Cellist: Er war damals der beste Dirigent

Moderation: Joachim Scholl · 03.04.2008
Fast 20 Jahre hat der Solocellist Götz Teutsch bei den Berliner Philharmonikern mit Herbert von Karajan zusammengearbeitet. In seiner guten Zeit sei es ihm gelungen, das Letzte aus jedem Musiker herauszuholen, betont Teutsch. Bei seinem späteren Nachfolger Sir Simon Rattle könne man allerdings jederzeit auch unangemeldet an die Tür klopfen.
Joachim Scholl: Die Berliner Philharmoniker - wer in diesem Orchester spielt, gehört zur internationalen Spitze der Instrumentalisten. 37 Jahre hat Götz Teutsch mit diesem Weltensemble musiziert an seinem Instrument, dem Cello. Willkommen im "Radiofeuilleton", Herr Teutsch!

Götz Teutsch: Guten Morgen!

Scholl: Sie stammen aus Rumänien, aus Siebenbürgen, haben in Bukarest studiert. 1968 sind Sie nach Berlin gekommen. Zwei Jahre später waren Sie Mitglied der Berliner Philharmoniker unter der Leitung damals von Herbert von Karajan. Davon müssen Sie uns erzählen, Herr Teutsch. Wie ging das zu, wie kamen Sie zu dem Orchester?

Teutsch: Der Weg zum Orchester ist nach außen hin relativ einfach.

Scholl: Man bewirbt sich?

Teutsch: Du bewirbst dich, musst vorspielen und musst das Probespiel gewinnen. So einfach ist das, und irgendwie war es auch für mich relativ einfach. Ich erinnere mich noch die Begebenheiten damals, dieses Warten auf den Moment, wo du spielen darfst, wo du dann in den riesengroßen Saal kommst und spielst, und nach ein paar Minuten ist das Ganze zu Ende. Und dann kommt das große Warten, und dann sagen sie dir: Du bist angenommen! Ich sag immer, es war das größte Glück meines Lebens und vielleicht deren Pech, dass sie mich genommen haben!

Scholl: Aber ein Vorspielen ist ja vielleicht nicht immer dasselbe Vorspielen, wenn man vor Karajan spielt. Wie war das damals, als Sie als junger Mann praktisch ja unter den Augen des Giganten dann Ihr Instrument anstimmten?

Teutsch: Beim Probespiel habe ich ihn gar nicht wahrgenommen. Wissen Sie, es ist so, du bist derartig auf dich selber konzentriert. Du nimmst das Umfeld gar nicht wirklich wahr. Und als er dann kam und mir sagte, und auch, als der damalige Orchestervorstand kam, dass ich angenommen bin, habe ich es auch nicht glauben können. Es hat paar Tage gedauert, bis ich das überhaupt realisiert habe.

Scholl: War damals für Sie, für junge Musiker, Karajan schon so etwas wie eine überlebensgroße Figur?

Teutsch: Ja, auf jeden Fall! Er war der Dirigent damals.

Scholl: Dann waren Sie 19 Jahre mit ihm zusammen, wenn man so sagen darf. Es ranken sich so viele Legenden um Karajans Stil, seine Arbeitweise. Sie haben ihn tagtäglich, alltäglich erlebt?

Teutsch: Ja, ständig, in den Proben, ja.

Scholl: In den Proben, in den Konzerten. Wie ging er mit den Musikern um, wie ging er mit Ihnen um?

Teutsch: In seiner gesunden Zeit mit einem enormen Respekt und mit einer Fähigkeit, ohne Gewalt, ohne wirklich sichtbar autoritär zu werden, von jedem Musiker das Letzte zu fordern. Das war eigentlich, wenn ich so zurückdenke, die prägende Eigenschaft, was sein Verhältnis zu den Musikern angeht. Er hat in den Proben mit viel Einfühlungsvermögen fast jeden Einzelnen, und das war seine große Stärke, auch im Tutti, wenn du am letzten Pult saßt, hattest du das Gefühl, er spricht mit dir, er lässt dich mitarbeiten mit den Solobläsern oder Konzertmeistern. Und so war die Verbindung natürlich stärker. Aber er konnte in einer Art und Weise mit jedem Einzelnen umgehen. Das war mit von Respekt geprägt und von einer großen Achtung. Er hat jeden irgendwie als eine Autorität auch respektiert.

Scholl: Und dabei hieß es ja oft, er sei so ein Dompteur, ein Einpeitscher, der das Orchester unter seine Knute zwinge? Das haben Sie gar nicht so empfunden?

Teutsch: Nein, ich subjektiv nie. Er hat sicherlich, ein Dirigent ist ein Diktator. Es gibt da keine Mitbestimmung. Wenn er sagt, es geht nach rechts, dann musst du nach rechts gehen. Aber es ist, wie sagt er dir das, wie schiebt er dich da in seine Richtung. Und da das Orchester eine enorme Persönlichkeit hatte und ja auch heute hat, konnte das nie mit Gewalt passieren.

Scholl: Als Solocellist sind Sie ja so etwas auch wie der Klassensprecher Ihrer Instrumentengruppe gewesen, also ein Mittler zwischen dem Dirigenten und Ihren Mitspielern. War das schwierig unter Karajan?

Teutsch: Nein, überhaupt nicht.

Scholl: Man hat ihn in der Öffentlichkeit immer so wahrgenommen als der Maestro, der mit geschlossenen Augen dirigiert. Kritiker haben ihm das auch als arrogante Innerlichkeit ausgelegt, als ob er sein Orchester gar nicht sehen wollte. Brauchte er Sie nicht sehen?

Teutsch: In den Proben hat er sie gesehen und wie gesehen. Und jetzt so im Nachhinein drüber nachdenkend, wie verlief es damals. Die Probenarbeit war von einer Intensität und einer Genauigkeit und von einer Art kammermusikalischem Zusammenspiel. Er hat ja nie wirklich, jetzt sagen wir, den Takt geschlagen. Er hat immer gesagt, du spiel mit dem zusammen, und jetzt hört euch mal zu. Und dieses Miteinandermusizieren war dann derartig, ist in Fleisch und Blut dem Orchester übergegangen, dass dieses diktatorische Zeigen im Konzert, jetzt hast du einen Einsatz, einfach nicht notwendig war. Und jetzt denken wir an uns selber, wenn wir die Augen zumachen, entwickeln wir doch nicht sichtbare Antennen, die viel stärker sind wie das Sehen allein. Ich glaube nicht, dass das Sehen unbedingt notwendig ist. Von diesem Mann ging eine so unbeschreibliche innere Kraft aus. Das Sehen war da nicht notwendig.

Scholl: Herbert von Karajan zum 100. Zu Gast im Deutschlandradio Kultur ist der Cellist Götz Teutsch. 19 Jahre hat er mit dem Dirigenten gearbeitet. Bis 1989, Herr Teutsch, währte die Ära Herbert von Karajans bei den Philharmonikern. Dann ist er gestorben im Alter von 79 Jahren. Wie war das in der Zeit zuvor? Gerade der alte Karajan galt ja nun wirklich als harter Brocken, als menschlich schwierig und zurückgezogen. Sie haben vorhin schon einleitend gesagt, als er noch gesund war.

Teutsch: Herrgott, wissen Sie, jeder von uns wird alt, und jeder von uns wird irgend mal wahrscheinlich starke Schmerzen haben. Und am Ende seines Lebens hat er ja unter vielen Schmerzen gelitten und war sicherlich auch unter starkem Medikamenteneinfluss, denke ich jetzt mal. Wenn ich Schmerzen habe, nehme ich ja Medikamente. Und das dann bestimmte Verhaltensweisen aufbrechen, die schwierigst für die Umwelt sind, das kennen wir aus unserem Alltag. Warum soll so ein Mensch nicht auch Mensch sein dürfen?

Scholl: Auf jeden Fall, nun denkt man auch, in einem Orchester wird das natürlich auch registriert, und es verändert sich das Klima, die Atmosphäre vielleicht. Und man redet ja auch als Musiker dann darüber. Erinnern Sie sich noch an diese Zeit?

Teutsch: Ja, sicher. Das ist sicherlich nicht immer einfach gewesen. Aber ich fände es schade, wenn diese Zeit so überbewertet wird. Er hat so Unglaubliches geleistet und hat uns, den Philharmonikern und der Musikwelt, so viel Kostbares gegeben, da sollte man das nicht so.

Scholl: Wie hören Sie, Herr Teutsch, die Aufnahmen von einst? Gerade Karajan hatte ja eine ganz unverwechselbare Klangkultur. Hat sich dieses Klangbild seine Frische bewahrt? Was meinen Sie?
Teutsch: Im Orchester heute?

Scholl: Hm.

Teutsch: Es hat sich vielleicht nicht die Klangkultur von damals bewahrt. Es wäre ja auch einfach schade. Wir leben ja auch heut nicht in der Zeit von damals. Und unser ganzes Innenleben ist ja ein anderes geworden. Was sich sicher bewahrt hat, ist diese enorme Intensität des Spiels und des totalen Engagements für die Sache. Dass ein Klangbild sich dann ändert, ist doch eigentlich ein Geschenk. Es wäre doch furchtbar, wenn wir immer diesem Orchesterklang nachtrauern täten.

Scholl: Sie haben nun bis letzten Herbst bei den Philharmonikern musiziert. Derzeit steht mit Sir Simon Rattle ein ganz anderer Typus von Dirigent am Pult. Wie würden Sie denn, als Insider kann man Sie ja wirklich bezeichnen, den künstlerischen Unterschied, den Abstand zwischen diesen Temperamenten beschreiben?

Teutsch: Sehen Sie, Sir Simon, soweit ich es beurteilen darf überhaupt, ist ein Mensch von heute. Und er ist von einer Klarheit und von einer Kompetenz, die ist einfach für mich unglaublich. Und er hat, da er auch aus einem anderen Kulturkreis kommt wie damals Karajan, sicherlich andere Vorlieben, einen anderen Zugang zur Musik. Und immer dieses Vergleichen, heute mit dem Alten, ist so schade. Sir Simon macht eine Musik von einer enormen Qualität und von einer enormen Kompetenz. Und sie ist sicherlich nicht so sehr auf den Klang ausgerichtet, auf diesen schönen Klang von damals. Aber die Strukturen kommen so klar, die Musik ist ganz klar gegliedert oder klarer gegliedert oder hörbarer klar gegliedert als damals. Und das ist doch auch eine Qualität, die ist genauso, Musik kann man auf so vielerlei Arten vollendet schön machen. Und heute wird genauso gut Musik gemacht in der Philharmonie wie damals vor 30 Jahren.

Scholl: Was wir als Zuschauer in der Öffentlichkeit natürlich von Sir Simon Rattle sehen, ist immer dieser Eindruck, er ist so furchtbar nett, so ein liebenswerter Mensch. Ist er das auch im Orchester?

Teutsch: Ja. Er ist hart in seiner Ausrichtung, aber er spricht mit jedem Einzelnen. Sie können zu ihm hingehen und sagen, Sir Simon, weshalb machst du denn das so. Und er setzt sich hin mit dir und ist nett und freundlich, er ist zugänglich für absolut jeden. Das ist ja so ein großes Wunder, wie dieser Mann in all seiner Nettigkeit, du kannst auch jederzeit an seine Türe klopfen und fragen, kann ich rein, und dann sagt er, du, jetzt habe ich eine Besprechung, komm eine halbe Stunde später, was ja früher undenkbar gewesen wäre.

Scholl: Genau. Man hat das Gefühl, dass hier so vielleicht die hierarchischen Strukturen nicht mehr in dieser Weise gültig sind, wie sie früher waren. War die Ära Karajan doch noch geprägt auch von mehr autoritativem Charakter?

Teutsch: Ich glaube sehr. Es ist, zumindest mir wäre es nie eingefallen, zu dem großen Meister an die Tür zu gehen und zu klopfen. Wenn du was wolltest, dann bist du zu seiner Sekretärin gegangen und hast gesagt, ich würde gerne mit Herrn von Karajan sprechen. Und dann kamen Tage danach, heute dürfen Sie.

Scholl: Das waren noch andere Zeiten. Wenn Sie, Herr Teutsch, jetzt zu Hause eine Platte, eine CD auswählen, mit Musik unter der Leitung von Herbert von Karajan, zu welcher greifen Sie als Erster?

Teutsch: Jetzt fällt mir ein "Tristan"-Vorspiel, jetzt, in diesem Moment.

Scholl: Richard Wagner …

Teutsch: Aber ich glaub auch, jede Bruckner-Sinfonie oder Brahms. Ich habe lange keine mehr gehört. Vielleicht höre ich mir jetzt viele an. Ich habe sie zumindest alle zu Hause, das ist wunderbar, diese schönen, alten, schwarzen Scheiben.

Scholl: Götz Teutsch, 37 Jahre am Cello bei den Berliner Philharmonikern. Ich danke Ihnen für Ihren Besuch und Ihre Worte zu Herbert von Karajan, den wir anlässlich seines 100. Geburtstages würdigen und jetzt auch musikalisch.