Chinas Corona-Wende

Von Null-Covid zu null Kontrolle

22:23 Minuten
Vogelperspektive auf eine Eingangshalle, in der Krankenhauspatienten in dicht gedrängten Reihen in Betten und auf Liegestühlen liegen.
Andrang auf Chinas Krankenhäuser: Hier im Shanghaier Changhai-Krankenhaus liegen viele Patientinnen und Patienten in der Eingangshalle. © Getty Images / Future Publishing
Moderation: Andre Zantow · 05.01.2023
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In China entfällt am 8. Januar auch die Quarantäne für Reisende. Die harte Kehrtwende in der Corona-Politik der Kommunistischen Partei sorgt für volle Krankenhäuser und laut Schätzungen – entgegen offizieller Zahlen – Tausende Tote jeden Tag.
Seit dem 7. Dezember 2022 lockert die Kommunistische Partei Chinas ihre strikte Null-Covid-Strategie. Ab nächster Woche gibt es dann auch keine Quarantäne für Reisende mehr, die bislang bis zu drei Wochen in Isolation in einem Hotelzimmer bleiben müssen.
Das machte auch Shanghai-Korrespondentin Eva Lamby-Schmitt bei ihrer Einreise ins Land durch, genauso wie 2022 den zweimonatigen Lockdown in der Ostküstenmetropole. Während dieser Zeit war es kaum möglich, die eigene Wohnung zu verlassen.

Volle Krankenhäuser in Shanghai

Inzwischen hätte die Mehrheit in Shanghai eine Corona-Virus-Infektion hinter sich, der Peak sei überschritten, meint die Korrespondentin. Das Leben in der Stadt erwache wieder. Trotzdem seien die Krankenhäuser noch voll. Davon konnte sie sich selbst überzeugen.
„Ich war heute in einer Notaufnahme, da standen die Betten dicht an dicht auf den Fluren. Viele Patienten hingen an Infusionen, manche hatten auch eine große blaue Sauerstoffflasche neben sich und wurden beatmet. Da ist viel mehr los in den Krankenhäusern als sonst“, berichtet sie.
Davon könne man in den Medien im Land aber nichts sehen. Die Kommunistische Partei spricht davon, dass das Virus sich verändert habe und nicht mehr so schlimm sei.
Dass jetzt die Maßnahmen wegfallen, würden die Menschen größtenteils begrüßen, weil der Alltag wieder leichter werde und die Lockdowns auch Existenzen bedrohten.

Große Krise für Xi Jinping

Das britische Gesundheitsanalyse-Unternehmen Airfinity geht in Modellrechnungen aktuell von 9000 Toten in Folge einer Corona-Ansteckung pro Tag in China aus. Es gibt Berichte, dass die Krematorien auf Hochtouren arbeiten, offizielle Zahlen veröffentlicht die Regierung dazu nicht.
Über private Kanäle hört die Sinologin Kristin Shi Kupfer von der Universität Trier, die Lage wirke sehr chaotisch. Die KP appelliere jetzt an die Eigenverantwortung der Bürger. Es sei eine große Krise für Generalsekretär Xi Jinping – sowohl innerhalb der eigenen Reihen als auch der Bevölkerung.
Ihr Fazit nach drei Jahren Pandemie: „Zu versuchen, mit einem Kontrollwahn einen Virus und eine Bevölkerung zu kontrollieren, ist letzten Endes gescheitert.“

Weltbank sieht geringes Wachstum in China

Die Kehrtwende in der Corona-Politik habe hauptsächlich wirtschaftliche Gründe, sagt Vincent Brussee vom Mercator Institut for China Studies.
„Es ist einer der wichtigen Faktoren gewesen. Wir haben das im Oktober während des Parteikongresses gesehen. Als rund zehn Prozent der Bevölkerung ständig im Lockdown waren. Reisen, Unterhaltung, Einzelhandel – das war alles am Boden“, erklärt er.

Aber vielleicht noch wichtiger war, dass die Lokalregierungen die Null-Covid-Politik nicht mehr umsetzen konnten. Sie mussten Milliarden ausgeben für Quarantäne-Einrichtungen, Teststellen, und gingen inzwischen an ihre Reserven oder in die roten Zahlen. Und oben drauf kamen dann die Proteste. Es war also ein perfekter Sturm. Und die Wirtschaft war ein wichtiger Teil davon.

Vincent Brussee, Mercator Institut for China Studies

Über drei Jahre Pandemie gab es aber auch Erfolge der KP, gibt der China-Wissenschaftler zu bedenken: „Bevor die Omikron-Variante erschien im vergangenen Jahr, war Chinas Null-Covid-Politik sehr positiv für die Wirtschaft und Millionen Leben wurden gerettet. 2020 war China das einzige große Land weltweit mit einem positiven Bruttoinlandsprodukt.“
Allerdings: „2022 änderte sich das Bild komplett. Shanghai ging in einen Lockdown – eine Stadt so groß wie die Niederlande und Belgien zusammen. Die Weltbank erwartet nur ein Wachstum von 2,7 Prozent. Viele andere Indikatoren sind auch schlecht. Die Arbeitslosigkeit steigt. Die Produktion ist gefallen. Aber alles in allem ist das Bild nicht so negativ, wie man manchmal denkt."
Chinas KP-Chef Xi Jinping sprach in seiner Neujahrsansprache von 4,4 Prozent Wachstum 2022. Klar ist, dass der Konsum zuletzt eingebrochen ist. 2023 erwartet Vincent Brussee „ein hartes Jahr für Chinas Wirtschaft".
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