Cerný: Schengen trägt zur Normalisierung zwischen Ländern bei

Moderation: Dieter Kassel · 19.12.2007
Der ehemalige tschechische Botschafter in Deutschland, Frantisek Cerný, sieht dem Beitritt seines Landes zum Schengen-Abkommen mit Optimismus entgegen. Wenn die Grenzkontrollen wegfallen, werde das zur Normalisierung der Beziehungen zwischen beiden Ländern beitragen. Fremdenhass, Revanchismus und Rechtsradikalismus in den Grenzregionen seien nur "Begleiterscheinungen".
Kassel: Am Freitag tritt das Schengener Abkommen in neun weiteren Ländern in Kraft, und auch zwischen Deutschland und Tschechien entfallen damit die Grenzkontrollen, die Kontrollen an einer Grenze, die Frantisek Cerný in seinem Leben schon oft übertreten hat, die aber auch mehrmals für viele Jahre nicht übertreten durfte. Frantisek Cerný wurde 1931 in Prag geboren, arbeitete lange Zeit als Redakteur beim damals tschechoslowakischen Rundfunk, das durfte er dann nach 1968 nicht mehr, er wurde Deutschlehrer. Nach der samtenen Revolution aber trat er dann in den diplomatischen Dienst ein, wurde zuerst Gesandter an der Deutschen Botschaft und war dann bis 2001 Botschafter der Republik Tschechien in Berlin.

Heute lebt Cerný wieder in Tschechien und hat dort unter anderem zusammen mit zwei anderen das Prager Literaturhaus deutschsprachiger Autoren gegründet, und nun ist er am Telefon. Schönen guten Tag, Herr Cerný!

Frantisek Cerný: Ja, einen recht schönen guten Tag nach Berlin.

Kassel: Nach diesem Leben mit der Möglichkeit, die Grenze zu übertreten und immer auch wieder sie nicht übertreten zu dürfen - was bedeutet das für Sie persönlich, wenn jetzt ab übermorgen die Grenzkontrollen wegfallen?

Cerný: Na ja, da muss ich dann ein bisschen realistisch sagen, dass es so viel nicht mehr bedeutet nachdem, also, dass schon längere Zeit eigentlich die Grenze mehr oder weniger durchlässig war. Für mich und für andere Tschechoslowaken war das große Wunder der Tag vor Weihnachten 1989. Das war so ein Erlebnis wahrscheinlich wie für die Berliner der Fall der Mauer.

Kassel: Dennoch, gerade wenn wir uns das noch mal in Erinnerung rufen - diese Grenzöffnung, die Sie jetzt gerade noch mal beschrieben haben, Herr Cerný, die ist noch nicht mal 20 Jahre her. Ist das nicht trotzdem etwas Besonderes, dass da, wo es früher einmal den sogenannten Eisernen Vorhang gab, nun plötzlich gar nichts mehr ist?

Cerný: Es ist schon etwas Besonderes, aber es gibt hier, ich glaube, da muss ich das leider, weil das nicht meine Erfahrung, meine Meinung, meine Überzeugung ist, aber viele Menschen haben jetzt - ich glaube, das Gleiche gilt auch besonders für die Grenzländer Sachsen, Bayern, Österreich - haben jetzt eins, dass da unkontrolliert auch Kriminalität über die Grenze kommen kann. In diesem Zusammenhang muss ich sagen, dass es gerade heute hier eine riesige Razzia, Polizei-Razzia in ganz Tschechien gibt, die gegen die Ausländer hier gerichtet ist, für diese Leute ist das heute, also, die Grenzöffnung, eigentlich ein schlechter Tag.

Kassel: Darüber wird ja ohnehin sehr viel geredet, Herr Cerný, dass zwar einerseits die Grenzen im Innern - also zum Beispiel die von Tschechien nach Deutschland, nach Österreich, nach Polen, auf der anderen Seite ja auch -, dass die alle geöffnet werden, aber dass die Außengrenzen, die dann drumherum sind, die Grenzen zu den Ländern, die noch nicht zum Schengener Abkommen gehören, dass die immer stärker gesichert werden.

Cerný: Ja.

Kassel: Ist also aus Ihrer Sicht Tschechien damit jetzt ab übermorgen Teil dieser Festung Europa, auch im negativen Sinne?

Cerný: Na ja, wir haben ja das große Glück im Unterschied zum Beispiel zu unseren slowakischen Freunden, wir haben ja überall Schengen um uns herum.

Kassel: Sie sind mittendrin, ja.

Cerný: Wir brauchen keine besonderen Kontrollen zu organisieren, weil das eigentlich den Ländern auferlegt ist mit den EU-Grenzen, also vor allem den Polen und vor allem den Slowaken. Apropos Slowaken, meine besondere große Freude über Schengenbeitritt ist, dass endlich wieder auch zwischen Tschechen und Slowaken keine Grenzstation mehr da ist. Durch Schengen ist ein bisschen wiederhergestellt worden eine Tschechoslowakei.

Kassel: Ist eigentlich, wo wir bei diesem Thema nun gelandet sind, Herr Cerný, ist eigentlich das Verhältnis zwischen Tschechen und Slowaken, seit sie wieder zwei eigene Staaten haben, eher besser geworden als es früher mal war?

Cerný: Es ist besser geworden. Ich bin nach wie vor überzeugt, dass es vielleicht und dass es wahrscheinlich Möglichkeiten gegeben hätte, bei beiderseitig gutem Willen diese Teilung zu verhindern. Aber nachdem sie jetzt also, seit 1993, auch schon lange läuft und das hat sich so eingependelt, dass man im Grunde genommen sagen kann, dass das Verhältnis der Menschen, also der Tschechen und der Slowaken, heute besser ist als je zuvor.

Kassel: Herr Cerný, lassen Sie uns bei dieser Gelegenheit doch auch über das deutsch-tschechische Verhältnis reden. Wenn man die Grenze aufmacht, das ist ja ein politischer Akt, letzten Endes auch teilweise ein Verwaltungsakt - wie ist denn das Verhältnis heute zwischen Deutschen und Tschechen? Ist das, weil man immer so viel hört von dem schwierigen Verhältnis Polen-Deutschland, ist das Verhältnis Tschechien-Deutschland ein völlig einfaches?

Cerný: Mit den Zuständen, die da in letzter Zeit zwischen Polen und der Bundesrepublik entstanden sind und hoffentlich auch nicht lange dauern müssen, ist das nicht zu vergleichen. Ich glaube, es wird jetzt immer wieder behauptet, die deutsch-tschechischen Beziehungen sind so gut wie sie nie zuvor gewesen sind. Ich pflege dann immer ein bisschen vorsichtiger hinzuzufügen, das ist ein so großes Wunder nicht, weil sie ja vorher ziemlich schlecht waren. Aber es geht soweit, dass sie heute wirklich so gut sind, dass sie heute keinen interessieren, natürlich mit Folgen.

Ich selber bin sehr oft in so einem Ort, der vier, fünf Kilometer entfernt ist von Zittau, Zittau ist in Deutschland, Hradek ist in Tschechien. Jetzt ist es so, dass bei den Tschechen ein bisschen - das weiß ich von den Nachbarn - die Angst entsteht, ja, jetzt kommen die Deutschen noch mehr und werden uns jetzt, also, weil es bei uns relativ billiger ist. Immer noch lohnt es sich für einen Deutschen, jetzt, wenn die Grenze überhaupt keine richtige Grenze darstellt, sich ins Auto zu setzen, ein paar Kilometer zu fahren und dann bei uns ein gutes Essen, ein Auto zu tanken und damit spart er sehr viel Geld.

Im Grunde genommen, ich habe nichts dagegen, warum soll man diese Möglichkeiten nicht nutzen, aber bei der Bevölkerung gibt es dann Befürchtungen auf unserer Seite, auf der deutschen Seite gibt es eher die Befürchtungen, dass jetzt mehr Kriminelle rüberkommen. Aber im Grunde genommen ist das wirklich ... Das sind Begleiterscheinungen.

Kassel: Das heißt, Sie finden das nicht bedenklich? Weil gerade die Region, über die Sie jetzt sprechen, Herr Cerný, das südöstliche Sachsen, Landkreis Löbau-Zittau und darüber die sächsische Schweiz ...

Cerný: Ja, ja, das ist das Lausitzer Gebirge und ...

Kassel: Entschuldigung, aber gerade da, das wissen wir auch, das ist ja ein deutsches Problem, gibt es Rechtsradikalismus, da ist die NPD sehr erfolgreich. Gerade in dieser Region, im Grenzgebiet Sachsen-Tschechien, da ist es vielleicht auch anders als im bayrisch-tschechischen Grenzgebiet, da sagen auch viele Leute, wir wollen die Tschechen gar nicht haben, wir wollen keine Grenzöffnung, die kommen rüber, die nehmen uns Arbeitsplätze weg, die klauen. Ist das, wie Sie gerade gesagt haben, eine normale Begleiterscheinung, oder ist das nicht gerade in dem Gebiet doch auch ein Problem?

Cerný: Na ja, es ist eine Begleiterscheinung. Normal ist sie natürlich deshalb, weil diese Zustände, die jetzt aus Schengen, Beitritt zu Schengen, Abschaffung der Grenzkontrollen, ist eine Art Normalisierung der ... Wir kommen auf einmal zurück vielleicht in die Zeit, als wir noch ein Bestandteil waren in einer Habsburgerischen Österreich-Ungarn, wo man auch ohne irgendwelche Papiere aus Prag nach Wien fahren konnte. Aber es ist natürlich mit negativen Sachen besetzt auf beiden Seiten.

Kassel: Wie ist es denn, Sie haben erwähnt vorhin, das deutsch-tschechische Verhältnis sei so gut, dass man im Alltag gar nichts mehr spürt und nicht mehr darüber reden muss. Heißt das auch, die Störungen, die es in der Vergangenheit immer wieder gab durch die Sudetendeutschen, durch die Verbände, durch Forderungen an die tschechische, früher die tschechoslowakische Politik - spielt das heute keine Rolle mehr?

Cerný: Es spielt eine gewisse Rolle bei solchen Menschen oder auch politisch Aktiven, die da so die Fahne des Nationalismus und der Wahrung der nationalen Interessen hochhalten und die schüren da ein bisschen auch unter unserer Bevölkerung eine Angst vor den Sudetendeutschen, Revanchismus. Ich halte das langsam schon für Randerscheinungen. Es sind extreme Sachen, genauso wie dass es auch bei uns wieder Neonazis gibt, so wie in Sachsen und so wie anderswo, aber das sind immer noch Randerscheinungen.

Schauen Sie, Sie haben erwähnt, ich bin jetzt mit einem anderen dabei, hier dieses Literaturhaus deutschsprachiger Autoren ... Aber, das muss man noch hinzufügen, nicht allgemein deutschsprachiger Autoren, aber der Autoren böhmischen, mährischen und Prager Ursprungs, also Autoren, die hier, in unserem Land, ihre Wurzeln haben. Es sind nicht nur Kafka, Rilke, Gesch und Werfel, es sind 200 würde ich sagen, ziemlich namhaft. Wenn wir das machen wollen und machen, dann gibt es aber natürlich auch wieder Stimmen, die sagen: Ach, das ist dieser Cerný, der strebt eine Regermanisierung von Prag an. So einen Unsinn kann man ab und zu hören, aber in der Wirklichkeit ist das sehr viel anders.

Und es gibt Gott sei Dank jetzt ein echtes Interesse, wachsendes Interesse, teilweise auch bei jungen Leuten, an dem, was hier eigentlich damals so, wie es funktionierte, als, sagen wir Prag, aber nicht nur Prag, eine - heute ist das Wort verpönt - eine multinationale, multiethnische Stadt war. Das ist interessant und das ist in meinen Augen das, was zum Beispiel mit diesem Projekt erreicht werden soll, dass man sich vergegenwärtigt, dass es nicht das große Glück eines Staates ist, wenn er völlig homogen geworden ist und dann niemand anderer, also, dass man lernen muss, wieder mit anderen Menschen, mit anderen Menschen, die eine andere Sprache und so weiter, zusammenzuleben, und dass das eine Bereicherung sein kann, beiderseitig. Und dazu trägt natürlich auch Schengen bei.

Aber ein letztes Wort noch: Eigentlich aufmerksamer als Schengen wird von unseren Menschen verfolgt, wie weit es ist mit der Autobahn einmal nach München, nach Bayern, und einmal nach Berlin. Wenn da jetzt wieder ein Abschnitt eröffnet wurde und es nur noch ganz wenige Kilometer sind, das wird begrüßt, weil Berlin auf einmal praktisch eine Nachbarstadt von Prag ist.

Kassel: Es gibt allerdings, das muss man erwähnen, eine hervorragende Zugverbindung bereits von Berlin nach Prag.

Cerný: Ja, und die versuch sogar ich. Je öfter, desto lieber fahre ich mit dem Zug, schaue mir, solange wir noch an der Elbe vorbeifahren, die wunderbare Gegend an und dann lese ich und dann steige ich aus in Berlin.

Kassel: Vielleicht werden wir uns in dem Zug, in welcher Fahrtrichtung auch immer, mal begegnen. Ich darf mich bei Ihnen an dieser Stelle für das Gespräch bedanken. Das war der ehemalige tschechische Botschafter in Deutschland und Mitbegründer des Prager Literaturhauses für deutschsprachige Autoren, Frantisek Cerný, im Gespräch in Deutschlandradio Kultur. Ich sage danke schön und wünsche Ihnen eine angenehme Grenzöffnung.

Cerný: Ja, und ich wünsche Ihnen alles Gute auch zu Weihnachten und für das neue Jahr.