"China ist lernfähig"
Der Ostasien-Experte Thomas Heberer hat das Fernbleiben vieler europäischer Regierungsvertreter bei der Eröffnung der Olympischen Spiele in Peking scharf gerügt. Politiker aus Europa und Nordamerika müssten bei den Spielen präsent sein, ihre Meinung offen und deutlich sagen und dies nicht allein den Sportlern überlassen, sagte der Professor der Universität Duisburg-Essen.
Hanns Ostermann: Es war ein Fehler, nicht dabei gewesen zu sein. Altbundeskanzler Gerhard Schröder kritisierte gestern scharf die Große Koalition und vor allem Angela Merkel, ohne sie allerdings namentlich zu nennen. Die Spitze der deutschen Politik hat nicht begriffen, dass man präsent sein musste. Schröder meinte die Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele, an der er als Privatmann teilnahm. Das Land der Mitte hat derzeit viele Gründe, stolz zu sein. Überaus positiv das weltweite Echo auf eine perfekte Show am Anfang und auch sportlich läuft es so, wie es sich die Gastgeber vorgenommen hatten. Immer wieder standen chinesische Sportlerinnen und Sportler ganz oben auf dem Treppchen.
Olympische Spiele sind eine Leistungsschau. Zugleich sollen sie aber auch die Völker verbinden. Was kann da von Peking erwartet werden? Darüber möchte ich mit Thomas Heberer sprechen. Er ist Professor für die Politik Ostasiens an der Universität Duisburg-Essen und China-Berater der Europäischen Kommission. Guten Morgen, Herr Heberer.
Thomas Heberer: Guten Morgen, Herr Ostermann.
Ostermann: Teilen Sie die Kritik Schröders? Hätte die deutsche Politik präsent sein müssen?
Heberer: Ich habe eigentlich vor einigen Monaten schon entsprechend argumentiert und gesagt, dass die Politiker aus Europa, Nordamerika präsent sein müssen, damit sie dort ihre Meinung auch ganz offen und deutlich sagen können, die sie in bestimmten Fragen haben. Da hilft es nicht, dass man nicht hinfährt und dann von den Sportlern verlangt, dass die die Proteste nach China tragen sollen. Das hielte ich für ein absurdes Unterfangen.
Ostermann: Auf der anderen Seite kann man auch davon ausgehen, dass möglicherweise bei den Festivitäten die Politiker so offen nicht miteinander reden.
Heberer: Bush hat das getan und ich denke gerade bei einem solchen Anlass gibt es die Möglichkeiten, noch einmal zu sagen, was man eigentlich auch in Zukunft von China erwartet. Wenn man gar nicht hinfährt bedeutet dies, dass man sich bestimmte Kommunikationskanäle auch verschließt.
Ostermann: Nun waren die Hoffnungen groß, dass sich das Land durch die Vergabe der Spiele öffnen, weiterentwickeln könnte. War das naiv, oder sehen Sie hierfür durchaus Indizien?
Heberer: Das war eine Illusion. China öffnet sich ohnehin. Ich meine wir haben dieses Jahr den 30. Jahrestag des Beginns der Wirtschaftsreformen und die Wirtschaftsreformen haben das Land eigentlich geöffnet, in jeder Hinsicht kann man sagen. Von daher zu glauben, die Olympischen Spiele würden hier noch etwas ändern im Sinne von Süd-Korea, dass eine Demokratisierung stattfindet, das war illusionär, weil die Verhältnisse in Süd-Korea 1988 völlig andere waren als jetzt in China.
Ostermann: Herr Heberer, das heißt also, für Sie war es kein Fehler, die Spiele nach Peking zu vergeben?
Heberer: Ich denke, China ist das größte Land der Erde, hat einen rasanten Wandel von einer stalinistischen Planwirtschaft zu einer Marktwirtschaft vollführt, - zwar mit all den Problemen, die das auch mit sich bringt - aber es ist auch das sportbegeistertste Land der Welt, kann man sagen, mit den meisten Sportlern überhaupt. Von daher fand ich es richtig, die Spiele an China zu vergeben, zumal China sich auch in internationalen Angelegenheiten zunehmend als ein vertrauensvoller Partner erweist.
Ostermann: Aber da kennen Sie natürlich die Gegenbeispiele - denkt man nur an Darfur.
Heberer: Es gibt sicher Gegenbeispiele. Noch mehr: Sie können auch Simbabwe nennen. Es gibt aber auf der anderen Seite die Zusammenarbeit in den Vereinten Nationen. China hat bei der Iran-Frage eingelenkt. Es hat wesentlich dazu beigetragen, die Nord-Korea-Frage jetzt zu lösen. Also von daher muss man sagen, China ist bereit und ist auch lernfähig, und man kann das Land nicht immer nur einseitig an seinen Problemen messen.
Ostermann: Andererseits gibt es nach wie vor das harte Vorgehen gegen Bürgerrechtler. Es gibt die Internetzensur, bei der ja auch das IOC wenig gut aussah. Ist der Preis dieser Olympischen Spiele nicht trotzdem insgesamt zu hoch?
Heberer: Ich glaube die Frage ist, wir müssen die Richtung analysieren. In welche Richtung entwickelt sich China? Und hier können wir sagen, dass in den letzten drei Jahrzehnten China sich tatsächlich in eine positive Richtung entwickelt. Menschenrechte und Demokratie kann man auch nicht in einem Tag einführen. Das haben wir hier im Westen auch nicht geleistet. Und man muss China helfen und Zeit geben, um diese Probleme zu lösen, denn Probleme finden sich an allen Ecken des Landes.
Es gibt sozusagen nicht ein China-Bild. Es gibt mehrere China-Bilder. Dazu gehört, dass die Probleme auf der einen Seite stehen, aber auf der anderen Seite China eigentlich immer eine positivere Entwicklung nimmt. Es ist das Land, das die meisten Gesetze erlassen hat in den letzten 20 Jahren, das seine Wirtschaft von einer Planwirtschaft zu einer Marktwirtschaft umgebaut hat. Das heißt, man muss ihm helfen, diese Probleme allmählich lösen zu können, und es nicht ausgrenzen oder in eine bestimmte Ecke stellen.
Ostermann: Was leisten dann derartige Ereignisse wie jetzt die Olympischen Spiele für die Völkerverständigung? Ist das nicht mittlerweile auch so etwas wie ein Popanz, der da immer noch hoch gehalten wird, denn im Wesentlichen geht es um wirtschaftliche Interessen und um eine Art Leistungsschau.
Heberer: Ja. Es geht auch um politische Darstellung. Ich denke, das IOC hätte vielleicht frühzeitig mit China einen gemeinsamen Fahrplan entwerfen können, in welche Richtung man denn die Zeit vor den Spielen und im Hinblick auf die Vorbereitung arbeitet. Da gab es zwar Absprachen, die waren aber relativ allgemein. Und es hat sich auch gezeigt, dass die Probleme zum Teil größer sind als vermutet, etwa was die Frage des Umweltschutzes in Peking anbelangt.
Da hat man bis jetzt ja keine geeigneten Lösungen gefunden und muss jetzt zu drastischen Maßnahmen greifen. Von daher waren die Erwartungen zu hoch gesteckt, und man hat das eigentlich alles auch China überlassen und nicht nach gemeinsamen Lösungsmöglichkeiten gesucht, und jetzt steht man halt vor spezifischen Problemen.
Ostermann:Und ganz offensichtlich gibt es sowohl im Westen wie auch dann auf der anderen Seite in China eine völlig unterschiedliche Vorstellung über das, was Olympische Spiele leisten sollen.
Heberer: Ja. Ich denke, die europäische Vorstellung ist, Spiele sind sehr stark mit Individuen, individuellen Rechten verbunden, und in China war es immer der Staat, der Vorrang vor dem Individuum hat. Auch die Eröffnungsveranstaltung, die ja sehr stark kollektive Inszenierungen vorgetragen hat, die uns vielleicht technisch gefallen . . .
Ostermann: Vieles erinnerte da an die DDR, an entsprechende Leistungsschauen.
Heberer: Ja, an die DDR. Man fühlt sich durchaus auch an totalitäre Systeme erinnert, denn nur ein Staat wie China, ein autoritärer Staat, kann eigentlich solche perfekten Masseninszenierungen gewährleisten und organisieren, denn bei uns wäre es unmöglich, 20.000 Menschen über Jahre hinweg zu trimmen auf ein solches Ereignis. Das würde wahnsinnige Kosten und auch organisatorische und humane Ressourcen verschlingen.
Ostermann: Herr Heberer, danke für das Gespräch heute früh.
Heberer: Gerne, Herr Ostermann. Ich bedanke mich.
Ostermann: Thomas Heberer war das, Professor für die Politik Ostasiens an der Universität Duisburg-Essen und China-Berater der Europäischen Kommission, im Gespräch mit Deutschlandradio Kultur.
Olympische Spiele sind eine Leistungsschau. Zugleich sollen sie aber auch die Völker verbinden. Was kann da von Peking erwartet werden? Darüber möchte ich mit Thomas Heberer sprechen. Er ist Professor für die Politik Ostasiens an der Universität Duisburg-Essen und China-Berater der Europäischen Kommission. Guten Morgen, Herr Heberer.
Thomas Heberer: Guten Morgen, Herr Ostermann.
Ostermann: Teilen Sie die Kritik Schröders? Hätte die deutsche Politik präsent sein müssen?
Heberer: Ich habe eigentlich vor einigen Monaten schon entsprechend argumentiert und gesagt, dass die Politiker aus Europa, Nordamerika präsent sein müssen, damit sie dort ihre Meinung auch ganz offen und deutlich sagen können, die sie in bestimmten Fragen haben. Da hilft es nicht, dass man nicht hinfährt und dann von den Sportlern verlangt, dass die die Proteste nach China tragen sollen. Das hielte ich für ein absurdes Unterfangen.
Ostermann: Auf der anderen Seite kann man auch davon ausgehen, dass möglicherweise bei den Festivitäten die Politiker so offen nicht miteinander reden.
Heberer: Bush hat das getan und ich denke gerade bei einem solchen Anlass gibt es die Möglichkeiten, noch einmal zu sagen, was man eigentlich auch in Zukunft von China erwartet. Wenn man gar nicht hinfährt bedeutet dies, dass man sich bestimmte Kommunikationskanäle auch verschließt.
Ostermann: Nun waren die Hoffnungen groß, dass sich das Land durch die Vergabe der Spiele öffnen, weiterentwickeln könnte. War das naiv, oder sehen Sie hierfür durchaus Indizien?
Heberer: Das war eine Illusion. China öffnet sich ohnehin. Ich meine wir haben dieses Jahr den 30. Jahrestag des Beginns der Wirtschaftsreformen und die Wirtschaftsreformen haben das Land eigentlich geöffnet, in jeder Hinsicht kann man sagen. Von daher zu glauben, die Olympischen Spiele würden hier noch etwas ändern im Sinne von Süd-Korea, dass eine Demokratisierung stattfindet, das war illusionär, weil die Verhältnisse in Süd-Korea 1988 völlig andere waren als jetzt in China.
Ostermann: Herr Heberer, das heißt also, für Sie war es kein Fehler, die Spiele nach Peking zu vergeben?
Heberer: Ich denke, China ist das größte Land der Erde, hat einen rasanten Wandel von einer stalinistischen Planwirtschaft zu einer Marktwirtschaft vollführt, - zwar mit all den Problemen, die das auch mit sich bringt - aber es ist auch das sportbegeistertste Land der Welt, kann man sagen, mit den meisten Sportlern überhaupt. Von daher fand ich es richtig, die Spiele an China zu vergeben, zumal China sich auch in internationalen Angelegenheiten zunehmend als ein vertrauensvoller Partner erweist.
Ostermann: Aber da kennen Sie natürlich die Gegenbeispiele - denkt man nur an Darfur.
Heberer: Es gibt sicher Gegenbeispiele. Noch mehr: Sie können auch Simbabwe nennen. Es gibt aber auf der anderen Seite die Zusammenarbeit in den Vereinten Nationen. China hat bei der Iran-Frage eingelenkt. Es hat wesentlich dazu beigetragen, die Nord-Korea-Frage jetzt zu lösen. Also von daher muss man sagen, China ist bereit und ist auch lernfähig, und man kann das Land nicht immer nur einseitig an seinen Problemen messen.
Ostermann: Andererseits gibt es nach wie vor das harte Vorgehen gegen Bürgerrechtler. Es gibt die Internetzensur, bei der ja auch das IOC wenig gut aussah. Ist der Preis dieser Olympischen Spiele nicht trotzdem insgesamt zu hoch?
Heberer: Ich glaube die Frage ist, wir müssen die Richtung analysieren. In welche Richtung entwickelt sich China? Und hier können wir sagen, dass in den letzten drei Jahrzehnten China sich tatsächlich in eine positive Richtung entwickelt. Menschenrechte und Demokratie kann man auch nicht in einem Tag einführen. Das haben wir hier im Westen auch nicht geleistet. Und man muss China helfen und Zeit geben, um diese Probleme zu lösen, denn Probleme finden sich an allen Ecken des Landes.
Es gibt sozusagen nicht ein China-Bild. Es gibt mehrere China-Bilder. Dazu gehört, dass die Probleme auf der einen Seite stehen, aber auf der anderen Seite China eigentlich immer eine positivere Entwicklung nimmt. Es ist das Land, das die meisten Gesetze erlassen hat in den letzten 20 Jahren, das seine Wirtschaft von einer Planwirtschaft zu einer Marktwirtschaft umgebaut hat. Das heißt, man muss ihm helfen, diese Probleme allmählich lösen zu können, und es nicht ausgrenzen oder in eine bestimmte Ecke stellen.
Ostermann: Was leisten dann derartige Ereignisse wie jetzt die Olympischen Spiele für die Völkerverständigung? Ist das nicht mittlerweile auch so etwas wie ein Popanz, der da immer noch hoch gehalten wird, denn im Wesentlichen geht es um wirtschaftliche Interessen und um eine Art Leistungsschau.
Heberer: Ja. Es geht auch um politische Darstellung. Ich denke, das IOC hätte vielleicht frühzeitig mit China einen gemeinsamen Fahrplan entwerfen können, in welche Richtung man denn die Zeit vor den Spielen und im Hinblick auf die Vorbereitung arbeitet. Da gab es zwar Absprachen, die waren aber relativ allgemein. Und es hat sich auch gezeigt, dass die Probleme zum Teil größer sind als vermutet, etwa was die Frage des Umweltschutzes in Peking anbelangt.
Da hat man bis jetzt ja keine geeigneten Lösungen gefunden und muss jetzt zu drastischen Maßnahmen greifen. Von daher waren die Erwartungen zu hoch gesteckt, und man hat das eigentlich alles auch China überlassen und nicht nach gemeinsamen Lösungsmöglichkeiten gesucht, und jetzt steht man halt vor spezifischen Problemen.
Ostermann:Und ganz offensichtlich gibt es sowohl im Westen wie auch dann auf der anderen Seite in China eine völlig unterschiedliche Vorstellung über das, was Olympische Spiele leisten sollen.
Heberer: Ja. Ich denke, die europäische Vorstellung ist, Spiele sind sehr stark mit Individuen, individuellen Rechten verbunden, und in China war es immer der Staat, der Vorrang vor dem Individuum hat. Auch die Eröffnungsveranstaltung, die ja sehr stark kollektive Inszenierungen vorgetragen hat, die uns vielleicht technisch gefallen . . .
Ostermann: Vieles erinnerte da an die DDR, an entsprechende Leistungsschauen.
Heberer: Ja, an die DDR. Man fühlt sich durchaus auch an totalitäre Systeme erinnert, denn nur ein Staat wie China, ein autoritärer Staat, kann eigentlich solche perfekten Masseninszenierungen gewährleisten und organisieren, denn bei uns wäre es unmöglich, 20.000 Menschen über Jahre hinweg zu trimmen auf ein solches Ereignis. Das würde wahnsinnige Kosten und auch organisatorische und humane Ressourcen verschlingen.
Ostermann: Herr Heberer, danke für das Gespräch heute früh.
Heberer: Gerne, Herr Ostermann. Ich bedanke mich.
Ostermann: Thomas Heberer war das, Professor für die Politik Ostasiens an der Universität Duisburg-Essen und China-Berater der Europäischen Kommission, im Gespräch mit Deutschlandradio Kultur.