China, Hongkong und die EU

Menschenrechte lassen sich nicht erzwingen

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Angler in Hongkong betrachten ein vorüber fahrendes Schiff, welches auf roten Transparenten das von China erlassene neue Sicherheitsgesetz als nationalen Erfolg feiert.
Parolen der Staatsmacht: Transparente auf einem Schiff feiern das Sicherheitsgesetz für Hongkong als nationalen Erfolg. © Getty Images / SOPA Images / LightRocket / Dominic Chiu
Von Christian Neuhäuser · 02.08.2020
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Die EU reagiert auf das chinesische Sicherheitsgesetz für Hongkong mit Mahnungen und Warnungen – die Schritte fallen zurückhaltend aus. Das sei nachvollziehbar, meint Christian Neuhäuser: Menschenrechte ließen sich nicht mit Gewalt durchsetzen.
Die neuen Sicherheitsgesetze schränken die Freiheitsrechte in Hongkong massiv ein. Eine freie politische Meinungsäußerung ist kaum noch möglich. Mehrere jugendliche Aktivisten und Aktivistinnen wurden bereits verhaftet. Für die bis vor kurzem immer stärker werdende und sehr hoffnungsvolle Demokratiebewegung in Hongkong ist das ein schlimmer Rückschlag. Die Reaktion der EU darauf fällt äußerst verhalten aus. Es gibt Mahnungen und Warnungen und einige schwache Sanktionen wie Einfuhrbeschränkungen für Waren, die zur Überwachung genutzt werden können.

Menschenrechte in der Kronkolonie kein großes Thema

Angesichts dieser eher symbolischen Proteste liegt die zynische Vermutung nahe, die EU hätte sich aus geostrategischen oder wirtschaftlichen Gründen nicht zu drastischeren Maßnahmen entschieden. Vielleicht spielt dazu eine Rolle, dass die Menschenrechte in Hongkong auch nicht an oberster Stelle standen, als die Metropole noch britische Kronkolonie war – die Übergabe der Staatshoheit an China ist kaum mehr als zwanzig Jahre her. Zwar waren die jetzt gefährdeten Freiheitsrechte damals gewährleistet. Aber politische Beteiligungsrechte gab es kaum und sozioökonomische Rechte so gut wie gar nicht.
Christian Neuhäuser auf dem blauen Sofa.
Menschenrechte einfordern und den kritischen Dialog mit China nicht abreißen lassen, fordert Christian Neuhäuser.© Deutschlandradio/ David Kohlruss
Doch die wahre Herausforderung liegt ohnehin woanders. Das langfristige politische Ziel sollte offensichtlich darin bestehen, den Menschenrechten in Hongkong und darüber hinaus auch in ganz China umfassend zur Durchsetzung zu verhelfen. Menschenrechte lassen sich jedoch nicht mit Gewalt durchsetzen und schon gar nicht gegen einen der mächtigsten Staaten der Welt. Wenn es darum gehen soll, den Hongkongern und den Festlandchinesen dabei zu helfen, in Freiheit zu leben, dann führt kein Weg an einem kritischen Dialog mit China auf politischer Ebene vorbei.
Der indische Philosoph und Ökonom Amartya Sen hat in seinen Überlegungen zu den Menschenrechten darauf hingewiesen, dass sich diese nur dann global durchsetzen werden, wenn wir weltweit einen möglichst offenen und inklusiven Diskurs führen. Die Herausforderung für die europäische Politik besteht also darin, sich einerseits klar zu den Menschenrechten zu bekennen, dasselbe immer wieder von China einzufordern und andererseits einen kritisch-konstruktiven Diskurs nicht abreißen zu lassen. Das ist wirklich keine beneidenswerte Aufgabe und man sollte diese Schwierigkeit der Ehrlichkeit halber auch anerkennen.
Aus dieser Sicht wirken die scheinbar härteren Maßnahmen der USA, wie eingefrorene Bankkonten für Parteifunktionäre, wenig zielführend. Sie haben vielleicht ohnehin mehr mit dem schwelenden Handelskrieg zwischen China und den USA zu tun. Daran sollte sich die EU also nicht orientieren. Wie schafft es die Politik aber dann einerseits echte und substantielle Solidarität mit demokratischen Kräften in Hongkong zu zeigen und andererseits den Diskurs mit China nicht im Keim zu ersticken?

Ob die EU ihr Versprechen hält, muss sie noch zeigen

Der eingeschlagene Weg der EU kann daher, allerdings wohl eher ungewollt und der mangelnden Einigungsfähigkeit geschuldet, als Ausdruck einer klugen Verantwortungspolitik gedeutet werden. Ob er ernstgemeint ist, wird sich jedoch erst noch zeigen und muss langfristig beobachtet werden. Hier sind die Medien gefordert, ihrer kritischen Funktion nachhaltig gerecht zu werden.
Wird es politischen Aktivistinnen leicht gemacht, nach Europa zu kommen und zu bleiben, wenn sie in China gefährdet sind? Werden Unternehmen, Wissenschaftlerinnen und andere zivilgesellschaftlicher Akteure gestärkt, wenn sie einen kritisch-konstruktiven Diskurs mit chinesischen Partnern und Kolleginnen pflegen? Welche Programme setzt die EU auf, um zugleich Aktivisten und Aktivistinnen zu schützen und kritische Dialoge zu befördern? Wieviel lässt sie sich das kosten?
Die Antworten auf diese Fragen werden zeigen, wie verantwortungsbewusst die Menschenrechtspolitik der EU wirklich ist.

Christian Neuhäuser ist Professor für politische Philosophie in Dortmund. Seine Forschungsschwerpunkte sind Theorien der Würde, der Verantwortung und des Eigentums. Zuletzt erschien von ihm das Essay "Wie reich darf man sein?" bei Reclam.

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