Chancen und Grenzen von Gentests
"Googeln in den eigenen Genen - für 999 Dollar", "Das eigene Genom im Web", "Molekulare Wahrsager" - so oder ähnlich reißerisch lauteten die Überschriften, als Ende Januar bekannt wurde, dass erstmals auch Europäer ihr eigenes Erbgut für weniger als 1000 Dollar analysieren lassen können.
Das Angebot der US-amerikanischen Gentech-Firma 23andme – abgeleitet von den 23 Chromosomenpaaren des menschlichen Erbgutes - klingt verlockend: Ein Röhrchen Speichel genügt – und schon kennt der Kunde sein gesundheitliches Risiko: Habe ich ein erhöhtes Diabetesrisiko, bin ich Überträger eines Mukoviszidose-Gens? Trage ich das Brustkrebs-Risiko-Gen BRCA 1 in meinem Erbgut? Alle Kontakte laufen übers Internet – 23andme kooperiert mit der Suchmaschine Google.
"Katastrophal!", lautet kurz und knapp die Reaktion von Prof. Dr. Wolfram Henn. Der Professor für Humangenetik und Ethik in der Medizin leitet die Genetische Beratungsstelle an der Universität des Saarlandes und hat täglich mit Menschen zu tun, die an genetisch bedingten Krankheiten leiden. "Es werden Risiken über die Menschen gekübelt, die sie überhaupt nicht verarbeiten können!"
Gentests dieser Art seien nicht aussagekräftig, "Für die exakte Berechnung eines Krankheitsrisikos, zum Beispiel für erblichen Brustkrebs ist in den meisten Fällen eine komplette Sequenzierung der Risikogene erforderlich." Dieses Angebot sei reine Geschäftemacherei.
Rund 1500 Krankheiten können derzeit per Gentest nachgewiesen werden. Am häufigsten melden sich bei dem Genetiker Patienten, in deren Familien ein erblich bedingtes Krebsrisiko vorherrscht. Mithilfe der Tests kann Wolfram Henn dann feststellen lassen, ob der Betroffene ebenfalls das Krankheitsgen in sich trägt, welches Risiko er somit hat, ebenfalls zu erkranken oder es weiterzuvererben. "Die Durchsetzungskraft eines Krankheitsgens ist unterschiedlich. Wer das Gen der Chorea-Huntington-Krankheit trägt, wird sie kriegen und daran sterben. Frauen, die erblichen Brustkrebs haben, haben ein lebenslanges Risiko von 80 Prozent. Bei Thrombose ist das Risiko um das drei- bis fünffache höher, zu erkranken."
Der Mediziner, der 2007 von der Bundesärztekammer in die "Zentrale Kommission zur Wahrung ethischer Grundsätze in der Medizin und ihren Grenzgebieten" berufen wurde, warnt aber davor, die Gesundheit und Krankheit nur von den Genen abhängig zu machen: "Je mehr man von den Genen versteht, desto mehr wird klar, dass wir nicht davon bestimmt sind." Ob und in welcher Form Krankheiten auftreten, sei auch abhängig von der Lebensweise. Wer genetisch bedingt zum Übergewicht neige, müsse zwar härter gegen überflüssige Pfunde kämpfen. Er könne den Kampf aber durchaus gewinnen. Und er warnt vor etwaigem Missbrauch: "Wir steuern auf eine gen-fixierte Gesellschaft zu. Wenn ich es optimistisch sehe, werden die genetischen Daten als Teil unserer selbst betrachtet, zum Beispiel zur Vorsorge. Wenn ich es pessimistisch sehe, dann steuern wir auf den ´gläsernen Menschen` zu."
Auch Dr. Elke Holinski-Feder sieht die Gen-Analyse per Internet sehr skeptisch. Die Humangenetikerin leitet das Medizinisch-Genetische Zentrum in München, das auf Gentests spezialisiert ist. Auch sie berät Ratsuchende und klärt sie über ihr Krankheitsrisiko auf. Ihre Praxis ist spezialisiert auf genetisch-bedingte Krebserkrankungen. Für sie ist die verantwortungsvolle Beratung das A und O:
"Die Leute kommen her, um einen Gentest machen zu lassen und wollen eigentlich hören ´alles ist gut`. Was ist, wenn es nicht gut ist? Wer kümmert sich anschließend um sie?"
Die Medizinerin teilt die ethischen Bedenken Ihres Kollegen Wolfram Henn. Sie verweist aber auch auf den technischen Fortschritt und die Möglichkeiten, die Gentests bieten. "In 20 Jahren wird des möglich sein, das Genom komplett zu bestimmen von vorn bis hinten und die Daten durch den Computer zu schicken. Zumindest bei den monogenen Erkrankungen wird eine Risikoerkennung möglich sein und damit Empfehlungen, wie wir damit umgehen müssen. Ich könnte mir auch vorstellen, dass es für bestimmte Gruppen ein Risikoscreening geben wird. Aber wie alles, hat auch dies zwei Möglichkeiten und damit zwei Richtungen: Wie sollen wir mit Sachen umgehen, die böse sind?"
"Chancen und Grenzen von Gentests" – darüber diskutiert Gisela Steinhauer heute von 9 Uhr 05 bis 11 Uhr mit den Medizinern Elke Holinski-Feder und Wolfram Henn. Hörerinnen und Hörer können sich beteiligen unter der kostenlosen Telefonnummer 00800-22542254 oder per E-Mail unter gespraech@dradio.de.
Informationen im Internet unter:
Medizinisch Genetisches Zentrum
Genetische Beratungsstelle
Literaturhinweis:
Wolfram Henn: Warum Frauen nicht schwach, Schwarze nicht dumm und Behinderte nicht arm dran sind. Der Mythos von den guten Genen
Verlag Herder spektrum 2004
"Katastrophal!", lautet kurz und knapp die Reaktion von Prof. Dr. Wolfram Henn. Der Professor für Humangenetik und Ethik in der Medizin leitet die Genetische Beratungsstelle an der Universität des Saarlandes und hat täglich mit Menschen zu tun, die an genetisch bedingten Krankheiten leiden. "Es werden Risiken über die Menschen gekübelt, die sie überhaupt nicht verarbeiten können!"
Gentests dieser Art seien nicht aussagekräftig, "Für die exakte Berechnung eines Krankheitsrisikos, zum Beispiel für erblichen Brustkrebs ist in den meisten Fällen eine komplette Sequenzierung der Risikogene erforderlich." Dieses Angebot sei reine Geschäftemacherei.
Rund 1500 Krankheiten können derzeit per Gentest nachgewiesen werden. Am häufigsten melden sich bei dem Genetiker Patienten, in deren Familien ein erblich bedingtes Krebsrisiko vorherrscht. Mithilfe der Tests kann Wolfram Henn dann feststellen lassen, ob der Betroffene ebenfalls das Krankheitsgen in sich trägt, welches Risiko er somit hat, ebenfalls zu erkranken oder es weiterzuvererben. "Die Durchsetzungskraft eines Krankheitsgens ist unterschiedlich. Wer das Gen der Chorea-Huntington-Krankheit trägt, wird sie kriegen und daran sterben. Frauen, die erblichen Brustkrebs haben, haben ein lebenslanges Risiko von 80 Prozent. Bei Thrombose ist das Risiko um das drei- bis fünffache höher, zu erkranken."
Der Mediziner, der 2007 von der Bundesärztekammer in die "Zentrale Kommission zur Wahrung ethischer Grundsätze in der Medizin und ihren Grenzgebieten" berufen wurde, warnt aber davor, die Gesundheit und Krankheit nur von den Genen abhängig zu machen: "Je mehr man von den Genen versteht, desto mehr wird klar, dass wir nicht davon bestimmt sind." Ob und in welcher Form Krankheiten auftreten, sei auch abhängig von der Lebensweise. Wer genetisch bedingt zum Übergewicht neige, müsse zwar härter gegen überflüssige Pfunde kämpfen. Er könne den Kampf aber durchaus gewinnen. Und er warnt vor etwaigem Missbrauch: "Wir steuern auf eine gen-fixierte Gesellschaft zu. Wenn ich es optimistisch sehe, werden die genetischen Daten als Teil unserer selbst betrachtet, zum Beispiel zur Vorsorge. Wenn ich es pessimistisch sehe, dann steuern wir auf den ´gläsernen Menschen` zu."
Auch Dr. Elke Holinski-Feder sieht die Gen-Analyse per Internet sehr skeptisch. Die Humangenetikerin leitet das Medizinisch-Genetische Zentrum in München, das auf Gentests spezialisiert ist. Auch sie berät Ratsuchende und klärt sie über ihr Krankheitsrisiko auf. Ihre Praxis ist spezialisiert auf genetisch-bedingte Krebserkrankungen. Für sie ist die verantwortungsvolle Beratung das A und O:
"Die Leute kommen her, um einen Gentest machen zu lassen und wollen eigentlich hören ´alles ist gut`. Was ist, wenn es nicht gut ist? Wer kümmert sich anschließend um sie?"
Die Medizinerin teilt die ethischen Bedenken Ihres Kollegen Wolfram Henn. Sie verweist aber auch auf den technischen Fortschritt und die Möglichkeiten, die Gentests bieten. "In 20 Jahren wird des möglich sein, das Genom komplett zu bestimmen von vorn bis hinten und die Daten durch den Computer zu schicken. Zumindest bei den monogenen Erkrankungen wird eine Risikoerkennung möglich sein und damit Empfehlungen, wie wir damit umgehen müssen. Ich könnte mir auch vorstellen, dass es für bestimmte Gruppen ein Risikoscreening geben wird. Aber wie alles, hat auch dies zwei Möglichkeiten und damit zwei Richtungen: Wie sollen wir mit Sachen umgehen, die böse sind?"
"Chancen und Grenzen von Gentests" – darüber diskutiert Gisela Steinhauer heute von 9 Uhr 05 bis 11 Uhr mit den Medizinern Elke Holinski-Feder und Wolfram Henn. Hörerinnen und Hörer können sich beteiligen unter der kostenlosen Telefonnummer 00800-22542254 oder per E-Mail unter gespraech@dradio.de.
Informationen im Internet unter:
Medizinisch Genetisches Zentrum
Genetische Beratungsstelle
Literaturhinweis:
Wolfram Henn: Warum Frauen nicht schwach, Schwarze nicht dumm und Behinderte nicht arm dran sind. Der Mythos von den guten Genen
Verlag Herder spektrum 2004