Charakteristische Stirnfalte

Von Jens Brüning · 03.03.2008
In der Berliner Charité ist eine Rekonstruktion des Kopfes von Johann Sebastian Bach vorgestellt worden. Nach forensischen Methoden und mithilfe von Spezialcomputern wurde Bachs Gesicht modelliert. Bei den Augen griff die Spezialistin Caroline Wilkinson jedoch auf eine Expertise des Bachhauses zurück.
Zeitlebens hat er nicht in solchem Scheinwerferlicht gestanden. Die weiße Rosshaarperücke würde ihm schnell lästig, das Blitzlichtgewitter seine Augen reizen. Aber der Kopf, der da im Anatomiesaal der Charité zu Berlin-Mitte auf grünem, sorgsam drapiertem Stoff steht, ruckt nicht, die leicht vorstehende Unterlippe bleibt fest mit der dünnen Oberlippe verbunden. Die Augen zucken nicht, auch wenn die vielen Fotografen und Kameraleute im engen Rund des Hörsaalparketts noch so viel blitzen und leuchten.

So also hat er ausgesehen: Johann Sebastian Bach, sächsischer Hofcompositeur, Thomaskantor zu Leipzig, Vater begabter Kinder und musikalisches Weltkulturerbe. Der Kopf, rekonstruiert nach gegenwärtig bestem Wissen und Gewissen, wuchs in Dundee/Schottland aus dem Computer der forensischen Anthropologin Caroline Wilkinson. Die beschäftigt sich seit 15 Jahren mit der Rekonstruktion menschlicher Gesichter auf der Basis von Schädelfunden und gilt als weltweit führende Expertin.

"The reconstruction itself took two days. But everything else takes much longer. So it took a long time to scan the skull, maybe a week, and it took a couple of weeks for the animator to put on the skin texture and eye colour and hair. So all in all it's probably about a month's work."

Zwei Tage brauchte Caroline Wilkinson für Bachs Kopf. Die Vorarbeiten, also das Einlesen der Maße des Schädels in den Computer, die virtuelle Hinzufügung von weichem und festem Gesichtsgewebe nach wissenschaftlich ausgeklügelten Erkenntnissen, die Färbung der Haut und der Augen dauerten insgesamt einen Monat. Grundlage war unter anderem der Bronzeabguss des Schädels von Johann Sebastian Bach, der Ende des neunzehnten Jahrhunderts für die erste medizinische Gesichtsrekonstruktion überhaupt herangezogen worden war. Damals entwarfen der Leipziger Anatom Wilhelm His und der Bildhauer Carl Ludwig Seffner eine Bach-Büste, die dann als Vorbild für das im Mai 1908 enthüllte Bach-Denkmal vor der Thomaskirche in Leipzig diente. Hat man damals überhaupt den echten Bach exhumiert? Jörg Hansen, Direktor des Bachhauses in Eisenach:

"Es gibt fünf Indizien für die Richtigkeit. Das eine: Die Lage vor dem Südeingang der Johanniskirche, das Alter, anhand der Zähne bestimmt, etwa sechzig Jahre, der Unterbiss, der auf dem Gemälde und einem späteren Kupferstich sehr deutlich sichtbar ist, dann die Tatsache, dass die Schädelform zum Gemälde passt und schließlich diese Organistenkrankheit, die Verknöcherungen, die man an den Fersen und am Becken festgestellt hat, und die besonders bei Organisten, bei Leuten, wo die Beine frei schwingen müssen, auftritt, das heißt, all das zusammen, denke ich, kann man sagen: Es wird schon Bach sein."

Von Johann Sebastian Bach gibt es nur ein Gemälde, das als authentisch anerkannt ist. Elias Gottlob Haussmann malte es 1746 in Leipzig. Im Bachhaus zu Eisenach wird vom 21. März an eine Sonderausstellung mit dem Titel "Bach im Spiegel der Medizin" zu sehen sein. Außer den im langen Organistenleben erworbenen Beschwerden konnte Johann Sebastian Bach mit 65 Jahren nicht mehr gut sehen. John Taylor, ein reisender Quacksalber, kam da anscheinend gerade recht:

"Goldene Instrumente hatte er, mit Flugblättern hat er sich angekündigt, öffentliche Vorlesungen gehalten, und so auch Bach überzeugt, der ja immer sehr wagemutig war, Neuem sehr aufgeschlossen, sich der Operation zu unterziehen, und leider mit dem tragischen Ergebnis: Vorher konnte er wohl noch ein wenig sehen, hinterher hat er nichts mehr gesehen, und an den Folgen der Operation ist er gestorben."

Bach und die Medizin, das war auch postum ein Fall. 1894 wurde Bachs Grab geöffnet, der Schädel vollständig zerlegt, mit deutscher Gründlichkeit auch das Schläfenbein herausgesägt und untersucht: ein besonders großes Gehör wurde entdeckt.

Ob der nun mit forensischen Methoden rekonstruierte Johann Sebastian Bach gütig blickt, das war im Presse-Getümmel im Anatomie-Hörsaal der Charité nicht recht zu erkennen. Die Stirnfalte, die schon auf dem Gemälde von Elias Gottlob Haussmann so charakteristisch ist, weist auf Skepsis eher, denn auf Güte. Bei der Augenfarbe - blau-grau mit braunem Rand - griff Caroline Wilkinson auf die Expertise des Bachhauses zurück.

"The eye colour was suggested by the Bachhaus museum as being grey-blue with a brown circle on the outer edge of the iris."