Chantal Mouffe: "Für einen linken Populismus"

Für mehr Affekt und Leidenschaft in der Politik

Cover von Chantal Mouffe "Für einen linken Populismus", im Hintergrund ist ein Plakat mit der Aufschrift "Make Democracy not Neoliberalism" auf einer Demonstration zu sehen
"Wir" gegen "die", das heißt bei Chantal Mouffe: das "Volk" gegen "Oligarchen". © Surhkamp / imago/Lindenthaler / Collage: DLF Kultur
Von Christian Rabhansl · 10.09.2018
#Aufstehen - das wünscht sich die Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht, die zu einem linken Bündnis aufgerufen hat. Kritiker werfen ihr vor, eine "Linkspopulistin" zu sein. Aus Sicht der belgischen Politologin Chantal Mouffe wäre das ein Kompliment.
Die liberale Demokratie steckt in der Krise und Rechtspopulisten gewinnen quer durch Europa an Einfluss. Diese Erkenntnis ist nicht neu, und deshalb will Chantal Mouffe nicht einfach ein weiteres Buch auf diesen Stapel der Populismusforschung legen. Die belgische Politikwissenschaftlerin und Londoner Professorin mag sich auch nicht an einer "fruchtlosen akademischen Debatte über das 'wahre Wesen' des Populismus" beteiligen. Das schreibt sie gleich zu Beginn ihres Buches und stellt klar: Was sie vorhat, ist nicht weniger als eine politische Intervention. Aus ihrer eigenen Parteilichkeit will sie keinen Hehl machen.
Und tatsächlich: Was auf den gut 100 Seiten folgt, ist keine Warnung vor Populismus, sondern eine Handlungsaufforderung an die politische Linke, sich manche Methode rechter Populisten zum Vorbild zu nehmen. Gleich zu Beginn des Buches steht deshalb ein Rehabilitierungsversuch, schließlich hat der Begriff des "Populismus" bislang einen negativen Klang, und zwar quer durchs politische Spektrum. Mouffe hält das für ein bewusstes Missverständnis, um Kritik kleinzuhalten: Wer auch immer den politischen Status Quo infrage stelle, werde mit dem Etikett "Populist" als rechtsradikal oder sonst extremistisch diskreditiert.

Populismus als Methode: "Wir gegen die"

Mouffe selbst hält Populismus dagegen für ein zunächst neutrales Handwerkszeug, um die Massen politisch zu mobilisieren: "Wir" gegen "die". Das Volk gegen seine Gegner.
Grundlagen dieses Freund/Feind-Denkens leiht sie sich bei Carl Schmitt (ohne aber dessen Absage an die plurale Demokratie zu teilen). "Wir" gegen "die" – das weckt Emotionen, und auch das ist für Mouffe kein Nachteil. Im Gegenteil: Linker Populismus müsse erkennen, wie wichtig Affekte und Leidenschaften als treibende Kraft in der Politik seien. Es sei ein großer Fehler, dieses Feld rechten Populisten zu überlassen.
Nur: Gegen wen werden sich die Affekte wenden? Wer sind "die" und wer "das Volk"? Dass völkisches, oft rassistisches Denken in diesem Gegensatzpaar von vorneherein angelegt sein dürfte, das haben etliche Politikwissenschaftler in jenen "fruchtlosen akademischen Debatten" klar belegt, an denen Mouffe sich nicht beteiligen will. Sicher, sie ist eine Fachfrau auf ihrem Gebiet, sie forscht seit Jahrzehnten zu Hegemonie, zu Marxismus und Populismus.
Die Ungeduld aber, mit der sie in diesem Buch jeden Kritikpunkt und jede Skepsis auf "Missverständnisse", "mangelnde Einsicht", "Bequemlichkeit" oder sogar "die Weigerung zu verstehen" zurückführt, wirkt wenig souverän.

Wie konstruiert man sich "das Volk"?

Natürlich sind die Gefahren des Populismus ihr nicht egal. Mouffe lehnt die Art und Weise, wie rechte Populisten sich "das Volk" konstruieren, nämlich völkisch, fremdenfeindlich, oft rassistisch, deutlich ab. Ihr linker Populismus soll "das Volk" stattdessen demokratisch konstruieren – durch gemeinsame Interessen, durch einen gleichwertigen Kampf für Arbeiterklasse, Feminismus, Umwelt und LGBT-Rechte.
Gegner eines linken Populismus sollen deshalb nicht Migranten sein, sondern neoliberale Oligarchen. Denn das ist und bleibt ihr großes Ziel: den neoliberalen Kapitalismus nicht nur menschlicher zu gestalten, sondern zu beseitigen. Und den Aufstieg der Rechtspopulisten in Europa führt Mouffe darauf zurück, dass spätestens seit Blair und Schröder die Sozialdemokratie ihre fundamentale Opposition aufgegeben und eine neoliberale Wirtschaftsordnung als Schicksal angenommen habe.

Ein riskantes Spiel

Um nicht missverstanden zu werden: Bei aller Radikalität und aller "Systemwechsel"-Rhetorik betont Mouffe stets, die liberale Demokratie stärken zu wollen. Sie wolle die EU in ein demokratischeres Europa verwandeln. Sie strebe kein "populistisches Regime" an.
Trotzdem. Ist es wirklich bloß ein Missverständnis, wenn man fragt, ob populistische Methoden nicht fast zwangläufig zu einem populistischen Ergebnis führen? Ob, wer "das Volk" gegen "Oligarchen" in Stellung bringt, nicht auch jene Antisemiten anspricht, die sich im Kampf gegen ein vermeintliches weltweites Finanzjudentum wähnen? Und ob wer vom politischen Affekt mehr hält als vom politischen Konsens, sich über wachsende Ressentiments wirklich wundern sollte? Es ist ein riskantes Spiel, dass Mouffe in diesem Buch vorschlägt.

Chantal Mouffe: Für einen linken Populismus
Aus dem Englischen von Richard Barth
Suhrkamp, Berlin 2018
111 Seiten, 14 Euro

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