenen Jahren zu Dutzenden neu gegründeten Elektroauto-Start-ups in China haben viele die Coronakrise nicht überlebt. Zuletzt in der Diskussion war der E-Auto-Hersteller Byton, gegründet von deutschen Automanagern. Auch in München und an der US-Westküste betreibt das Unternehmen Entwicklungszentren - bisher. Denn ob und wie es mit Byton weitergeht ist offen: Dem Unternehmen geht das Geld aus, wichtige Investoren sind abgesprungen. In den Medien wird bereits über eine Pleite spekuliert.
Die Coronaviruskrise aber sei dafür nicht wirklich der Grund, betont Zhong Shi, Auto-Analyst aus Peking. "Byton ist ein gutes Beispiel dafür, dass das laufende Jahr ein sehr schwieriges ist für die E-Auto-Start-ups in China. Von Beginn an war klar, dass einige der Hersteller scheitern würden, selbst ohne die Coronaviruskrise. Die Pandemie hat diesen Trend nur beschleunigt."

Corona hat Chinas Wirtschaft durchgerüttelt

Die Coronaviruskrise hat Chinas Wirtschaft durchgeschüttelt. Das gilt branchenübergreifend. Viele ohnehin schwach aufgestellte Unternehmen sind verschwunden, die mächtigen Staatsunternehmen haben zusätzlich an Bedeutung gewonnen. Chinas Staats- und Parteiführung hat seit dem Frühjahr mit gleich mehreren Konjunkturmaßnahmen auf die Folgen der Covid19-Pandemie reagiert, und zwar so, wie sie es auch bei früheren Wirtschaftskrisen gemacht hat: Sie hat Steuern und Sozialabgaben gesenkt, um gleichermaßen Firmen und Arbeitnehmern zu helfen.
Außerdem haben chinesische Behörden massiv neue Bauprojekte genehmigt und beauftragt: vom Neubau von Kraftwerken und Straßen bis zum Ausbau von Ladesäulen-Infrastruktur für die E-Mobilität. Teile der staatlichen Konjunkturprogramme kommen auch deutschen Firmen zu Gute, sagt Maximilian Butek, er leitet die deutsche Auslandshandelskammer AHK im südchinesischen Guangzhou.
"Zum einen sind die Sozialabgaben ausgesetzt worden. Da kann man im Schnitt von rund 14 Prozent der Personalkosten ausgehen. Davon profitiert natürlich jedes Unternehmen. Wir merken außerdem, dass die staatlichen Infrastrukturprojekte wieder voll im Gange sind. Davon profitieren vor allem die Unternehmen aus der Infrastrukturbranche, die die Möglichkeit haben, an entsprechenden Projekte teilnehmen zu können."

Staatliche Konjunkturprogramme lösen nicht alle Probleme

Die staatlichen Konjunkturprogramme helfen den Unternehmen in China zwar, doch sie können nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Coronakrise unterm Strich schweren Schaden angerichtet hat. Auch bei deutschen Firmen. Das hat Ende Juli eine Blitzumfrage der Auslandshandelskammer ergeben.
"55 Prozent der befragten Unternehmen rechnen mit einem Umsatzrückgang von über 20 Prozent", sagt Maximilian Butek von der AHK in Südchina. "Nur neun Prozent der Unternehmen sagen, die Coronakrise habe keinen Einfluss. Sechs Prozent der befragten deutschen Firmen sagen, der Umsatz werde steigen."
Ein Arbeiter mit Mundschutz kniet vor dem Rad eines Eisenbahnwaggons.
Nur nicht am Rad drehen - In der Reparaturwerkstatt für Eisenbahnwaggons in Harbin in der chinesischen Provinz Heilongjiang.© Getty Images / China News Service / Lau Pin
Insgesamt beklagen nach der Studie zwei von drei deutschen Unternehmen in China einen Rückgang bei der Nachfrage von Dienstleistungen und Produkten. Ein Drittel der befragten Firmen gesteht ein: Wir haben Probleme mit dem Cashflow. Mehr und mehr machen sich außerdem die Folgen der geschlossenen Grenzen bemerkbar.

China lässt nur noch eigenen Staatsbürger einreisen

Denn seit Ende März lässt China de facto nur noch eigene Staatsbürger einreisen, aus Angst vor sogenannten importierten Corona-Fällen. Ausländer müssen draußenbleiben. Das gilt selbst für die, die feste Aufenthalts- und Arbeitsgenehmigungen in China haben und zum Teil seit vielen Jahren in der Volksrepublik leben. Die wenigen Einreiseausnahmen, die die chinesischen Behörden in den vergangenen Monaten erteilt haben, seien längst nicht ausreichend, resümiert Maximilan Butek von der deutschen Auslandshandelskammer.
"Experten können nicht mehr ins Land reisen, Familienangehörige können nicht ins Land reisen und dringend gefragte Ingenieure, die zum Beispiel neue Anlagen aufbauen, sind eben nicht in der Lage, nach China zu kommen."
Keine Dienstreisen zwischen Deutschland und dem wichtigsten Handelspartner China: die Folgen spürt zunehmend auch Matthias Rübsam vom Autozulieferer DBK in Shanghai. "Das heißt, dass Mitarbeiter aus Deutschland zur Zeit keine Kunden hier in China besuchen können. Der Besuch von Messen ist nicht möglich. Es passiert also zur Zeit viel online."
Doch immer deutlicher wird, dass Videotelefonate und Onlinekonferenzen eben nicht alles ersetzen können. Der 35-jährige Matthias Rübsam lebt mit seiner Frau und zwei Kindern in Shanghai. So wie alle Ausländer in China sitzen er und seine Familie zur Zeit de facto fest in der Volksrepublik: Denn reisen sie aus, zum Beispiel für einen lange ersehnten Heimatbesuch in Europa, ist eine Rückkehr nach China angesichts der geschlossenen Grenzen gut wie ausgeschlossen, wie Maximilian Butek von der deutschen Auslandshandelskammer erklärt.
"Das hat damit zu tun, dass Chinas Führung die wirtschaftlichen Folgen in Kauf nimmt, wenn sie durch die geschlossenen Grenzen das Virus im Inland weitestgehend unter Kontrolle hat. Ob das der richtige Weg ist, bezweifeln wir. Aber das ist ganz offensichtlich die Strategie."

"Vor Weihnachten wird es keine gute Lösung geben"

Nach der Blitzumfrage der AHK in China bezeichnen inzwischen neun von zehn deutschen Firmen die Reisebeschränkungen als das größte wirtschaftliche Hemmnis. Doch Besserung ist nicht in Sicht, im Gegenteil: Chinas Staats- und Parteiführung hat bisher offensichtlich kein gesteigertes Interesse daran, Menschen mit nicht-chinesischem Pass wieder ins Land zu lassen, das beklagt auch Jörg Wuttke von der Europäischen Handelskammer in China.
"China ist da knallhart. Aber wir sagen: ohne Lehrer, ohne Familienangehörige können unsere Top-Executives ihren Job nicht machen. Das ging mal für sechs Monate lang gut, aber weiter geht das nicht gut. Das wird zu großen Problemen führen. Also: das ist für uns zur Zeit das größte Problem. Ich befürchte aber, dass es vor Weihnachten keine gute Lösung dafür gibt."
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