Chilenische Liebesgeschichte

07.12.2012
Der chilenische Politiker Diego, seine Tochter Sophie und deren beste Freundin Morgana sind das Dreieck, auf das sich Carla Guelfenbein konzentriert. Im Hintergrund putscht General Pinochet, während Diego Morgana schwängert. Sophie fühlt sich von Vater und Freundin verraten und flüchtet nach Paris.
Die Szene soll vor allem eines symbolisieren: einen Moment, in dem höchste Harmonie, ein perfektes Idyll, größte emotionale Ausgeglichenheit ihren Ausdruck finden. Wie da drei Personen, ein Mann und zwei Frauen, im nächtlichen mondbeschienenen Fluss ihre Leiber durchs Wasser gleiten lassen, mit ihrer Nacktheit alle Vertrautheit dieser Welt in einer harmlosen und ganz unpathetischen Handlung kulminieren lassen, das ist so etwas wie die Urszene dieses Romans, auch wenn sie letztlich nur sehr knapp verhandelt und lediglich des öfteren erwähnt wird.

Eine überaus herzliche Verbundenheit, eine Seelenverwandtschaft ist es, die das Dreieck zwischen dem Politiker Diego, seiner Tochter Sophie, einer jungen, mit ersten Erfolgen hoffnungsvollen bildenden Künstlerin, und deren Freundin Morgana, die zwischen Universität und Literaturbetrieb ihre ersten Schritte im Berufsleben unternimmt.

Als sich zwischen Diego und Morgana eine Liebesbeziehung entspinnt, erodiert das idyllische Dreieck zusehends, es zerbricht völlig, als Morgana von Diego schwanger wird. Sophie, Diegos in ihrer Persönlichkeit nicht sehr robuste Tochter, empfindet die Beziehung der beiden als Verrat. Sie verschließt sich zusehends, flüchtet schließlich nach Paris zu ihrer Mutter und bricht den Kontakt zu ihrem Vater und Morgana völlig ab.

Das klingt nach einer rührseligen, beinahe kitschigen Geschichte (und ist an nicht wenigen Stellen auch so erzählt), aber es kommt etwas anderes ins Spiel: Der Handlungsort ist Santiago de Chile, die Zeit sind die frühen 70er Jahre, die kurze Allende-Regierungszeit, die am 11. September 1973 mit dem Putsch des Generals Pinochet gewaltsam beendet wurde. Die Ereignisse jener Jahre kontrastieren zunehmend das gefühlige Verhandeln der zerbrochenen Dreiecksbeziehung, zumal mit Diego ein enger Mitarbeiter des Präsidenten Allende im Fokus steht.

Das Aufkommen rechter Gewalt (Diego wird denn auch überfallen und halbtot geschlagen), der berühmte Lastwagenfahrerstreik, der das Land lange Wochen regelrecht lahmlegte, ein misslungener Putschversuch im Juni ´73, schließlich der eigentliche September-Putsch, die Katastrophe, und die unmittelbar darauffolgende Zeit mit ihren schweren und schwersten Bedrängnissen für die meisten der Romanfiguren werden zu immer wichtigeren Elementen der Erzählung.

Jener andere 11. September, der des Jahres 2001, und die Anschläge auf das World Trade Center in New York werden zum Anlass, die Romangeschichte zu einer Art Ende zu führen. Sophie, über die Jahre zu einer erfolgreichen Künstlerin gereift, versucht von Paris aus, Kontakt zum verdrängten Teil ihrer Lebensgeschichte aufzunehmen.

"Nackt schwimmen" ist wie der Versuch eines Spagats: hier das Bemühen, eine große Geschichte über Gefühle und ihre Gefährdungen zu erzählen, da das Bestreben, diese Gefühlswelt mit einem politisch-historischen Hintergrund aufzuladen. Eine Figurine wirklicher Perfektion ist daraus nicht entstanden, Punktrichter würden wohl kaum die Höchstnote zücken. Aber eine versierte literarische Athletin ist da allemal am Werk gewesen.

Besprochen von Gregor Ziolkowski

Carla Guelfenbein: "Nackt schwimmen"
Aus dem Spanischen von Angelica Ammar
S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2012
302 Seiten, 19,99 Euro


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