Chaabi-Musik

Ein wertvolles Erbe

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Nach 50 Jahren treffen muslimische und jüdische Musiker zusammen, um gemeinsam Chaabi-Musik zu machen. © El Gusto, Filmstill
Von Rebecca Hillauer · 01.08.2014
In Algierien vor Ausbruch des Befreiungskriegs 1954 machten muslimische und jüdische Musiker gemeinsam Chaabi-Musik. Die junge algerisch-irische Regisseurin Safinez Bousbia hat nun ihre Geschichte und die der Chaabi-Musik in dem preisgekrönten Film "El Gusto" (Die Leidenschaft) dokumentiert.
"Vor der Unabhängigkeit, während der französischen Kolonialzeit, lebten in der Kasbah nicht nur Muslime, sondern auch Juden sowie Christen aus Spanien und Italien. Sie waren unsere Nachbarn. Es gab keine Feindseligkeiten zwischen uns."
Muslimische und jüdische Musiker erinnern sich in dem Film "El Gusto" an die frühen 1950er Jahre. Damals spielten sie in den Cafés und Bars der Altstadt von Algier gemeinsam Chaabi-Musik. Das Wort "Chaabi" bedeutet auf Arabisch so viel wie "volkstümlich". Die Musik ist eine Mischung aus andalusischer, religiöser und Berbermusik, mit arabischen Liedtexten.
"Mitten in der Kasbah, im jüdischen Viertel, stand die Große Synagoge. Juden und Muslime kamen miteinander besser aus als mit Christen. Samstags gingen wir immer in die Synagoge, um Musik zu hören in ihrer Sprache, auf Hebräisch."
Juden wie Muslime galten als Bürger zweiter Klasse
"Für die französische Kolonialmacht galten Juden wie Muslime als Bürger zweiter Klasse. Sie lebten daher in denselben Vierteln, arbeiteten zusammen, verbrachten die Freizeit miteinander. Dazu kam, dass die sephardischen Juden Arabisch sprachen. Muslime und Juden hatten ähnliche Bräuche, zum Beispiel essen sie kein Schweinefleisch. Ein Jude lud nie einen Christen ein, bei seiner Hochzeitsfeier zu singen – einen Muslim sehr wohl. Umgekehrt war es ebenso."
Die junge algerisch-irische Filmemacherin Safinez Bousbia hat selbst muslimisch-jüdische Wurzeln. Auf die Geschichte der Chaabi-Musiker, erzählt sie, sei sie zufällig bei einem Besuch in Algier gestoßen. Und so fasziniert gewesen, dass sie beschloss, einen Film darüber zu machen. Während der Dreharbeiten wurde ihr bewusst, dass die Geschichte der Musiker untrennbar mit dem algerischen Unabhängigkeitskrieg verbunden war. Mit seinem Beginn 1954 endete die friedliche Koexistenz der Religionen und das fröhliche Musizieren. Die FLN, die Algerische Befreiungsfront, nötigte die muslimischen Musiker zur Kollaboration. Andere machten freiwillig mit, weil sie keine Verräter sein wollten. Die jüdischen Chaabi-Musiker wurden dagegen von der Kolonialmacht Frankreich zwangsweise eingebürgert. Zudem durften sie nicht mehr auf Arabisch singen.
Wiedersehen nach fast einem halben Jahrhundert
"Viele Juden sagen heute, sie hätten sich damals bedroht gefühlt, weil die Synagogen geschlossen wurden. Ich glaube, dass auch die kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen dem neu gegründeten Staat Israel und seinen arabischen Nachbarn eine Rolle spielten. Und die jüdischen Algerier wollten einfach kein Risiko eingehen, sondern sich und ihre Familien in Sicherheit bringen."
Die einstigen Freunde verloren sich aus den Augen. Safinez Bousbia brauchte fast drei Jahre, um sie für ihren Film in Algerien und Frankreich ausfindig zu machen. Danach stand fest: Sie wollten noch einmal gemeinsam in Algier auftreten. Doch in letzter Sekunde zogen die algerischen Behörden die Einreiseerlaubnis für die jüdischen Musiker wieder zurück. Safinez Bousbia gelang es daraufhin, ein Konzert in Marseille zu organisieren.
Nach fast einem halben Jahrhundert sahen sich die Musiker-Freunde dort 2007 wieder. Der Jüngste von ihnen ist zu der Zeit 72 Jahre alt. Sie nennen ihr wiedervereintes Orchester "El Gusto".
In einem fulminanten Konzert zelebrierten sie nochmals ihre Leidenschaft – die Chaabi-Musik.
Dem Konzert in Marseille sind seither viele andere gefolgt – in Europa, in den USA und in Marokko. Auf ein Konzert in Algier aber warten die Musiker noch immer.
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