Chefanalyst: Angst um Spareinlagen ist Hysterie

Der Chefanalyst der Bremer Landesbank Folker Hellmeyer sieht die negativen Einflüsse auf das Bankensystem eindeutig in den Finanzzentren London und New York. Neben der Einführung eines Trennbankensystems fordert er nachhaltigeres Wirtschaften und eine Regulierung der Produktstrukturen.
Joachim Scholl: Der Protest wird immer stärker. Nach dem weltweiten Protesttag gegen die Macht der Banken gibt es weiter Demos, die Occupy-Wall-Street-Proteste in New York finden also immer mehr Nachahmer, auch in Deutschland. Die Politik reagiert, zumindest verbal: Der Bundesfinanzminister zeigt Verständnis für die Proteste, der SPD-Chef will die Macht der Banken begrenzen und sogar einige Banker zeigen sich etwas reuig.

In wenigen Tagen nun der EU-Gipfel, dann wird beraten, wie man die Schuldenkrise in den Griff bekommen soll. Und ein Thema da: Wie verhindert man, dass die Banken ihre Risiken auf den Steuerzahler abwälzen? Die Rede ist von einer Trennung des Bankensystems in - ich drück's mal etwas sehr populär aus - Sparbüchsen und Zockerbuden. Jetzt ein Gespräch mit Folker Hellmeyer, das ist der Chefanalyst der Bremer Landesbank, er hat vor drei Jahren das Buch vorgelegt "Endlich Klartext!: Ein Blick hinter die Kulissen unseres Finanzsystems". Guten Morgen, Herr Hellmeyer!

Folker Hellmeyer: Guten Morgen!

Scholl: Ist denn so eine Trennung von Privatkunden und Investmentgeschäft eine Lösung?

Hellmeyer: Es ist definitiv eine Lösung, es ist das Skript, das in Amerika gewählt worden ist nach der großen Depression 1932, ein Trennbankensystem einzuführen. Das ist unter Bill Clinton 1998, 99 ultimativ aufgelöst worden. Und seitdem erkennen wir, dass eben diese Zusammenführung dieser Bankensegmente im angelsächsischen, amerikanischen Bereich wieder dazu geführt hat, dass Spielfreude sehr stark aufgekommen ist. Und ich rede hier gar nicht so sehr von dem deutschen Universalbankensystem, das zu kritisieren ist, sondern die negativen Einflüsse in den letzten 15 Jahren lassen sich ganz klar auf die Finanzzentren London und New York zurückführen, wo der Spieltrieb sehr viel ausgeprägter war.

Und wenn es zu viel Spieltrieb gibt im Finanzsektor, der die Realwirtschaft schließlich sogar in eine Geiselhaft nimmt, dann gilt es zu agieren. Fakt ist, dass der Finanzdienstleistungssektor einmal auf die Beine gestellt worden ist, um die Realwirtschaft zu optimieren, nicht, um die Realwirtschaft in Geiselhaft zu nehmen. Deswegen habe ich auch in dem Buch, das Sie schon ansprachen, schon 2007, 2008 gesagt, dass die internationale Bankenaristokratie - so nenne ich die global agierenden Finanzinstitute - zerschlagen werden muss. Denn sie leben nicht die volkswirtschaftlichen Funktionen der Nationalstaaten, sie leben Eigeninteresse. Und Banken haben systemische Funktion und deswegen bedarf es hier einer Neuorientierung.

Scholl: Aber eine große Krise wurde doch ausgelöst durch die Pleite von Lehman Brothers. Das war nun eine reine Investmentbank, das war nun keine Mischform. Also, da hätte doch eine Trennung auch nichts gebracht?

Hellmeyer: In der Tat. Also, es nur auf die Zerlegung der Bankenaristokratie zu reduzieren, greift auch eindeutig zu kurz. Entscheidend sind weitere Punkte. Der erste, ein weiterer Punkt ist der, dass das internationale Bilanzierungssystem auf Nachhaltigkeit getrimmt werden muss, wir haben es auf Kurzfristigkeit seit 1990 getrimmt. Und Kurzfristigkeit entspricht nicht dem Anspruch für Wirtschaft. Wirtschaft ist Marathon, nicht Sprint, und in dieser Kurzfristigkeit ist einmal mehr auch ein Krisenaspekt zu sehen.

Und das andere sind die Produktstrukturen, dass wir zu sehr mit Derivativen arbeiten, auch derivative Märkte, insbesondere dann, wenn sie bisher unreguliert waren, bedürfen einer Regulierung, da reden wir über Credit Default Swaps. Und Lehman, noch einmal, bei Lehman ist es einfach auch so, dass diese Banken seinerzeit zu viel außerhalb ihrer Bilanz an Risiken aufbauen konnten. Da haben wir zum Teil unsere Hausaufgaben gemacht, aber es gibt, wie gesagt, noch mindestens drei weitere Felder, wo nachhaltig gearbeitet werden muss.

Scholl: Bevor ich jetzt versuche, Details des Bankensystems wie Credit Default Swaps zu verstehen, gestatten Sie mir eine etwas einfachere Frage: Der Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble hat ja gestern erst gesagt, er erwartet vom bevorstehenden EU-Gipfel eine Einigung auf höhere Eigenkapitalhürden für die Banken. Das heißt doch, es sollen die Geld beiseite legen, die gerade gar kein Geld haben und Hilfe brauchen. Wie soll denn das funktionieren?

Hellmeyer: Der Ansatz ist dreigliedrig: Erst einmal sind Banken gefordert, sich selbst am Markt zu rekapitalisieren. Das werden vereinzelt Institute schaffen, ansonsten stehen die Staaten zur Seite und als dritte Option bleibt der EFSF als Rekapitalisierungschance für diese Banken. Ich halte diesen Weg für sehr wichtig und richtig, losgelöst von meiner Kritik an der Bankenaristokratie. Wenn es jetzt von einer Verunfallung der Dominoeffekte kommt in Europa - und das ist ja auch die Kritik der Chinesen und auch ansonsten der internationalen Kulisse, dass Europa da seine Hausaufgaben in den letzten 18 Monaten unzureichend gemacht hat -, dann spielen wir mit der Realwirtschaft nicht nur Deutschlands, sondern Europas und sogar der Weltwirtschaft.

Und fiskalische Erholung, die steuerliche Erholung der Staaten ist korreliert, ist verbunden mit der Konjunkturlage, und die gilt es eben aufrechtzuerhalten. Insofern sind das die Wege, die gegangen werden müssen. Die Starken können sich am Markt selbst rekapitalisieren und der Rest bedarf dann einer Staatsintervention. Ich habe in diesem Fall gar nichts dagegen, ich möchte betonen, dass dadurch, dass eben dann unter Umständen auch der Staat Aktionär von einzelnen Banken wird, er bessere Prüfmöglichkeiten hat, bessere Einsicht in das, was diese Institute machen, und auch eine Umpositionierung dieser Banken dadurch mit beeinflussen kann.

Scholl: Wenn es zu einem Dominoeffekt kommt, den alle versuchen zu verhindern, dann ist die Wirtschaft massiv betroffen. Aber dann erwischt es doch eigentlich auch die Sparguthaben, dann ist doch jeder Einlagensicherungsfonds zu klein? Oder ist das, was ich jetzt sage, schon Hysterie?

Hellmeyer: In meinen Augen ist es Hysterie, wir haben den besten Aufschwung qualitativ seit 1953, seit dem Koreakrieg in der Weltwirtschaft, wir haben keine Übertreibung wie 2007, 2008 in dem Lagerzyklus, Investitionsgüterzyklus und auch Konsumzyklus, und es gilt, das einfach weiter nach vorne zu tragen. Wir haben heute eine Weltwirtschaft, die zu 50 Prozent von Schwellenländern bestimmt ist, die unsere Probleme gar nicht haben, 20 Prozent der Weltwirtschaft sind starke Industrienationen. Warum sollen wir wegen Griechenland, wegen eines so marginalen Problems im Verhältnis zur Weltwirtschaft, dieses ganze System riskieren?

Und das ist, wie gesagt, noch mal der Punkt, der eben auch von den Schwellenländern an Europa herangetragen wird: Wir sollen hier verdammt noch mal unsere Hausaufgaben machen, wir sind dazu in der Lage, die Reformen klappen fantastisch, in Irland, in Portugal, in Spanien sind wir à jour, Italien ist in der Reformspur, selbst Frankreich, Europa ist das Paradepferd der Stabilität, was Neuverschuldung anbetrifft, wir liegen deutlich unter den Werten vom Vereinigten Königreich, USA oder Japan.

Wir reformieren uns, das verdient Vertrauen und das muss man jetzt auch umsetzen. Und in der Tat brauchen wir unter Umständen im Moment Hilfe für die Banken, aber am Ende muss ein Restrukturierungsprozess des Bankensystems da sein. Banken haben eine dienende Funktion und wir haben in den letzten 20 Jahren eine egozentrische Funktion der Banken gesehen. Und das gilt es zu eliminieren.

Scholl: Also, auch die Sparguthaben sind sicher?

Hellmeyer: Sie sind sicher. Und ich möchte noch mal betonen: Wenn wir über Sparguthaben reden, müssen wir auch über Sparkassen, über Raiffeisenbanken, Volksbanken reden. Es sind die Banken, die in dieser Krise antizyklisch mehr Kredit vergeben haben, die stabilisierend gewirkt haben, die ihre volkswirtschaftlichen Funktionen gelebt haben. Das heißt, die regional tätigen Banken haben ihre Hausaufgaben gemacht und das gilt es auch von der Politik, einmal zu goutieren, und nicht immer nur auf die Interessen der Großbanken zu schielen. Das war die letzten 20 Jahre der Fall, hier gilt es, eine Neuausrichtung in die Regionalität und Nationalität zu forcieren.

Scholl: Folker Hellmeyer ist der Chefanalyst der Bremer Landesbank, vielen Dank, Herr Hellmeyer!

Hellmeyer: Gerne!

Scholl: Mit dem Thema Bankenkrise, mit dem Thema Proteste beschäftigt sich auch unser "Politisches Feuilleton" in 23 Minuten hier.

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.


Links bei dradio.de:

Gabriel: Kreditgeschäft und Investmentbanking trennen - SPD-Chef fordert Neuordnung des Bankensystems

Finanzexperte: Definition der Geschäftsfelder ist nicht so einfach - SPD fordert Trennung von Kreditgeschäft und Investmentbanking

"Unheilige Allianz" zwischen Politik und Finanzwelt - Börsenexperte Müller: Banken als Opfer - das ist eine Farce
Mehr zum Thema