Chef der WAZ-Mediengruppe schließt Rückzug aus Ungarn nicht aus

Bodo Hombach im Gespräch mit Dieter Kassel · 11.01.2011
Der Chef der WAZ-Mediengruppe, Bodo Hombach, zeigt sich besorgt über die Medienpolitik in Ungarn und anderen Staaten Südosteuropas. Dem Europarat wirft er eine ausweichende Haltung beim Thema Pressefreiheit vor.
Dieter Kassel: Seit in Ungarn am 1. Januar ein Gesetz in Kraft getreten ist, das einer staatlichen Behörde eine uneingeschränkte Kontrolle sämtlicher Medien gestattet, ist das Land in Mittel- und Westeuropa in die Schlagzeilen geraten und kommt da erst mal auch nicht wieder raus. Allerdings ist es um die Pressefreiheit nicht nur in Ungarn schlecht bestellt, sondern auch in anderen Ländern Südosteuropas. Darüber wird allerdings seltener geredet, auch hier in Deutschland.

Die folgenden Minuten werden da eine Ausnahme darstellen, denn wir reden genau darüber, und zwar mit Bodo Hombach, einem der beiden Geschäftsführer der WAZ Mediengruppe in Essen. Diese Mediengruppe ist gerade dabei, sich nach und nach aus Südosteuropa zurückzuziehen, die Beteiligungen in Rumänien und Bulgarien hat man bereits nicht mehr, der Ausstieg aus dem serbischen Markt läuft. Aber Zeitungen und Magazine in Ungarn, die besitzt man noch. Schönen guten Tag, Herr Hombach!

Bodo Hombach: Guten Tag, Herr Kassel!

Kassel: Wenn wir uns die Diskussion angucken der letzten Tage um diese neue Behörde und das neue Mediengesetz in Ungarn, das mal vergleichen mit Rumänien zum Beispiel, kann man da sagen, die Pressefreiheit in Ungarn ist eigentlich nur typisch für die Lage in Südosteuropa?

Hombach: Das, was Herr Orbán in Ungarn macht, ist natürlich der Traum vieler Politiker, Medien so an die Kandare zu nehmen, dass sie, wie Politiker es nennen, ausgewogen berichten. Und was sie damit meinen, ist, dass sie nicht allzu kritisch sind. In Rumänien haben wir eine ganz andere, aber auch sehr problematische Situation: Die Medien in Rumänien sind überwiegend in der Hand von Oligarchen, von Geschäftsleuten, die ihr Geld woanders verdient haben, in der Regel in der Privatisierung, die sich Medien nicht etwa halten, um dort ihr normales Mediengeschäft zu machen, sondern die in erheblichem Umfange Geld zuschießen, manchmal 60 Millionen pro Jahr in einem konkreten Falle, Dumpingpreise machen, durch Gewinnspiele Abonnenten gewinnen, und die dadurch den Markt für sich okkupieren, andere Verleger, die normal wirtschaften müssen, verdrängen.

Und das bedeutet, dass Medien, die in der Hand von Oligarchen sind und geführt werden, natürlich einen Zweck haben: Sie sollen die Geschäfte absichern, sie sollen den Interessen dienen, und das ist eine sehr gefährliche Entwicklung. Die ist mindestens so gefährlich wie in Ungarn. In Ungarn hatten wir bisher einen relativ hochwertigen Medienmarkt, vernünftige Medien, Medien, die verschiedenen auch ausländischen Verlagen gehörten, kritische, uns selber gehört in Ungarn ein Magazin, das viele den "Spiegel" Ungarns nennen, ein kritisches Magazin, "HVG". Also in ganz Südosteuropa, aber auch in einigen anderen Ländern muss man sich Sorgen machen teilweise aus sehr unterschiedlichen Gründen. Die Fixierung auf Ungarn reicht auf gar keinen Fall.

Kassel: Was Sie gerade über die Medienlandschaft in Rumänien gesagt haben, da spielen ja offenbar zwei Dinge eine Rolle: Einmal tatsächlich die Presse- und Meinungsfreiheit, zum anderen ja aber auch die wirtschaftliche Freiheit. Was ist denn auch gerade für die WAZ-Gruppe das größere Problem gewesen: Dass man in so einem Markt einfach kein Geld mehr verdienen kann, oder dass Sie das, was Sie für journalistische Standards halten, da nicht mehr einhalten konnten?

Hombach: Also ohne journalistische Standards, ohne ethische Prinzipien machen wir überhaupt keine Medien. Wir waren der erste Verlag, der mit der OSZE, als sie sich noch für die Mediensituation interessierte, als Freimut Duve der Beauftragte war, einen Vertrag gemacht über Prinzipien ethischen Journalismusses in Südosteuropa, haben uns freiwillig der Kontrolle der OSZE unterworfen. Das ist für uns zunächst mal das Grundprinzip.

Aber gleichzeitig muss für uns eine wirtschaftliche Basis da sein, und wenn die nicht mehr gegeben ist, dann haben wir keine Handlungsfähigkeit mehr in diesem Markt. Wir können gegen Dumpingpreise nicht anverdienen. Und wenn das System, das politisch-wirtschaftliche System eine Medienlandschaft duldet, dann kann das durchaus auch politische Absicht sein. Sie wissen ja, wie heftig die Kritik war, als in Russland ein großes Energieunternehmen gleichzeitig eine Medienabteilung gegründet hat und viele Medien in Russland aufgekauft hat.

Wir haben all diese unterschiedlichen, aber gleichwohl gefährlichen Entwicklungen in Südosteuropa schon vor anderthalb Jahren in einem ausführlichen und detaillierten Bericht zusammengefasst und an den zuständigen Europarat gesandt. Und ich bedaure sehr, dass das Thema nie ernsthaft aufgegriffen wurde.

Kassel: Sie haben sich dazu in den letzten Tagen ja mehrmals geäußert und haben da immer gesagt, auf diesen Brief habe der Generalsekretär des Europarats ausweichend reagiert. Was heißt denn das konkret?

Hombach: Er hat mir freundlich zurückgeschrieben und hat gesagt, er würde bald pensioniert und er würde es seinem Nachfolger hinterlassen. Das nenne ich ausweichend.

Kassel: Ich benutze das Wort nicht leichtfertig: Das ist ja eigentlich ein kleiner Skandal?

Hombach: Ich möchte das Wort jetzt nicht übernehmen, weil ich immer noch darauf hoffe, dass die Debatte, die jetzt entstanden ist über das Mediengesetz in Ungarn, dazu führt, dass wir uns insgesamt sensibler mit dem Thema Lage der Medien und Pressefreiheit auseinandersetzen. Denn gerade in diesen Transformationsstaaten, die sich aus dem Kommunismus gelöst und nun auf dem Weg in die Europäisierung sind, ist nichts so wichtig wie eine freie Presse. Denn nur die kann Fehlentwicklungen, Machtmissbrauch, Korruption bekämpfen. Unsere Medien tun das nach Kräften. Aber es gibt auch noch einen anderen Aspekt: Wir haben leider in vielen dieser Länder Medien, die ihrerseits sich den Boden entziehen oder den Ast absägen, auf dem sie sitzen, indem sie auf wirklich unzulängliche Weise, teilweise auf manipulative Weise Journalismus betreiben – oder eigentlich kann es keiner Journalismus nennen –, Propaganda betreiben.

Es gibt da Kampagnen, ausgerichtete Blätter, deren Glaubwürdigkeit gen Null tendiert, und die dann natürlich ein gesellschaftliches Klima schaffen, wo die Leute sagen, denen mal auf die Finger zu schauen, kann nicht falsch sein. Wir müssen beide Seiten gleichzeitig im Auge behalten. Dies ist eine umfassende Aufgabe, aber die ist mindestens für den Aufbau der Demokratie gerade im Transformationsprozess nach schwierigen kommunistischen Situationen – nehmen Sie den bulgarischen, den rumänischen Kommunismus, das waren ja ganz besonders abwegige, oder Enver Hoca in Albanien, oder Ceausescu in Rumänien –, das muss alles ausgeschwitzt werden, und da spielen Medien eine große Rolle.

Kassel: Herr Hombach, entschuldigen Sie, nun ist das Jahr, dass die kommunistischen Zeiten in diesen Ländern zu Ende gingen, nun über 20 Jahre her; dass die WAZ Mediengruppe in vielen dieser Länder aktiv wurde, ist in einigen Fällen auch schon 15 Jahre her. Da waren Sie am Anfang noch gar nicht der Geschäftsführer, aber dennoch mal zurückblickend: Wird denn die Lage langsam besser, oder – so erscheint es mir eher – wird sie jetzt vorübergehend sogar wieder schlimmer?

Hombach: Das ist sehr unterschiedlich. Zum Beispiel über Kroatien kann ich von politischer Repression, unbotmäßigen Versuchen der Politik, auf Redaktion Einfluss zu nehmen, kann ich nicht berichten. Ganz im Gegenteil, da habe ich andere Eindrücke. Ich höre Kritik an der einen oder anderen Stelle, aber das kann ich aus eigener Erfahrung nicht bestätigen. In Serbien erleben wir wiederum was ganz anderes: In Serbien erleben wir, dass die Rechtstellung eines Unternehmens, auch eines Medienunternehmens schlicht ignoriert wird. Es gibt kartellrechtliche Vorstellungen, die nicht so angewandt werden, wie es in den eigenen Gesetzen steht, sondern die angewandt werden, um uns zu behindern, um uns an der völlig rechtmäßigen Übernahme von Anteilen an einem Titel zu behindern und damit einem Oligarchen in die Hände zu spielen, der auf abenteuerliche Weise seinen Journalismus da vertritt. Man kann das nicht über einen Kamm scheren, und vor allen Dingen nicht mit der ungarischen Entwicklung vergleichen. Das sind andere Verhältnisse als die, über die ich in den anderen Ländern rede. Welche nun die problematischeren sind, überlasse ich dem Betrachter. Aber sie zu ignorieren, was bisher geschehen ist, das halte ich für skandalös.

Kassel: Wir reden im Deutschlandradio Kultur mit Bodo Hombach, einem der beiden Geschäftsführer der WAZ Mediengruppe, über die Pressefreiheit und den Mangel daran in vielen Ländern Südosteuropas. Dann lassen Sie uns zum Abschluss, Herr Hombach, aber doch noch mal konkret über Ungarn reden, das ist ja nun das Land, das quasi in der Region für Sie übriggeblieben ist: Sie haben kurz vor Weihnachten erzählt, dass Sie die Chefredakteure Ihrer ungarischen Blätter nach Essen in die Zentrale eingeladen haben für Mitte Januar, um mit denen auch über dieses neue Gesetz zu reden. Was werden Sie denen denn sagen diesbezüglich?

Hombach: Also zunächst mal ist es so, dass unsere Leute in der Debatte sehr engagiert sind. Unsere Geschäftsführerin Frau Kázmér in Ungarn ist gleichzeitig die Vorsitzende des ungarischen Verlegerverbandes, und die ist dort natürlich seit Monaten in der Debatte involviert. Wir wollen nur hier zusammenkommen, um unsere Stellungnahme zu entwickeln, die wir auch in Europa vertreten. Wir sind ja auch von europäischer Ebene gebeten worden, uns zu äußern. Und das möchte ich mit den ungarischen Kolleginnen und Kollegen entwickeln, weil der Gesetzestext, den ich ja teilweise mir habe übersetzen lassen und den ich studiert habe, ist ja wie vieles sehr schwammig. Es hängt dann anschließend von der Auslegung ab: Also die Frage, was ist ausgewogen? Jeder von uns würde unterschreiben, dass Journalismus ausgewogen sein soll. Aber das von staatlichen Behörden anschließend festzulegen und auch Strafwerte austragen zu lassen, das ist natürlich, sind alles ganz andere Themen. Ich möchte das gerne selber recherchieren und wir möchten unsere Stellungnahme gemeinsam entwickeln.

Kassel: Halten Sie es prinzipiell, für den Fall, dass dieses Gesetz und die neu geschaffene Behörde auf die Dauer nun doch zur Folge haben, dass freier Printjournalismus nicht mehr möglich ist in Ungarn, halten Sie es dann auch für denkbar, auch aus dem Markt auszusteigen?

Hombach: In Ungarn beobachten wir die Lage sehr aufmerksam. Ich möchte das nicht vorwegnehmen, welche Entscheidung wir treffen, aber ich habe bei anderer Gelegenheit gesagt, unser Investment prüfen wir ständig und immerwährend und fragen uns, ob in bestimmten Märkten die Präsenz vernünftig ist oder nicht. Wir sind ja nicht festgelegt. Wie alle, die ihren eigenen privaten Geschäften nachgehen, können wir da auch frei entscheiden.

Kassel: Bodo Hombach, einer der beiden Geschäftsführer der WAZ Mediengruppe, über die Schwierigkeiten mit der Pressefreiheit in Südosteuropa. Herr Hombach, ich danke Ihnen sehr für das Gespräch!

Hombach: Ich danke für das Interesse!
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