Chanson-Punkerin und DJane
Anika Johannsen ist ein musikalisches Chamäleon. Sie singt und geigt in verschiedenen Bands mit komplett unterschiedlichen Musikrichtungen und legt außerdem als "Miss Vergnügen" Platten auf. Sie wohnt in einer der letzten Wagenburgen Berlins.
"Hier wohnt mein Nachbar, der gerade eine Dachterrasse baut mit einer Wendeltreppe innen drinnen. Und das ist meins: Meine Katze, Sofa, Dach – mein neuer Raum!"
Anikas blau bemalter Wohnwagen hat ein Plastik-Vordach bekommen und damit ein Wohnzimmer. Zumindest im Sommer. Eine ausrangierte Kommode dient als Bar, links davon steht der Kühlschrank, der passte nicht mehr rein in den Wagen. So wie die Herdplatte.
"Aber ich koch ja auch nicht gern, und meistens koche ich mir eh nur Nudeln. Meine Mutter war noch nie hier, die hat sich noch nie hergetraut. Die dachte eine ganze Weile, das ist so die nächste Stufe nach einem Schuhkarton. Aber inzwischen sieht sie das auch anders, inzwischen hat sie ein paar Fotos gesehen."
Die zeigen neun Quadratmeter wildes Puppenstuben-Flair, mit einem Allesbrenner in der Mitte. Das Bett gerahmt von Büchern, CDs und Noten, von Klamotten auf Stühlen, an Haken, auf Bügeln. An der Holzwand in Reihe hochhackige Schuhe. Daneben bunte Perücken und auch Schlipse und Zylinder – was Anika so braucht für die vielen Facetten, in denen sie sich musikalisch präsentiert. Und auch eine alte Elektronik-Orgel hat noch Platz.
"Meine Universum Duo!Ja, ein Wahnsinnsding. Ach, sie ist wunderbar. Toll ist ja diese Rhythmusmaschine, auf die fahre ich ja total ab, und das hier"
Anika ist in ihrem Element und was mit Herumprobieren beginnt klingt später zum Beispiel so (Orgelmusik setzt ein, Intro zum Song), wenn sie sich einen ihrer Hüte aufsetzt, einen Schnurrbart anmalt und mit eigenen Liedern als "Senor Depressivo" auftritt.
"Tausend wunderbare Stunden, tausend Stunden voller Glück, habe ich bei Dir gefunden, nie mehr kommt die Zeit zurück."
Und auch das ist Anika. Frontfrau der Band GpunktEFFEKT. Die halblangen Haare gern grün oder orangeblond gefärbt, im Pailletten-Kleid, mit Zigarette und frecher Klappe. Die Musikrichtung nennt sie Chanson-Punk.
"Now I'am sitting on a couch. I don't wanna work for money. But everybody sends me bills, I just wanna drink my tea – with honey!" (Anika mit GpunktEFFEKT)
"Mit 13 hab ich einfach gemerkt zum ersten Mal, dass die meisten Leute anders sind als ich. Und dass ihnen an Spaß nicht so viel zu liegen scheint."
Sie ist aufgewachsen in Heide, der Hauptstadt im Dithmarschen, wo nach ihrer Aussage im Wesentlichen Kühe und Schafe leben. Als Tochter gutbürgerlicher Eltern lernt sie Klavier und spielt Geige im Orchester. Sie schreibt, zeichnet, vor allem aber singt sie. Jazzsongs, lauthals, wenn zu Hause keiner da ist. Und eigentlich will sie immer nur weg. Nach dem Abitur, das sie fast verschlafen hätte, reist sie mit ihrem Zahnarzt nach Kolumbien. In den Slums behandelt er die Zähne der Ärmsten - Anika aber merkt, das das Soziale nicht "ihr's" ist. Und was könnte "ihr's" sein? Das wollen auch die Eltern wissen.
"Ich kam wieder, sie haben mich vom Flughafen abgeholt, wir sind essen gegangen und gleich als erstes die Frage: Und? Was sind deine Pläne? Was hast du jetzt vor? Was willst du jetzt studieren? Mir war das auf jeden Fall viel zu viel, gleich so dieser Druck und jetzt muss ich irgendwas Vernünftiges machen! Und dann haben wir uns angeschrien und dann bin ich weggerannt."
Mit ihrer Geige unterm Arm landet sie im Szene-Berlin der 90er-Jahre. Anika lebt in besetzten Häusern und in verschiedenen WGs, sie lernt Musiker kennen und andere Kreative. Auch im Drehen von Kurzfilmen probiert sie sich aus und wird ermuntert, ihre vielen Platten vom Flohmarkt auch mal aufzulegen. Mit Erfolg. Seit Jahren bespielt sie nun als DJane "Miss Vergnügen" regelmäßig eine der letzten angesagten Hinterhofbars am Berliner Hackeschen Markt. Ansonsten heißt es - nach dem Ausschlafen - Proben, Texte schreiben, singen. In ihrer Band "Stan and Laura" klingt sie dabei ein bisschen wie damals Nico von Velvet Underground.
Sie geht ihren Weg neben dem Mainstream. Wenn die Einkünfte nicht reichen, stockt sie auf mit Hartz IV, ansonsten aber fühlt sie sich frei. Noch. Denn die Luft wird dünner. An ihrem Arbeitsplatz in der Bar "Eschloraque" kämpft sie neuerdings mit dem Ordnungsamt:
"Weil dort irgendwelche Leute hingezogen sind, die denken, am Hackeschen Markt ihre Ruhe haben zu können. Mitten in der Mitte! Dass das immer noch möglich ist, dass es kein Gesetz gibt gegen Kiez-Zerstörung – das ärgert mich doch ungemein. Ich weiß auch gar nicht, wen ich noch einladen soll. Welche Band hat denn kein Schlagzeug?"
Ihre langen Beine unter dem kurzen Kleid stecken in roten knöchelhohen Schnürschuhen. Mit ihren 36 Jahren ist Anika eine schöne, trotzige Frau. Regelmäßig sitzt sie bei einem Berliner Maler Modell – er sagt, ihre Ausstrahlung inspiriert ihn einfach. Und Anikas Lebensart im Hier und Jetzt imponiert in gewisser Weise auch ihrer Mutter.
"Jetzt kam sogar zwischendurch mal der Satz: 'Manchmal haben wir das Gefühl, du bist die Einzige, die es richtig gemacht hat.'."
"Der Strand ist weiß, das Meer türkis, 'n Joint wär zwar süß, aber doch nicht so wichtig, denn die Sonne scheint, und die Farben sind prächtig, und ich bin mächtig ... verliebt." (Anika, Song "Cuba Liebe")
Anikas blau bemalter Wohnwagen hat ein Plastik-Vordach bekommen und damit ein Wohnzimmer. Zumindest im Sommer. Eine ausrangierte Kommode dient als Bar, links davon steht der Kühlschrank, der passte nicht mehr rein in den Wagen. So wie die Herdplatte.
"Aber ich koch ja auch nicht gern, und meistens koche ich mir eh nur Nudeln. Meine Mutter war noch nie hier, die hat sich noch nie hergetraut. Die dachte eine ganze Weile, das ist so die nächste Stufe nach einem Schuhkarton. Aber inzwischen sieht sie das auch anders, inzwischen hat sie ein paar Fotos gesehen."
Die zeigen neun Quadratmeter wildes Puppenstuben-Flair, mit einem Allesbrenner in der Mitte. Das Bett gerahmt von Büchern, CDs und Noten, von Klamotten auf Stühlen, an Haken, auf Bügeln. An der Holzwand in Reihe hochhackige Schuhe. Daneben bunte Perücken und auch Schlipse und Zylinder – was Anika so braucht für die vielen Facetten, in denen sie sich musikalisch präsentiert. Und auch eine alte Elektronik-Orgel hat noch Platz.
"Meine Universum Duo!Ja, ein Wahnsinnsding. Ach, sie ist wunderbar. Toll ist ja diese Rhythmusmaschine, auf die fahre ich ja total ab, und das hier"
Anika ist in ihrem Element und was mit Herumprobieren beginnt klingt später zum Beispiel so (Orgelmusik setzt ein, Intro zum Song), wenn sie sich einen ihrer Hüte aufsetzt, einen Schnurrbart anmalt und mit eigenen Liedern als "Senor Depressivo" auftritt.
"Tausend wunderbare Stunden, tausend Stunden voller Glück, habe ich bei Dir gefunden, nie mehr kommt die Zeit zurück."
Und auch das ist Anika. Frontfrau der Band GpunktEFFEKT. Die halblangen Haare gern grün oder orangeblond gefärbt, im Pailletten-Kleid, mit Zigarette und frecher Klappe. Die Musikrichtung nennt sie Chanson-Punk.
"Now I'am sitting on a couch. I don't wanna work for money. But everybody sends me bills, I just wanna drink my tea – with honey!" (Anika mit GpunktEFFEKT)
"Mit 13 hab ich einfach gemerkt zum ersten Mal, dass die meisten Leute anders sind als ich. Und dass ihnen an Spaß nicht so viel zu liegen scheint."
Sie ist aufgewachsen in Heide, der Hauptstadt im Dithmarschen, wo nach ihrer Aussage im Wesentlichen Kühe und Schafe leben. Als Tochter gutbürgerlicher Eltern lernt sie Klavier und spielt Geige im Orchester. Sie schreibt, zeichnet, vor allem aber singt sie. Jazzsongs, lauthals, wenn zu Hause keiner da ist. Und eigentlich will sie immer nur weg. Nach dem Abitur, das sie fast verschlafen hätte, reist sie mit ihrem Zahnarzt nach Kolumbien. In den Slums behandelt er die Zähne der Ärmsten - Anika aber merkt, das das Soziale nicht "ihr's" ist. Und was könnte "ihr's" sein? Das wollen auch die Eltern wissen.
"Ich kam wieder, sie haben mich vom Flughafen abgeholt, wir sind essen gegangen und gleich als erstes die Frage: Und? Was sind deine Pläne? Was hast du jetzt vor? Was willst du jetzt studieren? Mir war das auf jeden Fall viel zu viel, gleich so dieser Druck und jetzt muss ich irgendwas Vernünftiges machen! Und dann haben wir uns angeschrien und dann bin ich weggerannt."
Mit ihrer Geige unterm Arm landet sie im Szene-Berlin der 90er-Jahre. Anika lebt in besetzten Häusern und in verschiedenen WGs, sie lernt Musiker kennen und andere Kreative. Auch im Drehen von Kurzfilmen probiert sie sich aus und wird ermuntert, ihre vielen Platten vom Flohmarkt auch mal aufzulegen. Mit Erfolg. Seit Jahren bespielt sie nun als DJane "Miss Vergnügen" regelmäßig eine der letzten angesagten Hinterhofbars am Berliner Hackeschen Markt. Ansonsten heißt es - nach dem Ausschlafen - Proben, Texte schreiben, singen. In ihrer Band "Stan and Laura" klingt sie dabei ein bisschen wie damals Nico von Velvet Underground.
Sie geht ihren Weg neben dem Mainstream. Wenn die Einkünfte nicht reichen, stockt sie auf mit Hartz IV, ansonsten aber fühlt sie sich frei. Noch. Denn die Luft wird dünner. An ihrem Arbeitsplatz in der Bar "Eschloraque" kämpft sie neuerdings mit dem Ordnungsamt:
"Weil dort irgendwelche Leute hingezogen sind, die denken, am Hackeschen Markt ihre Ruhe haben zu können. Mitten in der Mitte! Dass das immer noch möglich ist, dass es kein Gesetz gibt gegen Kiez-Zerstörung – das ärgert mich doch ungemein. Ich weiß auch gar nicht, wen ich noch einladen soll. Welche Band hat denn kein Schlagzeug?"
Ihre langen Beine unter dem kurzen Kleid stecken in roten knöchelhohen Schnürschuhen. Mit ihren 36 Jahren ist Anika eine schöne, trotzige Frau. Regelmäßig sitzt sie bei einem Berliner Maler Modell – er sagt, ihre Ausstrahlung inspiriert ihn einfach. Und Anikas Lebensart im Hier und Jetzt imponiert in gewisser Weise auch ihrer Mutter.
"Jetzt kam sogar zwischendurch mal der Satz: 'Manchmal haben wir das Gefühl, du bist die Einzige, die es richtig gemacht hat.'."
"Der Strand ist weiß, das Meer türkis, 'n Joint wär zwar süß, aber doch nicht so wichtig, denn die Sonne scheint, und die Farben sind prächtig, und ich bin mächtig ... verliebt." (Anika, Song "Cuba Liebe")