Chancengleichheit – Wer hat sie nötiger, die Frauen oder die Männer?

Moderation: Gisela Steinhauer |
Am 8. März wird der Internationale Frauentag begangen – zum 99. Mal! 1911 waren die zentralen Forderungen gleicher Lohn und gleiche Arbeitschancen. Knapp 100 Jahre später sieht die Bilanz nach wie vor ernüchternd aus. "Frauen in Deutschland verdienen im Durchschnitt 23,2 Prozent weniger als Männer. Der EU-Durchschnitt liegt bei 18 Prozent. Das ist inakzeptabel", mahnt die neue EU-Kommissarin für Justiz und Grundrechte, Viviane Reding.
Die Gründe sind hinreichend bekannt: Die hohe Teilzeitquote von Frauen, der hohe Frauenanteil im Niedriglohnbereich. Hinzu kommt, dass Frauen – trotz sehr guter Ausbildung – kaum in Führungspositionen vertreten sind.

Eine Frau, die den Weg an die Spitze geschafft hat, ist Jutta Allmendinger. Die engagierte und streitbare Soziologin und Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung (WZB) prangert diese Ungleichbehandlung seit Langem an.

Dennoch würde die Soziologieprofessorin den Frauentag am liebsten abschaffen. Die Konfrontation Frauen gegen Männer gehöre der Vergangenheit an. Wahre Chancengleichheit könne nur erzielt werden, wenn sich die Rollenverteilung grundlegend ändert – für beide Geschlechter.

Es seien eben immer noch mehrheitlich die Frauen, die zu Hause bleiben, wenn Kinder kommen. Die Gesellschaft fuße auf dem Ein-Ernährer-Modell, und der sei eben nach wie vor der Mann. "Dieses Ein-Ernährermodell hat sich fest gefräst".

2008 sorgte das WZB mit der Studie "Frauen auf dem Sprung" für Furore, in der junge Frauen nach ihren Lebensentwürfen befragt wurden.

"Junge deutsche Frauen strotzen vor Selbstbewusstsein", so die Analyse von Jutta Allmendinger. Für 90 Prozent der Befragten sei es wichtig, auf eigenen Beinen zu stehen. Sie wollen Verantwortung in Beruf und Gesellschaft übernehmen, Kinder und Job vereinbaren.

"Noch vor einigen Jahren stellten sich Frauen bewusst die Frage, ob sie Kinder haben oder Karriere machen wollen. Das ist vorbei, heute wollen sie selbstverständlich beides, übrigens unabhängig von ihrem Bildungsniveau."

Und sie wollen einen Mann und Partner, der dieses akzeptiert, der Aufgaben im Haushalt übernimmt und sich ebenfalls um die Kinder kümmert.

"Wollen die neuen Frauen wirklich die neuen Männer", fragt indes der Soziologe und Politikwissenschaftler Thomas Gesterkamp. Er bezweifelt das neue Selbstbewusstsein der jungen Frauen. Spätestens, wenn sie Mütter würden, wünschten sich viele dann doch den Ernährer.

Der Autor hat mehrere Bücher über das Selbstbewusstsein und die Rolle der Männer geschrieben. In "Die Krise der Kerle" analysiert er die Erosion des traditionellen Männerbildes:

"Die Krise besteht darin, dass sich drei wichtige Säulen von Männlichkeit auflösen: einmal die Rolle des Ernährers, die durch Arbeitslosigkeit und prekäre Arbeitsverhältnisse bedroht ist. Dann die Rolle des Beschützers, die nicht mehr so wichtig ist, weil wir uns glücklicherweise nicht mehr permanent im Krieg befinden und in keinem Krisengebiet leben. Und die Männer sind keine alleinigen Bestimmer über die gesellschaftlichen Werte mehr, Frauen sind genau so gut ausgebildet. Dadurch entsteht eine gewisse Ratlosigkeit bei den Männern."

Viele Männer wollten gern - ebenso wie die Frauen - Familie und Beruf vereinbaren. Sie seien aber benachteiligt, wenn es um flexible Arbeitszeiten gehe. Die Teilzeitquote deutscher Männer liege mit 5 bis 7 Prozent weit hinter anderen Ländern zurück – in den Niederlanden zum Beispiel liege sie bei 25 Prozent.

Der Männerforscher gibt aber auch zu, dass bei vielen seiner Geschlechtsgenossen ein "Unentbehrlichkeitswahn" vorherrsche. Viele Männer seien froh, nach der zweimonatigen Elternzeit wieder in die Arbeitswelt zurückkehren zu können.

Diesen Unentbehrlichkeitswahn gebe es auch bei den "Dinosaurier-Dads", den traditionellen Chefs, die nichts anderes gelten lassen als den Mann als Vollzeitarbeiter und die auch alles daran setzten, dieses patriarchale System aufrechtzuerhalten.

"Ich höre oft von Männern 'Mein Chef macht das nicht mit'. Gerade in Krisenzeiten muss man als Mann schlichtweg Mut haben, zum Vorgesetzten zu gehen und zu sage: 'Ich möchte auf Teilzeit gehen oder meine Stelle reduzieren'. Oder 'ich möchte keinen Job machen, der nur mit 100 Kilometernm Pendeln zu realisieren ist, weil ich mich mehr meinem Kind widmen will'. Da holt man sich schnell eine blaue Nase."

"Chancengleichheit – Wer hat sie nötiger, die Frauen oder die Männer?"
Darüber diskutiert Gisela Steinhauer heute gemeinsam mit Jutta Allmendinger und Thomas Gesterkamp. Hörerinnen und Hörer können sich beteiligen unter der Telefonnummer 00800 / 2254 2254 oder per E-Mail unter gespraech@dradio.de.

Links:
Prof. Dr. Jutta Allmendinger und das WZB
Dr. Thomas Gesterkamp

Literaturhinweise:
Jutta Allmendinger: Frauen auf dem Sprung. Wie junge Frauen heute leben wollen. Die Brigitte-Studie. Pantheon Verlag, München 2009

Thomas Gesterkamp: Die neuen Väter zwischen Kind und Karriere - So kann die Balance gelingen, Herder Verlag, Freiburg 2007. Neuauflage Verlag Barbara Budrich, Opladen 2010

Thomas Gesterkamp: Die Krise der Kerle - Männlicher Lebensstil und der Wandel der Arbeitsgesellschaft, LIT-Verlag, Münster 2004. Neuauflage 2007