Chefvolkswirt Europa der Bank of America fordert mehr Selbstkontrolle

Moderation: Birgit Kolkmann |
Der Chefvolkswirt Europa der Bank of America, Holger Schmieding, hat sich für eine Selbstkontrolle der Finanzindustrie ausgesprochen. Für "heftige Staatseingriffe" im Sinne von Regulierung sei es hingegen zu früh, sagte Schmieding.
Birgit Kolkmann: Fast eine Billion Dollar Verlust durch die internationale Finanzkrise, das haben die Experten des Internationalen Währungsfonds ausgerechnet. Eine schwere Hypothek ist das, die die westlichen Industriestaaten noch eine ganze Weile belasten wird. Diese Krise wollen die G7-Staaten in engem Schulterschluss meistern, das sagte der deutsche Finanzstaatssekretär gestern in Vorbereitung des Treffens der G7-Finanzminister und -Notenbankchefs am Freitag in Washington. Wie können die Finanzmärkte wieder beruhigt werden? Durch große Goldverkäufe, mehr internationale Kontrollen und mehr Transparenz? Das wollen wir Volker Schmieding fragen, er ist Chefvolkswirt Europa der Bank of America. Schönen guten Morgen nach Frankfurt.

Volker Schmieding: Einen schönen guten Morgen.

Kolkmann: Herr Schmieding, heute wird der Deutsche Bank Chef Ackermann als Präsident des internationalen Bankenverbandes einen Kodex vorstellen, wie die Geschäftsführung der Banken verbessert und transparenter gemacht werden kann. Reicht diese Selbstkontrolle aus oder braucht es staatliche Intervention dazu?

Schmieding: Zunächst einmal, zu diesem Kodex selbst kann ich natürlich noch nichts sagen. Ich glaube, was wir im Wesentlichen brauchen zurzeit ist tatsächlich eine Art Selbstkontrolle der Finanzindustrie. Selbstkontrolle klingt nach einer schwachen Sache, aber das, was zurzeit läuft, ist ja nicht eigentlich, dass Regulierungen falsch laufen. Das wesentliche Problem zurzeit ist ja, dass die Banken selbst nicht genau wissen, wie sie eigentlich bestimmte Titel, bestimmte krisenbehaftete Titel, risikobehaftete Titel bewerten sollen. Da helfen auch Regulierungen nicht viel. Da muss man einfach erstens abwarten, wie sich der Markt für diese risikobehafteten Titel entwickelt, und zweitens braucht man von Seiten der Industrie und von Seiten der Aufsichtsbehörden einfach die Bereitschaft, im Einzelfall flexibel zu reagieren. Also ich würde sagen, es ist zumindest für heftige Staatseingriffe im Sinne von Regulierung viel zu früh. Das muss man erst abwarten, wie nachher, wenn sich der Staub etwas gelegt hat, tatsächlich die Situation aussieht.

Kolkmann: Nun kann man sich auch vorstellen, dass staatliche Intervention nicht nur Regulierung sein muss, sondern in dem Sinne, wie Sie sagten, die Bewertung von bestimmten Produkten einfacher und transparenter gemacht werden kann. Wenn schon bei den Banken da Probleme herrschen das zu bewerten, wie soll eigentlich der Kunde das noch tun?

Schmieding: Das wesentliche Problem ist ja nicht, dass die Banken versuchen, Dinge falsch zu bewerten. Die Sache ist einfach, dass zurzeit einige risikobehaftete Titel am Finanzmarkt praktisch nicht gehandelt werden, und dass deshalb es keinen richtigen Marktpreis gibt. Eigentlich, wenn es Marktpreise geben würde, wäre es relativ klar, wie man solche Titel bewerten soll. Was zurzeit das Problem ist, ist dass der Markt in einigen Ecken mehr oder weniger außer Funktion geraten ist. Da hilft relativ wenig an Eingreifen von oben. Da hilft möglicherweise im Einzelfall, Banken etwas Spielraum bei der Bewertung zu geben, und zweitens hilft es, und das passiert ja zum Glück so auf beiden Seiten des Atlantiks, dass im Einzelfall, in dem es notwendig ist, die Behörden und die Finanzindustrie gemeinsam eingreifen, um bestimmte Situationen zu bereinigen.

Kolkmann: Und zwar mit barer Münze, wenn man das so salopp sagen kann. Im Prinzip werden ja diese Verluste dann auf die Gemeinschaft umgelegt. Nun haben ja die EU-Finanzminister gesagt, dass nun Expertenteams gebildet werden sollen, sogenannte Stabilitätsgruppen, die den Banken an die Seite gestellt werden sollen. Das ist ja auch eine Form der Intervention und ein Versuch, die ganze Krise zu beruhigen. Was halten Sie davon?

Schmieding: Generell, würde ich sagen, ist natürlich zurzeit der Informationsaustausch zwischen Behörden, zwischen Finanzindustrie ausgesprochen wichtig. Und deshalb ist das eine Idee, wo ich von vornherein sagen würde, das könnte recht vernünftig sein. Wir müssen allerdings noch hinzufügen, dass in vielen Fällen, nicht in allen Fällen, in vielen Fällen bisher der Steuerzahler noch gar nicht zur Kasse gebeten wurde. Die wesentliche Aktion der Behörden ist ja bisher, dass man über die Zentralbanken der Finanzindustrie Geld zur Verfügung gestellt hat, aber dieses Geld wird verzinst und zurückgezahlt.

Kolkmann: Das Beispiel aus Schweden Anfang der 90er Jahre wir jetzt häufiger zitiert. Die Bewältigung einer Finanzkrise in Folge auch einer geplatzten Immobilienblase könne als eine Blaupause für die Lösung der Immobilien- und Bankenkrise auch in den USA herhalten. Auch da gab es diese Stabilitätsgruppen, Expertenteams, die interveniert haben. Was halten Sie von diesem Vorschlag, das einfach noch mal aufzulegen?

Schmieding: Also dass sich Expertenteams um die Dinge kümmern im engen Kontakt mit den einzelnen Banken, das könnte durchaus vernünftig sein. Bisher sind wir zum Glück weder in den USA noch in Deutschland in einer Lage, die mit der in Schweden damals zu vergleichen ist. Damals musste tatsächlich in Schweden das Bankensystem von Staats wegen dauerhaft gestützt, das heißt also rekapitalisiert werden. Bisher ist es im Wesentlichen so, bei einigen Ausnahmen gerade in Europa, dass es neue Eigentümer sind, die nicht vom eigenen Staat kommen. Beispielsweise diese Vermögensfonds aus Ostasien, die neues Kapital selbst freiwillig ohne Beteiligung der Steuerzahler direkt zur Verfügung stellen. Also in einer Krise, die mit der schwedischen vergleichbar ist, sind wir noch nicht. Es ist natürlich richtig, sich in der jetzigen Situation anzugucken, was man möglicherweise machen müsste, falls die Krise sich erheblich verschärfen sollte.

Kolkmann: Was bringen da die geplanten Goldverkäufe?

Schmieding: Das ist einfach eine andere Sache. Goldverkäufe können ein Mittel sein beispielsweise für den Internationalen Währungsfond, seine Liquidität zu erhöhen. Das muss nicht direkt etwas mit der Finanzkrise zu tun haben.

Kolkmann: Was glauben Sie, wie lange werden wir noch an den Folgen dieser Krise zu knacken haben?

Schmieding: Ich hoffe, dass der Höhepunkt der Krise im reinen Finanzbereich in Kürze erreicht wird, überwunden ist. Natürlich werden die Verwerfungen im Finanzsystem für einige Zeit auch auf der Wirtschaft lasten. Bis die Volkswirtschaft wieder auf ein normales Wachstumstempo zurückkommen kann, das könnte bis Ende diesen Jahres, bis Anfang nächsten Jahres dauern.

Kolkmann: Es gibt ja durchaus auch Experten, die sagen, die Szenarien könnten noch viel schlimmer kommen, dass nämlich dann der Strudel abwärts eintritt und eine Bank nach der anderen zusammenbricht. Was halten Sie von diesem Worst-Case-Szenario?

Schmieding: Ich würde wirklich sagen, das ist ein Worst-Worst-Case-Szenario. Es ist vieles nicht völlig auszuschließen, aber bisher sieht es nach einem derartigen Abwärtsstrudel überhaupt nicht aus. Im Gegenteil, die Finanzmärkte haben sich in den letzten Tagen wieder etwas beruhigt. Das mag eine Zwischenberuhigung sein, aber das mag durchaus auch ein Anzeichen sein, dass wir uns langsam gewöhnt haben an die Krise im Finanzmarkt und dass die Märkte auch darauf reagieren, dass sowohl von der Finanzindustrie als auch von den Behörden massive Anstrengungen gemacht werden, um die Krise einzudämmen. Also insgesamt würde ich eher vorsichtig optimistisch sein, als mich zu sehr mit Worst-Worst-Case-Szenarien jetzt zu beschäftigen.