CeBIT

Der Maßschuh aus dem 3D-Drucker

Hendrik Send im Gespräch mit Marietta Schwarz · 14.03.2014
Schon bald wird es möglich sein, maßgeschneiderte Schuhe auszudrucken, sagt der Forscher Hendrik Send. Auch Fahrräder und Stühle könnten wir künftig besser an unsere Bedürfnisse anpassen. Die Möglichkeiten, die das Verfahren bietet, können auch missbraucht werden.
Marietta Schwarz: Schon seit ein paar Jahren wird sie prophezeit, die bevorstehende industrielle Revolution durch den 3D-Drucker, also jenes Gerät, das man an seinen Rechner anschließt und das dann nicht mehr Papier mit Schrift und Bild bedruckt, sondern Gegenstände produziert. Auf Messen wie auf der CeBIT gehört der 3D-Drucker längst zum Standard. Und es gibt inzwischen auch unzählige Firmen, die Dienstleistungen in diesem Bereich anbieten, vor allen Dingen Kleinauflagen, Einzelstücke, Bauteile, die es nicht mehr gibt.
Von einer industriellen Revolution sind wir momentan noch ein Stück entfernt, aber die Potenziale des 3D-Druckers sind noch lange nicht ausgeschöpft, meint Hendrik Send, Projektleiter Forschung am Humboldt-Institut für Internet und Gesellschaft und Professor an der Hochschule Anhalt. Herr Send, guten Morgen!
Hendrik Send: Guten Morgen, ich grüße Sie!
Schwarz: Zu Hause im Arbeitszimmer den eigenen Turnschuh ausdrucken – das ist ja so eines der Bilder, die beim 3D-Drucker gerne herangezogen werden. Wie realistisch ist das momentan?
Send: So unrealistisch ist das gar nicht. Es hat gerade ein Hersteller ein Material auf den Markt gebracht, mit dem man diese Drucker beschicken kann, und hat auch gleichzeitig dazu ein 3D-Design zur Verfügung gestellt, das genau ein Schuh ist, und dieses Material ist flexibel. Also, es gibt - frei verfügbar - tatsächlich ein Design, bei dem man sich selbst einen Schuh ausdrucken kann. Der besteht natürlich nur aus einem Material –
Schwarz: Und nicht aus Leder!
Send: Genau, und schon gar nicht aus Leder. Zweitens ist das ein spannendes Szenario, weil genau das natürlich die Sportartikelhersteller schon machen. Die experimentieren schon ganz heftig damit, und da möchte ich mal behaupten, dass das nur noch ein paar Jahre sind, wo wir die zumindest bestellen können in unserer richtigen Größe. Zu Hause auf dem Schreibtisch müssen wir dann noch ein paar Jahre drauf legen.
Schwarz: Das erste künstliche Steak kam, glaube ich, vor ein, zwei Jahren auch aus dem 3D-Drucker. Aber was ist dann mit dem 3D-Drucker bislang noch nicht möglich?
Send: Das allermeiste. Diese Frage ist am einfachsten zu beantworten. Die meisten Dinge, die uns umgeben, bestehen ja aus sehr vielen verschiedenen Materialien, aus sehr unterschiedlich bearbeiteten Oberflächen. Und aus alledem, was es so an Produkten in der Welt gibt, kann man eigentlich nur einen sehr kleinen Ausschnitt herstellen.
Also diese Drucker, die man sich jetzt auch auf den Schreibtisch für sehr günstige Preise stellen kann, weil dafür die Patente abgelaufen sind, die arbeiten mit so einem Verfahren, wo Material in sehr feinen Würstchen, kann man sagen, aufeinandergelegt werden. Und das sind dann so Materialien wie verschiedene Plastiksorten, keramikartige Materialien, etwas, was so ein bisschen eine Holzanmutung hat. Aber eben doch ein Material. Es gibt auch Geräte, die zwei Materialien mischen können, und dann sind wir auch schon am Ende.
"Das wird jetzt möglich, all diese Dinge neu zu denken"
Schwarz: Wie weit ist denn die Entwicklung in der Metallverarbeitung? Da sagen ja ganz viele Leute, das wäre der Quantensprung, auf den alle warten.
Send: Ich würde das relativieren wollen und sagen, das ist einer von mehreren Sprüngen. Auch das ist schon lange in der Welt. Jetzt war ja im Januar gerade in der Diskussion ein Patent aus 1997, das eben jetzt, 2014 abgelaufen ist, in dem es um ein ganz anderes Verfahren geht, und das ist das Laser-Sintering-Verfahren. Da wird also ein Pulver aus verschiedenen Materialien - das können auch Plastike sein, das können aber auch Keramik, Glas oder eben Metalle sein, Titan, Aluminium, Stahl, ganz verschiedene -, das wird so ein bisschen angeschmolzen, nicht komplett geschmolzen und zusammen gebacken.
Und das hat den Vorteil, dass man viel kompliziertere Geometrien drucken kann als etwas, wenn man das nur so Schicht für Schicht aufeinanderlegt. Sie können sich vorstellen, wenn man so Schichten aufeinanderlegt und dann etwas frei Schwebendes haben will, dann wird das sehr schwierig. Wenn ich in einem Pulver eine Struktur aufbaue, dann kann ich ineinander verbundene, sehr komplizierte Strukturen machen. Die Auflösung ist sehr hoch, das ist nicht unbedingt schneller, aber ich würde schon sagen, das ist das potentere Verfahren.
Schwarz: Das heißt, da könnte ich mir dann auch die Schraube, die mir gerade fehlt zum Heimwerken, schnell anfertigen.
Send: Aus Metall. Genau, das ist ganz wichtig. Diese Verfahren, die sind wahnsinnig genau teilweise. Zum Beispiel ist sehr nahe jetzt der Punkt, wo Ihr Haustürschlüssel einfach überhaupt keine echte Sicherheit mehr darstellt, weil mit dem entscheidenden Generator jeder, der so einen Sinterdrucker zur Verfügung hat, auch beliebig komplizierte Schlüssel drucken kann, die dann auch wirklich funktionieren.
Schwarz: Das heißt, da kommen ganz neue Probleme auch auf uns zu mit den vielen Möglichkeiten.
Send: Genau so ist das immer mit jeder technischen Innovation. Es gibt schöne Dinge, die man damit machen kann, aber es gibt natürlich auch Dinge, über die wir uns erst mal neu Gedanken machen müssen.
Schwarz: Aber, Herr Send, jetzt muss ich noch mal einen Schritt zurückgehen und fragen: Warum sollte ich das eigentlich tun. Warum soll ich mir zu Hause ein Gerät auf den Tisch stellen und dann meine Schraube ausdrucken, wenn ich sie doch einfach auch im Baumarkt kaufen kann? Wozu das alles?
Send: Das ist eine gute Frage, und die Schraube ist auch ein gutes Beispiel für etwas, was wir auf absehbare Zeit und in Ballungsräumen schon gar nicht drucken werden. Denn so etwas lässt sich immer besser über andere Verfahren, wie zum Beispiel Spritzguss herstellen, wo wir Losgrößen haben von vielen, vielen Tausend Stück. Diese 3D-Drucker sind interessant für Dinge, die wir in sehr kleinen Losgrößen benutzen, unter 500 Stück. Da kommen nämlich klassische Herstellungsverfahren an ihre Grenzen. Wir waren ja gerade schon bei den Schuhen. Man kann sich aber auch Brillen vorstellen. Es geht immer weiter auch in gewisse Kleidungsstücke.
An viele Dinge haben wir uns gewöhnt, dass sie gar nicht so richtig unsere Größe haben, sondern so in Standardgrößen von der Stange kommen. Nehmen wir mal ein Fahrrad oder einen Stuhl. Das wird jetzt möglich, all diese Dinge neu zu denken. Und ich behaupte mal, dass wir uns in unserem Denken auch schon ganz schön eingeschränkt haben und eigentlich immer nur daran denken, dass etwas standardisiert sein muss. Und da werden uns jede Menge neue Produkte und Services und Unternehmen begegnen in nächster Zeit, die eben genau das machen, die sehr genau Dinge an uns anpassen, die dann viel ergonomischer sind, angenehmer zu benutzen und vielleicht auch einige Mehrwerte bedeuten.
"Für die allermeisten Menschen noch zu kompliziert"
Schwarz: Vorangetrieben hat die Entwicklung eine Schar junger Menschen im Internet, die untereinander Baupläne austauschen, experimentieren, tüfteln, verbessern. Könnte diese Herangehensweise, nämlich gemeinsam etwas zu produzieren und zu entwickeln, auch gesellschaftliche Konsequenzen auf solche Produktionsformen haben?
Send: Das ist ja genau der Punkt, der uns am Institut für Internet und Gesellschaft so interessiert. Vorangetrieben haben sie diese Entwicklung; entstanden ist vieles natürlich doch erst mal von Unternehmen, aber diese Unternehmen haben es nicht geschafft zu verstehen, wieso das für Endverbraucher, für den Nutzer, für Ihren Schreibtisch interessant sein könnte. Und da kamen jetzt eben genau diese Bastler, von denen Sie gesprochen haben. Die haben in der Tat diese Entwicklung weiter gebracht, und die haben auch verstanden, dass es nicht darum geht, dass man nur einen Drucker braucht. Das heißt, es braucht noch eine ganze Menge mehr. Es braucht vielleicht Geräte, mit denen ich Dinge einscannen kann in 3D. Es braucht einfache Software, mit der ich das bearbeiten und verändern kann. Es braucht vor allen Dingen Plattformen, mit denen ich interessante Designs austauschen kann, gegenseitig verbessern kann, weltweit daran arbeiten kann.
Dann trifft das ein, dass das Internet eine Basis für Innovation wird. Wo wir gerade sehen, dass das auf den Plattformen mit sehr hoher Geschwindigkeit sehr interessant passiert. Und dann haben Sie vielleicht doch einen Wert davon, dieses Ding zu Hause zu betreiben. Ob das heute schon so ist, das möchte ich mal in Frage stellen. Für die allermeisten Menschen ist das jetzt noch zu kompliziert. Für Leute, die gerne erfinden, basteln, sich in Dinge reinklemmen, ist das sehr, sehr spannend.
Schwarz: Hendrik Send vom Humboldt-Institut für Internet und Gesellschaft. Herr Send, vielen Dank für das Gespräch!
Send: Ich danke Ihnen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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