"Cevapcici gehörte auf jeden Grill im Schrebergarten"

Maren Möhring im Gespräch mit Joachim Scholl · 22.02.2013
Mit den "Gastarbeitern" aus Südeuropa wanderten unbekannte Küchen ein: Die Historikerin Maren Möhring hat über den Wandel der Esskultur in Deutschland geforscht. Man habe sich kosmopolitisch gegeben, doch die Lokale der Einwanderer seien auch "Angriffsziele für Rassismen" gewesen.
Joachim Scholl: "Das war etwas Neues: Italiener in der Stadt. Vor zwei, drei Jahren waren die ersten Pizzastücke in Berlin aufgetaucht, nun wagte es da und dort ein Italiener, ein Ristorante zu eröffnen und den Berlinern Nudelspeisen und italienisch zubereitetes Fleisch vorzusetzen. Deutsche Küche beherrschte die Stadt – außer einigen Balkangrills und drei China-Restaurants gab es wenig Abwechslung."

So steht es in dem Roman "Amerikahaus" des Schriftstellers Friedrich Christian Delius, ein Buch, das im Jahr 1967 spielt. Und solch eine Reminiszenz interessiert die Historikerin Maren Möhring ungemein, denn sie hat die Geschichte der ausländischen Gastronomie in der Bundesrepublik erforscht, die jetzt schon preisgekrönte Habilitationsschrift ist jetzt als Buch erschienen. Guten Tag, Frau Möhring, willkommen im Deutschlandradio Kultur.

Maren Möhring: Ja, guten Tag.

Scholl: Nun habe ich gehofft, Sie mit diesem literarischen Fund zu überraschen, blätterte dann im Literaturverzeichnis Ihres Buches, und da war natürlich die Quelle, die Ihnen auch nicht entgangen ist, so wie F. C. Delius es beschreibt, und wie man es sich heute kaum mehr vorstellen kann, so war die Lage anno 1967, selbst in einer Millionenstadt wie Berlin, nicht wahr?

Möhring: Genau, das ist richtig. Balkangrills und italienische Restaurants waren tatsächlich die ersten ausländischen Gaststätten, die sich flächendeckender, also auch über Berlin hinaus ausgebreitet haben, und vereinzelte Chinarestaurants gab es. Allerdings muss man sagen, dass schon in der Zwischenkriegszeit auch eine Tradition von zum Beispiel russischen Restaurants in Berlin verbreitet war.

Scholl: Wie gelang denn der große Umschwung?

Möhring: Der große Umschwung setzte ein mit der massenhaften Anwerbung von Arbeitsmigranten aus Südeuropa, und diese Arbeitsmigranten hatten dann eben schnell auch das Bedürfnis, andere Nahrungsmittel zu sich zu nehmen und eben auch Orte zu schaffen, an denen sie sich treffen konnten. Das heißt also, ein Strang der ausländischen Gastronomie liegt auch sozusagen darin begründet, dass sich die Arbeitsmigranten, die nach Deutschland kamen, eben an Orten treffen wollten und ihre vertrauten Speisen zu sich nehmen wollten.

Scholl: Sie sagen das jetzt historisch sehr korrekt, Arbeitsmigranten, früher hat man einfach vulgo Gastarbeiter gesagt.

Möhring: Genau.

"Deutsche Touristen erwarteten Pizza in Italien"
Scholl: Nun denkt man automatisch, Frau Möhring, dass zum Beispiel die italienischen Gastarbeiter ihre Küche mitbrachten, Restaurants eröffneten, die es zu Hause gab – in Ihrem Buch beschreiben Sie aber auch, dass es in den 1960er-Jahren in Italien kaum Pizzerien gab jenseits von Neapel. Die Pizzeria wurde erst in Deutschland flächendeckend.

Möhring: Genau, das ist richtig. Die Pizza war im Grunde, so wie wir sie heute kennen, eine Regionalspeise, die eben in Kampanien üblich war, und dann außerhalb Italiens Karriere gemacht hat: zum einen in den USA, in einer speziellen Variante, nämlich mit dem dickeren Teig, und in Deutschland dann mit dem dünneren Teig. Und dieser Erfolg der Pizza, sozusagen global, kann man fast sagen, hat sich dann auch in Italien ausgewirkt und dort dafür gesorgt, dass Pizzerien überall aufmachten, weil zum Beispiel auch deutsche Touristen im Italien-Urlaub erwarteten, dass sie Pizza serviert bekommen würden.

Scholl: Wer ging denn eigentlich zu Anfang in Deutschland in die ersten neueröffneten italienischen, griechischen Restaurants? Bei F. C. Delius im Roman, da finden es vor allem die Studenten toll, da hinzugehen, weil das ist was Exotisches, was Avantgardistisches.

Möhring: Genau, das ist richtig, also die Studenten waren eine ganz wichtige Gruppe, die zu den ersten großen Konsumentengruppen zählte, zum einen, weil das Essen häufig preiswerter war als in der deutschen Gastronomie, und zum anderen, weil man wohl auch den Wunsch hatte, ein wenig kosmopolitischer zu sein oder zu wirken zumindest.

Scholl: Mit welchen Widerständen hatten denn die ausländischen Gastronomen zu kämpfen?

Möhring: Zum einen bürokratischer Art – es war nicht einfach, als Ausländer, der sozusagen ein Nicht-EU-Ausländer war – oder damals noch Europäische Gemeinschaft –, überhaupt ein Lokal zu eröffnen, da mussten einige Hürden überwunden werden, weil gerade die sogenannten Gastarbeiter keine Erlaubnis hatten, sich selbständig zu machen. Das musste extra beantragt werden bei der Ausländerbehörde, und dafür war eine sogenannte Bedürfnisprüfung notwendig. Das heißt, die Gewerbeämter mussten bestätigen, dass für dieses neue Lokal ein Bedürfnis vorhanden ist.

Scholl: Und das heißt dann? Wie stellt man fest, ob ein Bedürfnis vorhanden ist?

Möhring: Das wurde sehr genau festgestellt, zum Beispiel durch Ortsbegehungen. Dort wurde genau geschaut, wie viele Konkurrenzlokale, also ähnliche Lokale, gab es in der Gegend schon, und dann wurde festgelegt, aha, hier kann noch ein weiteres jugoslawisches Restaurant aufmachen, oder nein, hier sind schon genügend ausländische Gaststätten vertreten.

Scholl: In dem Zusammenhang habe ich auch einen ganz anderen Blick auf jenen legendären Sketch von Loriot bekommen, den Sie auch analysieren, Frau Möhring. 1976 wurde dieser inszeniert, und die ominöse nicht weichen wollende Nudel an der Nase von Loriot, das ist nämlich italienische Pasta. Was haben Sie in diesem Sketch abgelesen? Man hat ja so ein bisschen das Gefühl, ja, hier werden so nationalistische Ressentiments vom braven deutschen Spießbürger karikiert.

Möhring: Das ist zum einen der Fall, weil ja auch weiter hinten in der Szene Loriot auch darauf hinweist, dass seine Tasse nicht sauber ist und Ähnliches, und sagt, so was kann man in Neapel servieren, aber nicht hier in Deutschland. Also es gibt bestimmte Klischees über dreckige Italiener und Ähnliches, die aufgenommen werden, und vor allem aber wird natürlich der Restaurantgänger selbst karikiert, dem eben diese Nudel im Gesicht hängt und die einfach nicht ordnungsgemäß in seinem Mund verschwinden will.

Scholl: Fremdes Essen – Deutschlandradio Kultur im Gespräch mit Maren Möhring. Die Historikerin hat die Geschichte der ausländischen Gastronomie in Deutschland erforscht. Die Karriere der ausländischen Restaurants verlief dann jedenfalls stürmisch. Sie liefern beeindruckende Zahlen in ihrer Studie: 1975 gab es 20.000, zehn Jahre später schon 40.000, und dieser Trend hat sich entsprechend fortgesetzt. Heute ist ausländisch essen gehen und selber kochen auch das Selbstverständlichste von der Welt, auch in Deutschland, und man nimmt diese Entwicklung ja auch gern als Beleg für eine zunehmende Liberalisierung und Internationalisierung Deutschlands. Sie, Frau Möhring, sind da skeptischer, warum?

"Starke Ressentiments"
Möhring: Ich bin da skeptischer, weil ich glaube, dass diese Entwicklung genau so auch starke Ressentiments befördert hat, und gerade am Beispiel der Morde der NSU kann man das ja sehr deutlich sehen, die sich meines Erachtens nicht zufällig gegen Gewerbetreibende gerichtet haben, also gerade gegen Migranten, die in Deutschland ein Lokal oder einen Laden aufgemacht haben und damit auch signalisieren, dass sie längerfristig in der Bundesrepublik bleiben wollen. Will sagen: Diese Orte sind durchaus auch immer wieder Angriffsziele für Rassismen gewesen.

Scholl: Als Laiensoziologe könnte man ja folgern, dass immer mehr Ausländer für Deutsche kochen, das ist dann die Integration, die durch den Magen geht. Das ist aber zu simpel gedacht.

Möhring: Das ist, glaube ich, zu simpel gedacht, weil eben die Lokale ja nicht nur das Essen produzieren, und es eine große Gruppe von Deutschen gibt, die auch gerne ausländisch essen gehen, sondern eben gleichzeitig auch das Stadtbild verändert wird und eben sehr eingängig gemacht wird, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist. Ich glaube, da haben diese Lokale und auch Lebensmittelgeschäfte und Ähnliches gerade im Alltag eine große Wirkung entfaltet.

Scholl: Aber das wäre ja zumindest der These zu einer Normalisierung doch zugänglich, sodass man sagt, die ausländische Esskultur macht Deutschland als Einwanderungsland auch auf diese kulinarische Weise öffentlich präsent. Wohin man schaut, ausländische Restaurants und Imbisse, und man empfindet das als völlig normal, jenseits von den paar versprengten Neonazis, die das als undeutsch empfinden.

Möhring: Ich würde auch genau so argumentieren, dass eine Normalisierung stattgefunden hat, aber dass eben so eine Normalisierung auch bei einigen Gruppen eben Gegenreaktionen hervorruft.

"In den 80-ern kam Griechenland in Mode"
Scholl: Es gab bei den verschiedenen Küchen und Restauranttypen ja auch bemerkenswerte Entwicklungen: Der Balkangrill ist zum Beispiel ja so gut wie verschwunden als Signet - oder Restaurants, die Dubrovnik heißen und jugoslawische Spezialitäten anbieten. Was ist da eigentlich passiert?

Möhring: Ich glaube, das sind zwei Entwicklungen, die hier entscheidend waren. Zum einen war der Balkangrill in der frühen Bundesrepublik sehr erfolgreich, weil die Küche teilweise der Wiener Küche ähnelte, also die Restaurants auch Speisen anboten, die den Deutschen jetzt nicht ganz unvertraut waren, gerade die Hemmschwelle dadurch etwas abgesenkt war, und viele sich getraut haben, im Balkangrill die schärfer gewürzten Speisen zu essen. Aber in den 80er-Jahren war der Balkangrill dann einfach nicht mehr exotisch genug. Cevapcici gehörte sozusagen auf jeden Grill im Schrebergarten, das war nichts Neues mehr.

Zum einen haben wir es also mit kulinarischen Moden zu tun, die sich verändern, auf einmal war dann in den 80er-Jahren die griechische Küche erfolgreicher und dann auch bald die asiatischen Küchen, und zum anderen hat natürlich auch der Zusammenbruch Jugoslawiens damit zu tun, dass jugoslawische Küche in der Form sowieso nicht mehr annonciert wurde, sondern in den 90er-Jahren dann kroatische Küche oder serbische Küche angeboten wurde. Und ich denke aber, dass die gesamte Entwicklung eben auch sich negativ auf die kulinarische Entwicklung ausgewirkt hat.

Scholl: Und der bedeutendste aktuelle Trend ist türkisch: Der Döner Kebab ist die Nummer eins in der deutschen Imbisshitparade, Currywurst und Hamburger liegen abgeschlagen dahinter. Dagegen haben sich aber interessanterweise türkische Restaurants als gehobene Gastronomie noch nicht so etabliert. Wäre das ein weiterer nächster Schritt eventuell?

Möhring: Ich denke ja, es gibt einige höherpreisige türkische Restaurants, die auch ganz erfolgreich sind, aber ich glaube, dass es einfach relativ lange dauert, bis sozusagen auch in Deutschland angekommen ist, dass die türkische Küche weit mehr ist als Döner Kebab, sondern eine sehr variantenreiche, auch regional sehr unterschiedliche Küche darstellt. Die Italiener waren da sehr viel früher erfolgreich mit, deutlich zu machen, dass eben die toskanische Küche sich von der sizilianischen unterscheidet. Und ich glaube, die türkische Küche hat da noch Nachholbedarf.

Scholl: "Fremdes Essen", so heißt das Buch von Maren Möhring, es ist im Oldenbourg Verlag erschienen.Frau Möhring, viel Erfolg damit, weiterhin, danke für Ihren Besuch und das Gespräch.

Möhring: Ja, vielen Dank.

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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