Charly Delwart: "Leben in Zahlen"

Aufforderung zum Innehalten

05:56 Minuten
Cover von Charly Delwarts Buch "Leben in Zahlen".
© Friedenauer Presse

Charly Delwart

Aus dem Französischen von Milena Adam

Leben in ZahlenFriedenauer Presse, Berlin 2022

348 Seiten

26,00 Euro

Von Gerrit Stratmann · 03.08.2022
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Charly Delwart setzt mittels Zahlen sein Leben ins Verhältnis zum großen Ganzen. Das ist verblüffend oft überraschend, witzig, seltsam oder intim. Und regt die Lesenden dazu an, auch selbst Bilanz zu ziehen.
„Leben in Zahlen“ ist ein Buch-Experiment. Es besteht zur Hälfte aus einfachen Diagrammen und Tabellen und zur anderen Hälfte aus kurzen Anekdoten und Anmerkungen. Der belgische Autor Charly Delwart setzt sein Leben ins Verhältnis zum großen Ganzen. Nicht mit Worten, sondern mit einprägsamen Grafiken, die beim Leser unweigerlich Fragen aufwerfen.

Listen mit geringem Aussagewert

Ein Hauch von Vergänglichkeit weht aus den Seiten dieses Buches. Ein Diagramm vergleicht die Zahl der heute noch lebenden Spezies (ca. 1,9 Millionen) mit der Zahl der Spezies, die insgesamt auf unserem Planeten gelebt haben (ca. 190 Millionen). Oder das Alter des Autors (44 Jahre) mit der durchschnittlichen Lebenserwartung eines Mannes in der westlichen Welt (79,4 Jahre).
Zwischen Listen mit geringem Aussagewert (Haarfarbe der Frauen, mit denen der Autor ausgegangen ist) finden sich andere, die zum Grübeln anregen, weil sie auf tiefer liegende Wahrheiten hinzudeuten scheinen: das Verhältnis von Intelligenzquotient und CO2-Ausstoß etwa. Oder die Auswirkungen von Krieg, Hunger, Dürre, Überschwemmung, Diktatur und Verfolgung auf das Leben eines durchschnittlichen EU-Bürgers wie Charly Delwart, der von all dem nicht betroffen ist, während er daneben den langsamen Untergang von Holland Island beschreibt.

Zahlen stellen Fragen

In den besten Momenten verschmelzen die Daten zu geradezu zen-haften Erkenntnissen, etwa dass Glück nicht mit der Größe der eigenen Wohnung korreliert, oder die Begegnung mit einem Tintenfisch unter Wasser mehr Freude auslöst, als einen Tintenfisch zu essen.
Ein Datenanalyst oder Psychologe könnte aus den Grafiken und Informationen, die Delwart in dieser Zahlen-Autobiografie über sich preisgibt, vermutlich weitreichende Schlüsse auf die Persönlichkeit des Autors ziehen. Aber interessanter als die Antworten, die Delwart gibt, sind eigentlich die Antworten, die man selbst bei der Lektüre finden muss: Wie ist das in meinem eigenen Leben? Wer bin ich - im Vergleich?
Diese Aufforderung, Fragen zu stellen, zieht sich durch das gesamte Buch. Nicht alle Fragen führen zu wichtigen Erkenntnissen. Manche Zusammenhänge sind banal. Aber manche auch überraschend, witzig, seltsam oder intim.

Ein sehr persönliches Buch

„Leben in Zahlen“: Das hätte auch eine trockene Sammlung von Durchschnittswerten oder Minima/Maxima aus der biologischen Artenvielfalt sein können. Stattdessen ist es ein überaus persönliches Buch. Nicht nur, weil es viel über den Autor verrät, sondern weil es jeden Lesenden unwillkürlich dazu anregt, sich selbst zu den genannten Zahlen ins Verhältnis zu setzen.
Es ist eine Aufforderung zum Innehalten, zum Bilanzieren. Unweigerlich wirft es dabei mehr Fragen auf, als es Antworten gibt. Deshalb ist diese reizvolle Datensammlung auch nicht so sehr ein Buch für diejenigen, die auf der Suche nach verfügbarem Wissen sind, sondern vor allem für Liebhaber assoziativer Gedankengänge.
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