Charlie English: "Die Bücherschmuggler von Timbuktu"

Wie heldenhafte Gelehrte die Taliban austricksten

Im Vordergrund das Cover von "Die Bücherschmuggler von Timbuktu", im Hintergrund Handschriften der Ahmed Baba Bibliothek in Timbuktu.
Unter Lebensgefahr haben Gelehrte historisch wertvolle Schriften vor den Taliban gerettet. Charlie English erzählt in "Die Bücherschmuggler von Timbuktu" ihre Geschichte. © Hoffmann und Campe/ imago/ Chromorange
Von Eva Hepper · 13.06.2018
Als die Taliban nach Timbuktu kamen, haben Gelehrte die Gefahr gleich erkannt. Tausende historische Schriften mussten vor der Zerstörung gerettet werden - unter Lebensgefahr. Charlie Englishs "Die Bücherschmuggler von Timbuktu" macht daraus einen spannenden Krimi.
Jahrhunderte lang klang allein der Name zumindest in europäischen Ohren märchenhaft: Timbuktu. Händler und Karawanenführer hatten seit jeher von der westafrikanischen Stadt berichtet, von ihrem unermesslichen Reichtum, ihren Hausdächern aus Gold. Überprüfen ließ sich das erst 1826, als mit Alexander Gordon Laing der erste Europäer seinen Fuß in die sagenumwobene Stadt setzte. In seinem Bericht jedoch tauchte kein Edelmetall auf, sondern ein anderer Schatz. Der Brite schrieb, "er sei vollauf damit beschäftigt, Aufzeichnungen zu suchen, die reichlich vorhanden sind".
Wie man viel später erfuhr - Laing blieb im Dschungel verschollen, nur sein Brief erreichte Europa - handelte es sich dabei um eine Vielzahl vorrangig arabischer Texte über Astronomie, Medizin, Geschichte, Religion und Poesie sowie Rechtsdokumente. Sie befanden sich im Privatbesitz verschiedener Familien. Erst 1973 wurde mit Unterstützung der UNESCO ein eigenes Forschungsinstitut zur Aufarbeitung und Sammlung dieser Schriften eingerichtet. Seither nennen Experten die Manuskripte von Timbuktu in einem Atemzug mit Schriften wie den Rollen von Qumran.

Charlie English schafft einen wahren Thriller

Die Weltöffentlichkeit erfuhr von deren Bedeutung so richtig erst 2012, als Islamisten drohten, Timbuktus Baudenkmäler und die berühmten Texte zu vernichten. Es folgte eine spektakuläre Rettungsaktion durch einheimische Gelehrte, ein "gigantischer Bücherschmuggel", wie Charlie English in seinem minutiös recherchierten Buch schreibt.
Der ehemalige Auslandsredakteur von "The Guardian" erzählt einen wahren Thriller. Noch während er seine Helden vorstellt - etwa die Bibliothekare Abdel Kader Haidara und Ismael Diadié - lässt er die Dschihadisten in die Stadt einziehen. Timbuktu fällt "in Schockstarre", nicht aber Haidara und Kollegen. Man verfolgt atemlos, wie sie die Gefahr erkennen und wie geschickt und verschwiegen die Hüter der Bücher vorgehen; von der Akquirierung internationaler Gelder, über die Beschaffung unzähliger Seekisten und Fässer bis hin zum Abtransport Tausender Schriften - Nacht für Nacht unter Lebensgefahr ins nahegelegene Bamako oder andere Verstecke. Tatsächlich sind den Islamisten bis zur Befreiung Timbuktus 2013 nur wenige Dokumente zum Opfer gefallen.

Wie viel ist dran an der Legende?

Was für ein Buch! Charlie English steht in bester britischer Erzähltradition und schreibt fesselnd und sachkundig. Hervorragend ist auch seine Idee, dieses moderne Abenteuer mit der Geschichte der Stadt, ihrer Manuskripte und Mythen zu verknüpfen. Insbesondere die europäische Suche nach dem afrikanischen El Dorado gerät ihm zum Glanzstück.
Ganz zum Schluss rückt der Autor noch mit einem Verdacht heraus: Er vergleicht die Berichte aller am Schmuggel Beteiligter und schließt, dass die reale Zahl der Manuskripte kleiner war, als behauptet, und auch manche Nachtfahrt vielleicht erfunden. Schmälern würde das den Verdienst der Retter jedoch nicht, so English. Vielmehr passe es zur legendenumwobene Geschichte Timbuktus. Und das trifft wiederum auch auf sein eigenes Buch zu! Grandios!

Charlie English: Die Bücherschmuggler von Timbuktu. Von der Suche nach der sagenumwobenen Stadt und der Rettung ihres Schatzes
Übersetzt von Heike Schlatterer
Hoffmann & Campe, Hamburg 2018
432 Seiten, 24,00 Euro

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