Chancen und Grenzen des medizinischen Fortschritts

Wie weit darf die medizinische Forschung gehen? Dürfen Wissenschaftler alles tun, was Fortschritt und Heilung verspricht?
Diese Diskussion ist nicht erst seit der umstrittenen Entscheidung des EU-Parlaments aus der vergangenen Woche wieder aufgeflammt, die Stammzellenforschung mit 50 Millionen Euro zu fördern. Bundesforschungsministerin Annette Schavan (CDU) äußerte ihr Bedauern über die Entscheidung: "Wir lehnen die Förderung verbrauchender Embryonenforschung und Anreize für die Tötung von Embryonen ab."

Der Grünen-Politiker Reinhard Loske sprach von einem "Rückschlag für Ethik und Menschenwürde in Europa". Die Entscheidung öffne "der Kommerzialisierung menschlichen Lebens Tür und Tor". Der SPD-Politiker Norbert Glante betonte dagegen den Erfolg für den wissenschaftlichen Fortschritt: "Die Forschung mit embryonalen Stammzellen ist eine unerlässliche Voraussetzung dafür, dass wir Menschen mit degenerativen Krankheiten besser helfen können als bisher."

Laut dem Embryonenschutzgesetz ist die Herstellung von embryonalen Stammzellen in Deutschland verboten. Geforscht werden darf nur an importierten Stammzellen, die vor dem 01.01.2002 gewonnen wurden, und auch dies nur unter strengen Auflagen. Mit der EU-Entscheidung mehren sich nun die Forderungen, die engen Bestimmungen in Deutschland zu lockern. Zu den Befürwortern einer Liberalisierung gehört auch der Berliner Humanbiologe Prof. Dr. Detlev Ganten: "Es gibt verschiedene Quellen für Stammzellen – den Körper Erwachsener, das Nabelschnurblut, Embryonen, die bei der künstlichen Befruchtung übrig bleiben, und eben das ´therapeutische Klonen`. Meiner Ansicht nach sollten alle diese Quellen für Stammzellen erforscht werden."

Der Vorstandsvorsitzende der Charité und Mitglied des Nationalen Ethikrates fordert einen sachlichen Dialog über dieses höchst emotionale Thema, auch im Hinblick auf den Forschungsvorsprung ausländischer Wissenschaftler: "Es ist nicht mehr wirklich zu begründen, dass um uns herum mit diesen Zellen gearbeitet wird. Wenn jemand eine Fragestellung bearbeiten möchte, die für eine zukünftige Therapie beim Menschen bedeutend sein kann, wie zum Beispiel bei der Blutzuckerkrankheit oder der Schüttellähmung Parkinson oder anderen, so kann er die in Deutschland nicht machen."

Forschern dürften keine Denkgrenzen auferlegt werden, so der Mediziner: "Aber was wir dann umsetzen, darf nicht grenzenlos sein."

Nur:
• Wie weit sollen die Forscher gehen dürfen?
• Soll medizinisch alles möglich sein, das Fortschritt und Heilung verspricht?
• Wie viel Moral, wie viel Ethik braucht die Medizin?

Über Chancen und Grenzen des medizinischen Fortschritts diskutiert Gisela Steinhauer heute mit dem Humanbiologen Prof. Dr. Detlev Ganten in der Sendung "Radiofeuilleton – Im Gespräch" von 9:07 Uhr bis11 Uhr
Hörerinnen und Hörer können sich beteiligen unter der kostenlosen Telefonnummer 00800/2254 – 2254 oder per E-Mail unter gespraech@dradio.de.